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Sieben Minuten Computercode (Berliner Zeitung, 06.10.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Sieben Minuten Computercode

Mit DeCSS kann man den Kopierschutz von DVDs knacken. Verbrechen oder freie Meinungsäußerung?

Berliner Zeitung, 06.10.2000

 

Ein Bäcker will reich werden und bietet deshalb seine einmaligen Rezepte auch als Fertigbrötchen zum selbst backen an. Damit man aber noch sonntags bei ihm einkauft, wird der Fertigteig nur in bestimmten Backöfen fertig. In Backöfen nämlich, deren Hersteller dem Bäcker versichern, dass ihre Geräte sonntags den Dienst verweigern. Der Bäcker ist froh, die Backofenhersteller auch. Wer aber verrät, wie man die Brötchen in anderen Öfen knusprig bekommt, ist ein Krimineller.

Was für altmodische Backwaren absurd klingt, hat sich bei digitalisierten Medieninhalten genauso zugetragen. Absurd ist es dennoch: Vor einem Monat verbot ein New Yorker Bezirksrichter dem Hackermagazin 2600.com die Veröffentlichung von Links zu Internetseiten, von denen das kleine Programm DeCSS heruntergeladen werden kann. DeCSS ist so etwas wie das Sonntagsbackrezept, der Bäcker in diesem Fall die Motion Pictures Association of America (MPAA), der Interessenverband der Hollywoodtycoons.

Mit ihrem Content Scrambling System (CSS) sind sämtliche DVDs verschlüsselt. CSS verhindert nicht das Kopieren von DVDs, wie oft falsch behauptet wird. Vielmehr macht es das Abspielen auf Geräten, deren Hersteller nicht am DVD-Kodierungssystem beteiligt sind unmöglich. So kann Hollywood bestimmen, wann, wo, wie und auf welchem System ein Film zu sehen ist.

Deswegen war es bis vor ungefähr einem Jahr auch unmöglich, einen legal erworbenen Film auf dem DVD-Laufwerk eines mit dem System Unix beriebenen Computers zu betrachten. Dann programmierten norwegische Hacker DeCSS, das den Inhalt einer DVD liest und unverschlüsselt speichert. DeCSS ermöglicht so nicht nur das Abspielen unter Unix, sondern auch das Vorspulen bei Werbebotschaften und das Umgehen der Ländercodes. Da Filme in den USA generell auf DVD zu haben sind, bevor sie in den europäischen Kinos anlaufen, sind DVD mit US-Ländercode auf europäischen DVD-Playern nicht abspielbar – das selbe Prinzip wie bei den hypothetischen Sonntagsbrötchen.

DeCSS verbreitete sich wie codefreie warme Semmeln übers Netz. Seit Anfang des Jahres mahnte Hollywood Betreiber von Internetseiten ab, die DeCSS als Quellcode oder ausführbares Programm anboten. Die Verurteilung von 2600.com ist bisheriger Höhepunkt der Absurdität.

Amerikanische Netzaktivisten wie der Informatikprofessor David S. Touretzky sehen in dem Verbot der Veröffentlichung des Quellcodes von DeCSS eine Verletzung der Meinungsfreiheit: „Quellcode ist eine Meinungsäußerung und steht deshalb unter dem Schutz des ersten Verfassungszusatzes“, betont Touretzky.

Dass Code eine von der Verfassung geschützte Meinungsäußerung ist, wollen Netzaktivisten nun mit allerlei kreativen Aktionen beweisen. Touretzky beispielsweise beschreibt auf seinen Seiten, wie DeCSS in der Computersprache C zu programmieren ist. Kein Quellcode also.

Den Code gibt es als dramatische Lesung von fast siebeneinhalb Minuten Länge oder auch zur Gitarre gesungen von der Band Don’t Eat Pete. Sogar als T-Shirt Aufdruck wurde DeCSS verkauft – bis der Hersteller Copyleft von Hollywood abgemahnt wurde.

All diese Initiativen zeigen sehr gut die Absurdität der Entscheidung des New Yorker Richters, Quellcode sei grundsätzlich keine Meinungsäußerung. Und doch greifen die Projekte zu kurz. Die entscheidende Frage ist nämlich, ob die Verwendung von DeCSS zum Entschlüsseln von DVDs nicht durchaus legal, ob nicht vielmehr die Verschlüsselung mit CSS gesetzeswidrig ist.

In den USA gibt es wie auch in Europa die sogenannten Schranken des Urheberrechts. Das Urheberrechtsgesetz der Vereinigten Staaten ist nur wegen zwei Einschränkungen mit der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit konform: Zum einen gilt Urheberrecht nicht für Ideen und Fakten, zum anderen ist der sogenannte „faire Gebrauch“ erlaubt. Dass bedeutet zum Beispiel, dass in der Bibliothek Bücher fotokopiert werden dürfen, dass man von Computersoftware Sicherheitskopien erstellen kann, dass eine CD für den Walkman auf Kassette überspielt werden darf.

Einige Experten glauben, dass die Digitalisierung von Inhalten eben diesen „fairen Gebrauch“ technisch unmöglich macht. US-Rechtsprofessor Lawrence Lessing warnt in seinem Buch “Code”, dass die Gefahr nicht die angebliche Unmöglichkeit eines Urheberrechtsschutzes im Internet ist – vielmehr ermögliche die neue Technik an bestehenden Gesetzen vorbei eine absolute Kontrolle der Benutzung von Inhalten.

Eben dies leistet CSS: Sicherheitskopien sind nicht zu erstellen, Inhalte nur auf gewissen Geräten verfügbar – und das nur ab einem von Hollywood bestimmten Zeitpunkt. Der New Yorker Richter betrachtet CSS gemäß dem 1998 verabschiedeten „Digital Millenium Copyright Act“ (DCMA) als legal. Eine solche Interpretation sieht Eric Schreier, Analyst des Technologie-Beratungsunternehmen Forrester Research als gefährlich an: „Jeder Produzent von Medieninhalten kann so durch DCMA sein Eigentum an Inhalten auf eine Kontrolle über die Abspielgeräte ausweiten.“

Mark Lemley, Rechtsprofessor an der Berkley-Universität sieht den DCMA nun sogar als verfassungswidrig an: „Das Gericht hat entschieden, dass DCMA den fairen Gebrauch umgeht. Wenn das in dieser Vielzahl von Fällen möglich ist, ist fraglich, ob das Gesetz die Prüfung durch den obersten Gerichtshof besteht.“

Eine sorgfältige Prüfung angesichts ist angesichts technischer Entwicklungen wie CSS nötig: Wird man von DVDs tatsächlich keine Sicherheitskopien auf andere Medien erstellen können, werden die Inhalte bei Einführung der nächsten Generation von Speichermedien für den Verbraucher verloren sein. Stellt man sich vor, dass Literatur einmal digital vermarktet werden wird, sind die Ausmaße des kulturellen Problems erkennbar.

Die Lösung des New Yorker Richters: „Fast alle Filme sind sowohl auf DVD als auch auf Videokassette verfügbar. Wer also einen Film gesetzesgemäß nutzen will, kann eine Videokassette kaufen oder leihen, sie abspielen und sogar kopieren.“ Das kann nicht die Antwort auf die Probleme der Zukunft sein.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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