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Siegeszug der Online-Journale (Financial Times Deutschland, 12.3.2003)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Siegeszug der Online-Journale

Täglich aktualisierte Internettagebücher – so genannte Weblogs – werden zum Massenphänomen.

Financial Times Deutschland, 12.3.2003

Die Zahl der Weblogs wächst ständig – alle 30 Sekunden soll ein neues hinzukommen. Kein Wunder: Mit ein paar einfachen Schritten kann jeder sein eigenes Onlinemagazin einrichten, sein Tagebuch veröffentlichen oder seine Meinung über Gott und die Welt mitteilen. Teenager erzählen in den "Blogs" täglich von ihrem Liebeskummer, IT-Experten berichten über die Stimmung im Silicon Valley, Journalisten machen ihrer Meinung zum Irak-Konflikt Luft. Ihren Siegeszug setzen die fixen Online-Journale nun in Deutschland fort: So starteten am 7. März die Gründer des Auktionshauses Ricardo das Angebot www.20six.de , das deutschsprachige Pendant zum amerikanischen Dienst www.blogger.com . Beide Angebote ermöglichen es Internetnutzern, schnell und ohne Vorkenntnisse ein Online-Journal einzurichten. 

Die mehreren Hunderttausend Weblogs verbindet nur eines: Neue Inhalte kommen oft, im besten Fall mehrmals täglich hinzu. Die aktuellsten Einträge stehen oben auf der Seite, die ältesten unten. Archivierte Texte werden über einen Kalender angesteuert. 

Und hier hören die Gemeinsamkeiten auf. Inhaltlich ist nach zwei Jahren Boom in den Vereinigten Staaten alles vorhanden. Bekannte Publizisten wie Andrew Sullivan (www.andrewsullivan.com) kommentieren scharfzüngig die Politik, und Prominente wie Popstar Moby (www.moby.com/cms/viewalldiary.asp) erzählen aus ihrem Alltag. 

Oft schreiben Experten Weblogs zu ihrem Spezialgebiet. Auf Grund ihres Wissens kann man erhellende Kommentare und Verweise auf neue, beachtenswerte Informationen bekommen. Derzeit betreiben vor allem Insider aus dem Hightech-Sektor eigene Weblogs. So berichtete zum Beispiel der kalifornische Journalist Dan Gillmor in seinem Onlinetagebuch (www.dangillmor.com) als Erster, dass die Suchmaschine Google den größten Anbieter für Weblogsoftware Pyra Labs gekauft hat. Auch viele Analysten von Jupiter Research schreiben Tagebuch (weblogs.jupiterresearch.com) . 

Spezialisierte Suchmaschinen werten tagesaktuell Weblogs nach den am meisten gebrauchten Schlagwörtern (www.daypop.com) und am häufigsten verlinkten Seiten (blogdex.media.mit.edu) aus. Da diese Angebote noch nicht auf bestimmte Themen spezialisiert sind, ist ihr einziger Vorteil die Aktualität. Wer Expertenwissen will, muss sich entsprechende Blogs selbst suchen, um sie täglich zu lesen oder mit Werkzeugen wie Blocktracker (www.dansanderson.com/blogtracker) auszuwerten. Für einen allgemeinen und aktuellen Nachrichtenüberblick eignen sich Suchmaschinen wie Dailypop jedoch weit besser als etwa der träge Monopolist Google. 

Doch was nutzen Weblogs den Autoren? Eitelkeit und Narzissmus als Antrieb für "Blogger" sind ein noch wenig beackertes Feld für Sozialpsychologen. Es gibt durchaus andere Profitmöglichkeiten. Informative, regelmäßig aktualisierte Blogs binden eine Stammleserschaft. Und die nährt mit Verweisen und persönlichen Leseempfehlungen Bekanntheit und Renommee des Autors. Gerade in Expertengemeinschaften kommen so Geschäfte zustande. Dan Gillmor verdankt einige vertrauliche Tipps und Einladungen zu Vorträgen den Lesern seines Blogs. Ähnlich geht es vielen der Blogger der ersten Stunde wie dem Programmierer Dave Winer (www.scripting.com) oder dem Designer Jason Kottke (www.kottke.org) . 

Materieller Erfolg ist nur sehr selten direkt aus dem Aufmerksamkeitsgewinn durch Weblogs abzuleiten. Fälle wie der des Publizisten Andrew Sullivan sind selten – er nimmt im Monat 6000 $ über freiwillige Spenden seiner Leser und Onlinewerbung ein. 

Siegeszug der Online-Journale

Täglich aktualisierte Internettagebücher – so genannte Weblogs – werden zum Massenphänomen.
Financial Times Deutschland, 12.3.2003

Die Zahl der Weblogs wächst ständig – alle 30 Sekunden soll ein neues hinzukommen. Kein Wunder: Mit ein paar einfachen Schritten kann jeder sein eigenes Onlinemagazin einrichten, sein Tagebuch veröffentlichen oder seine Meinung über Gott und die Welt mitteilen. Teenager erzählen in den "Blogs" täglich von ihrem Liebeskummer, IT-Experten berichten über die Stimmung im Silicon Valley, Journalisten machen ihrer Meinung zum Irak-Konflikt Luft. Ihren Siegeszug setzen die fixen Online-Journale nun in Deutschland fort: So starteten am 7. März die Gründer des Auktionshauses Ricardo das Angebot www.20six.de , das deutschsprachige Pendant zum amerikanischen Dienst www.blogger.com . Beide Angebote ermöglichen es Internetnutzern, schnell und ohne Vorkenntnisse ein Online-Journal einzurichten. 

Die mehreren Hunderttausend Weblogs verbindet nur eines: Neue Inhalte kommen oft, im besten Fall mehrmals täglich hinzu. Die aktuellsten Einträge stehen oben auf der Seite, die ältesten unten. Archivierte Texte werden über einen Kalender angesteuert. 

Und hier hören die Gemeinsamkeiten auf. Inhaltlich ist nach zwei Jahren Boom in den Vereinigten Staaten alles vorhanden. Bekannte Publizisten wie Andrew Sullivan (www.andrewsullivan.com) kommentieren scharfzüngig die Politik, und Prominente wie Popstar Moby (www.moby.com/cms/viewalldiary.asp) erzählen aus ihrem Alltag. 

Oft schreiben Experten Weblogs zu ihrem Spezialgebiet. Auf Grund ihres Wissens kann man erhellende Kommentare und Verweise auf neue, beachtenswerte Informationen bekommen. Derzeit betreiben vor allem Insider aus dem Hightech-Sektor eigene Weblogs. So berichtete zum Beispiel der kalifornische Journalist Dan Gillmor in seinem Onlinetagebuch (www.dangillmor.com) als Erster, dass die Suchmaschine Google den größten Anbieter für Weblogsoftware Pyra Labs gekauft hat. Auch viele Analysten von Jupiter Research schreiben Tagebuch (weblogs.jupiterresearch.com) . 

Spezialisierte Suchmaschinen werten tagesaktuell Weblogs nach den am meisten gebrauchten Schlagwörtern (www.daypop.com) und am häufigsten verlinkten Seiten (blogdex.media.mit.edu) aus. Da diese Angebote noch nicht auf bestimmte Themen spezialisiert sind, ist ihr einziger Vorteil die Aktualität. Wer Expertenwissen will, muss sich entsprechende Blogs selbst suchen, um sie täglich zu lesen oder mit Werkzeugen wie Blocktracker (www.dansanderson.com/blogtracker) auszuwerten. Für einen allgemeinen und aktuellen Nachrichtenüberblick eignen sich Suchmaschinen wie Dailypop jedoch weit besser als etwa der träge Monopolist Google. 

Doch was nutzen Weblogs den Autoren? Eitelkeit und Narzissmus als Antrieb für "Blogger" sind ein noch wenig beackertes Feld für Sozialpsychologen. Es gibt durchaus andere Profitmöglichkeiten. Informative, regelmäßig aktualisierte Blogs binden eine Stammleserschaft. Und die nährt mit Verweisen und persönlichen Leseempfehlungen Bekanntheit und Renommee des Autors. Gerade in Expertengemeinschaften kommen so Geschäfte zustande. Dan Gillmor verdankt einige vertrauliche Tipps und Einladungen zu Vorträgen den Lesern seines Blogs. Ähnlich geht es vielen der Blogger der ersten Stunde wie dem Programmierer Dave Winer (www.scripting.com) oder dem Designer Jason Kottke (www.kottke.org) . 

Materieller Erfolg ist nur sehr selten direkt aus dem Aufmerksamkeitsgewinn durch Weblogs abzuleiten. Fälle wie der des Publizisten Andrew Sullivan sind selten – er nimmt im Monat 6000 $ über freiwillige Spenden seiner Leser und Onlinewerbung ein. 

An interessanten Weblogs arbeiten ihre Autoren in der Regel nie weniger als eine Stunde am Tag. Gerade für Kopfarbeiter, die ohnehin viel am Computer arbeiten und im Netz recherchieren, bietet ein Blog interessante Synergieeffekte jenseits des Aufmerksamkeitsgewinns: So kann man zum Beispiel mit Hilfe eines Blogs und der richtigen Software Tinderbox (www.eastgate.com/tinderbox) Einfälle festhalten, in Kategorien organisieren und recherchieren. Interessant ist die Möglichkeit mancher Blog-Dienste, Leserkommentare aufzuzeichnen. So ist es möglich, Hypothesen zu diskutieren und Anregungen von anderen Internetnutzern zu erhalten. 

Da manche Software mehrere Autoren zulässt, können Blogs physisch getrennten Arbeitsgruppen auch als nichtöffentliche Nachrichtenbretter und Diskussionsforen dienen, was derzeit in Kursen an der Universität Harvard erprobt wird. 

Eine sorgfältige Analyse der eigenen Arbeitsweise und Ziele ist auf jeden Fall nötig, bevor man ein Blog startet, die Werkzeuge wählt und zu schreiben beginnt. Es gibt im Prinzip zwei Kategorien von Weblog-Werkzeugen: einfache und komplexe. Das Einfachste ist Blogger (www.blogger.com) . Die Software bleibt vollständig auf den Servern des Anbieters, Einstellungen und Einträge gibt man über den Browser in Formulare ein. Die generierten Webseiten können entweder auf einem eigenen Speicherplatz im Netz oder bei Blogger.com veröffentlicht werden. Das kostenlose Angebot ist einfach zu bedienen und deckt dennoch Bedürfnisse der meisten Anwender, selbst der Schriftsteller William Gibson arbeitet damit täglich. Ähnlich einfach zu bedienen ist die kostenpflichtige Software Radio Userland. Sie bietet zudem weit mehr Möglichkeiten, Weblogs automatisch auszuwerten und speichert alle generierten Seiten auf der heimischen Festplatte, bevor man sie auf den Server lädt. 

Will man ein Blog für Diskussionen nutzen oder zum Forum ausbauen, sind komplexe, für nichtkommerzielle Nutzung kostenlose Programme wie Greymatter (www.noahgrey.com/greysoft) oder Movable Type (www.movabletype.org) nötig. Allerdings muss man sich nicht nur lange in diese Programme einarbeiten. Man benötigt auch einen speziellen Server.
An interessanten Weblogs arbeiten ihre Autoren in der Regel nie weniger als eine Stunde am Tag. Gerade für Kopfarbeiter, die ohnehin viel am Computer arbeiten und im Netz recherchieren, bietet ein Blog interessante Synergieeffekte jenseits des Aufmerksamkeitsgewinns: So kann man zum Beispiel mit Hilfe eines Blogs und der richtigen Software Tinderbox (www.eastgate.com/tinderbox) Einfälle festhalten, in Kategorien organisieren und recherchieren. Interessant ist die Möglichkeit mancher Blog-Dienste, Leserkommentare aufzuzeichnen. So ist es möglich, Hypothesen zu diskutieren und Anregungen von anderen Internetnutzern zu erhalten. 

Da manche Software mehrere Autoren zulässt, können Blogs physisch getrennten Arbeitsgruppen auch als nichtöffentliche Nachrichtenbretter und Diskussionsforen dienen, was derzeit in Kursen an der Universität Harvard erprobt wird. 

Eine sorgfältige Analyse der eigenen Arbeitsweise und Ziele ist auf jeden Fall nötig, bevor man ein Blog startet, die Werkzeuge wählt und zu schreiben beginnt. Es gibt im Prinzip zwei Kategorien von Weblog-Werkzeugen: einfache und komplexe. Das Einfachste ist Blogger (www.blogger.com) . Die Software bleibt vollständig auf den Servern des Anbieters, Einstellungen und Einträge gibt man über den Browser in Formulare ein. Die generierten Webseiten können entweder auf einem eigenen Speicherplatz im Netz oder bei Blogger.com veröffentlicht werden. Das kostenlose Angebot ist einfach zu bedienen und deckt dennoch Bedürfnisse der meisten Anwender, selbst der Schriftsteller William Gibson arbeitet damit täglich. Ähnlich einfach zu bedienen ist die kostenpflichtige Software Radio Userland. Sie bietet zudem weit mehr Möglichkeiten, Weblogs automatisch auszuwerten und speichert alle generierten Seiten auf der heimischen Festplatte, bevor man sie auf den Server lädt. 

Will man ein Blog für Diskussionen nutzen oder zum Forum ausbauen, sind komplexe, für nichtkommerzielle Nutzung kostenlose Programme wie Greymatter (www.noahgrey.com/greysoft) oder Movable Type (www.movabletype.org) nötig. Allerdings muss man sich nicht nur lange in diese Programme einarbeiten. Man benötigt auch einen speziellen Server.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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