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Sinn und Dringlichkeit (Frankfurter Rundschau, 18.6.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
1 minuten gelesen

 

Sinn und Dringlichkeit

Frankfurter Rundschau, 18.6.2002

Haben Sie mit Ihrem Computer je eine Bierflasche geöffnet ? Eine Zigarette angezündet ? Einen wackeligen Tisch ins Gleichgewicht gebracht ? Eben. Man gibt einen vierstelligen Betrag aus – und bekommt nicht einmal die Funktionalität eines Feuerzeugs. Kein Wunder, dass laut einer neuen Studie in nur zwei von drei deutschen Haushalten ein Computer steht. Eine Bekehrung der Ungläubigen ist dringend nötig. Hoffnung besteht: Jetzt arbeitet die Wissenschaft daran. Physiker und Mathematiker demonstrieren seit einiger Zeit, welche erstaunlichen Dinge man mit ganz normalen Rechnern tun kann. Abgesehen davon, nach Anleitungen zum Öffnen von Bierflaschen mit Feuerzeugen zu suchen.

Beispielsweise kann man ohne Linguistikstudium die Verwandtschaftsgrade europäischer Sprachen aufdecken – falls gerade ein Internetzugang oder Lexikon fehlt. Dann braucht man nur ein Zip-Komprimier-Programm und einen Computer. Damit haben drei italienische Wissenschaftler den engen Zusammenhang des Rätoromanischen mit dem Italienischen und die Einzigartigkeit der maltesischen Sprache nachvollziehen können.

Das ging in etwa so: Ein langer italienischer Text mit einem kurzen rätoromanischen Absatz wird besser komprimiert als ein langer italienischer mit einem maltesischen Einsprengsel. So einfach kann Wissenschaft sein: Je kleiner die Datei, desto verwandter die Sprachen. Verspüren Sie schon das Verlangen, sich einen Rechner zu kaufen ? Oder wissen Sie jetzt wenigstens, warum Sie das mal getan haben ? 

Falls nicht, brauchen Sie zwei Computer. Denn so, und mit einem langen Netzwerkkabel, lässt sich die Lichtgeschwindigkeit bestimmen. Ein wenig Kenntnis der stochastischen Resonanz muss man sich noch aneignen – und schon, nach 30 000 verschickten Datenpaketen, ist die Lichtgeschwindigkeit auf vier Prozent genau bestimmt. So viele Päkchen haben zumindest zwei US- Physiker gebraucht. 

Gegen alle vielleicht noch bestehenden Zweifel an der Nützlichkeit eines Computers hat der Physiker Seth Lloyd das ultimative Argument geliefert: Das gesamte Universum könnte doch selbst einer sein. Seth zufolge hat es bisher 10 hoch 120 Rechenoperationen durchgeführt. Was es dabei berechnet ? Nun ja, "seine eigene dynamische Evolution". Wenn der größte Computer dabei so schöne Dinge wie die Menschheit oder diese Glosse hervorbringt, muss ein kleiner doch etwas Ähnliches leisten können. Nur: Was passiert im Universum bei einer allgemeinen Schutzverletzung?

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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