Skurrille Onlinereklame: Blut ist die beste Werbung (Spiegel Online, 15.4.2008)
Skurrille Onlinereklame
Blut ist die beste Werbung
Blut spritzt, Dynamit explodiert, Autos überfahren Sportstars: Wer die Aufmerksamkeit von Youtube-Guckern für Werbeprodukte gewinnen will, muss ihnen möglichst schrille Clips präsentieren. Entsprechend krass sehen die Filmchen aus.
Spiegel Online, 15.4.2008
Kobe Bryant ist fast zwei Meter groß und seit fast einem Jahrzehnt der Ausnahme-Basketballspieler der Los Angeles Lakers. Ein Star. Ein Held. Eine Legende. Aber kann er wirklich einfach so über ein auf ihn zurasendes Auto hinwegspringen?
Bei Youtube geht das: Binnen vier Tagen haben 1,7 Millionen Zuschauer dort den 53-Sekunden-Clip gesehen, der Bryant beim Sprung über einen silbernen Sportwagen zeigt. Die Szene spielt auf einem Parkplatz: Bryant hält Turnschuhe in die Kamera, zieht sie an, winkt jemanden heran, ein Motor heult auf, ein Cabrio rast ins Bild – und dann unter Bryant hindurch, der gerade noch rechtzeitig hochspringt.
Titel des Clips: "Kobe Bryant versucht einen gigantischen Stunt – erfolgreich. Echt?" Darüber debattieren Youtube-Nutzer seit Tagen. Der Clip ist derzeit der weltweit am zweithäufigsten aufgerufene bei Youtube. Mehr als 5000 Zuschauer haben schon ihre Meinung zur Echtheit abgegeben. Kommentar eines Nutzers von den Philippinen: "Das ist keine Fälschung, Kobe kann das wirklich, er ist ein guter Springer."
Keine Spur von Zweifel, weil Bryant zu Beginn des Clips einen Sportschuh so demonstrativ präsentiert. Die Action ist so absurd, die Bilder sind so spektakulär, dass manche Zuschauer jede kritische Distanz verlieren.
So funktioniert virale Reklame: Die Werber streuen einen Clip, ein Foto, eine Geschichte im Web und hoffen, dass ihre Idee so schrill ist, dass die Nutzer sie von selbst weiterverbreiten. Der Bezug zum Auftraggeber taucht oft nur am Rande, manchmal gar nicht auf. Die Absicht ist, dass die Bilder absurd genug sind, damit die Zuschauer sich mit der Agenda der Clips gar nicht bewusst auseinandersetzen. Dafür gibt es noch mehr skurrile Beispiele:
Werbung oder Wahrheit? SPIEGEL ONLINE zeigt die absurdesten Youtube-Clips mit versteckter Agenda.
Kobe Bryant zum Autosprung: "Hollywood, Baby!"
Sogar die US-Nachrichtenseite MSNBC griff den Autosprung (siehe Video unten) des Basketballstars Bryant auf. Redakteur Will Femia urteilt in seinem Blog: "Eine Fälschung." Seine scharfsinnige Begründung: "Ich bezweifle nicht, dass er über ein Auto springen könnte. Aber er würde das nie riskieren." Seine Meinung: "virale Werbung".
{youtube}yURa9T0-Rjk{/youtube}
Anstatt die schon ziemlich offensichtliche Platzierung von Sportschuhen in diesem Clip zu erwähnen, argumentieren die MSNBC-Leser mit Bilddetails wie Schattenwürfen und Perspektiven.
Dabei hat sich Bryant selbst längst recht eindeutig zu der Sache geäußert. In einem Interview mit dem Lokalsender KCAL-TV aus Los Angeles sagte er, auf den Clip angesprochen: "Hollywood, Baby!" Die hartnäckigen Nachfragen des Reporters bügelt Bryant galant ab: "Wenn Rambo mit einer ganzen Armee fertig wird, kann ich über einen Aston Martin springen."
Inzwischen gibt es erste Satire-Clips, in denen schmächtige Teenager über silberne Sportwagen springen, wie Kobe Bryant posieren und nebenbei zeigen, wie leicht solche Tricks sind. In einer anderen Videoantwort bei Youtube wendet der Sportwagen aus dem Original-Clip und überfährt den triumphierenden Basketballstar (siehe Video unten). Böse.
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Sie surfen mit Dynamitstangen
Ein grauer Wintertag, ein Fluss oder See in einer Stadt, Kopenhagen vielleicht. Ein paar Jugendliche rennen am Wasser entlang, einer filmt, einer holt in einer dunklen Unterführung eine Dynamitstange aus dem Rucksack. Schnitt. Dieselbe Wasserfläche, diesmal liegt ein Surfer in Neoprenanzug auf einem Surfbrett im Wasser, einer der Jugendlichen wirft die gezündete Dynamitstange ins Wasser. Eine Explosion, eine Wasserfontäne, eine große Welle – und der Surfer gleitet auf ihrem Kamm durch die Wintertristesse.
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Im Abspann taucht kurz das Firmenlogo eines Sportartikelherstellers auf. "Keine Wellen? Dynamitsurfen!" – so der Text zu diesem Youtube-Clip, der seit einem Jahr immer wieder Zuschauer überrascht, die die Debatte um das "Dynamitsurfen" noch nicht kennen.
Inzwischen hat sich sogar die US-Fernsehshow "Mythbusters" des Populärwissenschafts-Senders Discovery der Sache angenommen: Die Reporter haben in einem abgelegenen See ein paar hundert Kilo Sprengstoff unter Wasser gezündet – die Wellen waren wenig beeindruckend. Kein Vergleich zu den Surferwellen in dem Youtube-Clip, die eine kleine Dynamitstange den Surfern beschert haben soll. Wen wundert’s?
Wer ein wenig sucht, findet bald den Hintergrund dieses Clips: Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi, beziehungsweise deren dänische Tochter, hat ihn für Quicksilver produziert – und damit einen Preis beim Werberwettbewerb in Cannes gewonnen. Auf der Seite der Cannes-Löwen steht dann auch ganz klar bei Art des Beitrags: "virale Werbung".
Hubschrauber machen große Menschen kürzer
Wie bei den Dynamitsurfern sieht dieser Clip sehr nach Heimvideo aus: Die Kamera wackelt, man sieht eine Familie aus einem Hubschrauber steigen, nach einem Aussichtsrundflug vielleicht. Erst laufen Frau und Tochter auf die Kamera zu, winken vergnügt dem Filmer zu. Dann kommt der wirklich große Vater, der sich irgendwie – auf jeden Fall sehr unbequem – in die Hubschrauberkabine gezwängt haben muss.
{youtube}aK_7NpHDgeI{/youtube}
Er freut sich auch, vielleicht weil er sich nun endlich strecken kann. Der Mann reißt die Arme hoch – Blut spritzt, eine Hand fliegt auf die Kamera zu. Tata – Werbung! Ein Slogan erscheint: "Große Menschen haben genug Schwierigkeiten. Großartige Klamotten zu finden ist keine davon."
Kurz ist der Name eines US-Bekleidungshändlers zu sehen: Alto Clothing. Auf der Seite des Unternehmens findet man nur diese knappe Mitteilung: "Die Helikopter-Kampagne ist vorbei und das virale Video nicht mehr auf der Website von Alto Clothing zu finden." Aber bei Youtube.
Der Sprichwort-Mixer
In sechs Sekunden hat Tom Dickson das iPhone kleingehäckselt (siehe Video unten). Der Gründer und Geschäftsführer des US-Küchengeräteherstellers Blendtec macht das mit sichtlichem Vergnügen: Der Motor seines Profimixers hat drei PS und häckselt fast alles klein: iPhones, iPods, Videokameras, Murmeln.
Bis 2006 war Dickson eine allenfalls lokale Berühmtheit in Utah und ein – kleiner – Star in der Geschäftswelt. Großküchen kauften seine Mixer – entsprechend unbekannt waren die Geräte auch in der Öffentlichkeit. Dann stellte Blendtec im November 2006 die ersten Zerstörungs-Clips ins Web, und eine der bislang erfolgreichsten viralen Marketingkampagnen begann: "Will it blend?"
Das fragt Dickson mit Schutzbrille und weißem Kittel ausgestattet in jedem Clip, und natürlich kriegt er in seinen Mixern Murmeln, Coladosen und iPhones klein. Ob ein Mixer das wirklich schafft, fragt niemand mehr, es scheint inzwischen Allgemeinwissen in den Vereinigten Staaten zu sein, dass Blendtec-Mixer alles klein kriegen. Der Slogan "Will it blend?" taucht inzwischen als Sprichwort in US-Medien wie "Forbes" und "New York Times" auf.
Anwalt Kevin Kurgis marschiert
Wie man aus Versehen, ohne großes Budget und Star-Werbeagenturen wie Saatchi & Saatchi zu einem Youtube-Helden werden kann, zeigt der US-Anwalt Kevin Kurgis aus Ohio. Seine Fernsehspots für Lokalsender haben auf Youtube eine kleine Fangemeinde gefunden.
Das liegt vor allem an Kurgis Schauspieltalent: Er läuft auf die Kamera zu, durch einen Gerichtssaal oder ein Büro, zügig, entschieden, unaufhaltbar und erzählt mit nur schwer unterdrückter Aggression: "Ich bin ein Anwalt. Wenn Sie einen Unfall hatten, ist es ihr Job, gesund zu werden. Mein Job ist es, mit den Versicherungen um das Geld zu kämpfen, das Ihnen zusteht. Denken Sie daran: Ich kriege erst Geld, wenn Sie welches kriegen."
{youtube}mYvCmy17_FI{/youtube}
Das ist – für europäische Verhältnisse – so überdreht, dass man an der Existenz von Kevin Kurgis zweifelt. Aber es gibt ihn wirklich. Seine Website (wo die Werbeclips Namen wie Hundebiss-Video und Krankenwagen-Clip haben) könnte gefälscht sein, nicht aber ein Bericht aus dem Lokalblatt "Business First of Columbus" von 1998, der berichtet, dass der Anwalt Kevin Kurgis ein großes Immobilienprojekt angeht.
Bei Youtube gibt es diverse Parodie-Clips zur Kurgis-Reklame. Die meisten kommen nicht an die Überdrehtheit des Originals heran. Nur ein Clip übertrifft Kurgis (Video siehe unten). Der Anwaltsdarsteller rennt nicht nur durch einen Bürogang der Kamera hinterher wie Kurgis, sondern folgt dem Kameramann – der offensichtlich keinen Rechtsbeistand will – nach draußen, läuft immer schneller, brüllt hysterisch seinen Slogan, stößt Passanten zur Seite und rennt sogar dem Wagen hinterher, in dem die Kamera flieht.
{youtube}zhvMWqGB6Qg{/youtube}
Das ist nicht nur laut, sondern auch subtil ironisch, denn Anwälte wie Kurgis, die sich auf Unfallopfer spezialisiert haben, heißen in den Vereinigten Staaten "Ambulance Chasers" – Krankenwagenjäger.