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Sinkende Verkaufszahlen: Der PC-Boom stirbt einen langsamen Tod (Spiegel Online, 6.11.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Sinkende Verkaufszahlen

Der PC-Boom stirbt einen langsamen Tod

Japaner kaufen seltener Heimcomputer: Zum fünften Mal in Folge sinken die Verkaufszahlen pro Quartal. Auch wenn der PC in weiten Teilen der Welt einen zweiten Frühling feiert, wird er als zentrales Technik-Werkzeug zum Auslaufmodell. Die Zukunft gehört den Web-Handys.

Spiegel Online, 6.11.2007

Am liebsten würden sie die Rechenkisten heute schon zu Grabe tragen: Die PC-Verkaufszahlen in Japan sinken und Blogger und Nachrichtenseiten wetteifern mit Nachruf-Schlagzeilen: "Tschüss, PC", "Ruhe in Frieden", "PCs verlieren Relevanz". 30 Jahre nachdem der Apple II als erste Heim-Rechenkiste Computertechnik in Privatwohnungen brachte, scheint das Konzept seinen Reiz verloren zu haben. Analyst Masahiro Katayama vom Marktforschungsunternehmen IDC bilanzierte seine Zahlen gegenüber der Nachrichtenagentur AP so: "Die Zukunft des PCs ist nicht rosig." Katayamas Interpretation fügt sich in das Bild, das Googles Handy-Allianz und der iPhone-Hype zeichnen: Handys gelten als die neuen PCs.

IT-Riesen wie Google, Microsoft und Apple kämpfen erbittert darum, für sich ein möglichst großes Feld auf diesem Markt abzustecken. Dass hier eine große Zukunft liegt, glaubt auch IDC-Analyst Katayama. Er sagte zu AP: "Hier in Japan werden die Kinder heute mit Handys groß, nicht mit PCs." Google & Co. geht es um diese PC-arme Zukunft, die sich vielleicht heute schon in den japanischen PC-Verkaufszahlen abzeichnet.

PC boomt in USA, Japan, Westeuropa nicht mehr

Betrachtet man die Nachfrage nach PCs weltweit, gibt es aber noch keinen Grund, Nachrufe auf den Heimrechner zu schreiben: Die Heimrechner verschwinden keineswegs. Nur kaufen sich PC-Besitzer in Westeuropa, Japan und den Vereinigten Staaten nicht mehr ganz so oft ein neues Gerät.

In Deutschland erwartet der Branchenverband Bitkom in diesem Jahr 4,9 Millionen verkaufte Desktop-PCs – so viele wie 2006. Nur der Notebook-Verkauf boomt in Deutschland: 4,4 Millionen waren es 2006, 5 Millionen sollen es in diesem Jahr werden.

2007 sollen weltweit gut 257 Millionen Notebooks und Desktop-PCs verkauft werden – 12,6 Prozent mehr als 2006. So die Prognose eines IDC-Berichts vom September (siehe Tabelle unten).

 
Region 2006
2008
2011
Jährliches Durschnitts-Wachstum 2006-2011 (%)
USA (Mio. verkaufte PCs) 65,4
71,7
81,8 4,6
USA (Anteil am Weltmarkt) 28,6 28,6 22,6  
Westeuropa (Mio. verkaufte PCs)   
51,4
63,6 75,3 8
Westeuropa (Anteil am Weltmarkt)  22,5  22,3  20,8   
Asien/Pazifik ohne Japan (Mio. verkaufte PCs)  48,8  67,8  95,2  14,3
Asien/Pazifik ohne Japan (Anteil am Weltmarkt)    21,3  23,8  26,3   
Japan (Mio. verkaufte PCs)   
14,3  14,6  15,6 1,8
Japan (Anteil am Weltmarkt)    6,2  5,1  4,3  
Rest der Welt (Anteil am Weltmarkt) 21,4  23,7 26
 
Quelle: IDC, Worldwide PC 2007–2011 Forecast Update, September 2007

Weltweit gesehen geht es dem PC also ganz gut – nur verschiebt sich die Nachfrage von den alten PC-Märkten Japan, Westeuropa und den USA nach Afrika, Osteuropa und China. Sprich: Heimcomputer sind schon lange nicht mehr Technik-Avantgarde. 2007 werden laut IDC Firmen und Privatleute in Afrika, Ost- und Mitteleuropa, Lateinamerika und China erstmals mehr Rechner kaufen als Kunden in Westeuropa. Noch fasst IDC diese Regionen lapidar mit Kanada als ROW ("Rest der Welt") zusammen.

China liebt PCs – Japan Mobiltelefone

In diesem Rest der Welt feiert der PC seinen zweiten Frühling, in seinen alten Stammmärkten braucht man ihn einfach nicht mehr so sehr wie früher. Sicher, Firmen werden weiterhin ihre Büros ab und an mit neuen Rechnern ausstatten, vielleicht in längeren Abständen als zuvor. Das Problem sind die Privat-PCs. Einige japanische Unternehmen haben diesen Markt aufgegeben, Hitachi zum Beispiel verkauft PCs nur noch an Unternehmen.

Denn Heimanwender geben ihr Geld lieber für Technik aus, die Dinge tut, die ihr PC nicht schafft – lieber als dafür einen neuen PC zu kaufen, der nur noch ein wenig schneller vertraute Programme ausführt. Die PC-Konkurrenz: hochauflösende Flachbild-Fernseher, Internet-Handys mit Touchscreen, MP3-Player, die Musik über Drahtlos-Netzwerke abrufen und kaufen.

Japaner nutzen Handys heute schon wie Computer: 2006 hat mehr als die Hälfte der Japaner mit einem Mobiltelefon Webseiten aufgerufen. Das ergab eine Untersuchung des japanischen Innenministeriums. Weitere Ergebnisse: Ein Drittel der Handy-Nutzer mit E-Mail-Zugang auf dem Handy nutzte den PC seltener zum Verschicken von E-Mails.

Eine Umfrage des Markforschungsinstituts Infratest Dimap ergab 2006, dass 77 Prozent der japanischen Handy-Besitzer E-Mails mit dem Telefon versenden. Musikstücke kann man längst mit dem iPod Touch unterwegs über Drahtlos-Netzwerke einkaufen – ohne je einen Computer einschalten zu müssen.

Deutschland hat fast PC-Vollverversorgung

Warum sollte bei diesen Gegenangeboten jemand einen neuen PC kaufen, der schon ein älteres Modell hat? Bei PCs herrscht in Staaten wie Deutschland fast schon Vollversorgerung. Laut dem EU-Statistikamt Eurostat steht in 75 Prozent der deutschen Haushalte ein PC.

Die Vollversorgung von Privathaushalten mit Computern ist das Ergebnis der PC-Revolution. Vor 30 Jahren kam mit den Heimrechnern erstmals Computertechnik in die private Lebenswelt. Zuvor galten Computer als kühlschrankgroße, bedrohliche Rechenmaschinen, die in entlegenen Labors gefährliche Dinge taten.

Und dann standen die Rechner in den Wohnungen, fungierten als Spielmaschinen, Alltagshelfer und manchmal sogar als Lernmittel. Der Computer wurde persönlich – so nannte IBM den ersten eigenen Heimrechner dann auch, der vor 26 Jahren erschien: PC, der Personal Computer. Technik wurde Teil des Alltags, der persönlichen Lebenswelt.

Handys entwickeln sich zu den neuen PCs

Ein wenig weiter treiben Notebooks diese Entwicklung: Die Rechner können ihre Besitzer tatsächlich begleiten – die Technik ist portabler, persönlicher, präsenter. Und attraktiver: 2011 sollen laut der IDC-Analyse vom September 68 Prozent der verkauften PC in den Vereinigten Staaten und Westeuropa Notebooks sein.

Den nächsten Schritt dieser Entwicklung gehen folgerichtig Handys – noch näher am Besitzer, noch portabler. Moderne Handy sind im Grunde Computer: Ein 200-Megahertz-Prozessor ist heute schon Standard-Ausrüstung von Smartphones – diese Rechenstärke nennt Google als Mindestanforderung für sein Handy-Betriebssystem – so schnell rechneten vor einigen Jahren PCs.
 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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