So teuer sind die billigen Erlebnis-Auktionen wirklich (Spiegel Online, 20.5.2009)
Zocken und Shoppen
So teuer sind die billigen Erlebnis-Auktionen wirklich
Mit Erlebnisauktionen verdient eine kleine deutsche Firma viel Geld und findet in der Finanzkrise sogar Investoren für eine Expansion in den USA. Man braucht mehr Zockerglück als bei Ebay, um einen Artikel günstig zu erstehen.
Spiegel Online, 20.5.2009
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Auf der einen Seite gibt es den Werbeslogan auf der Startseite des deutschen Auktionshauses Swoopo, der verspricht: “Gebot kaufen > Produkt wählen > Bieten > Schnäppchen machen!”. Und die archivierten Angebotsseiten abgeschlossener Auktionen, die dokumentieren, dass da zum Beispiel Mitte Mai eine Nikon D5000 für 83,14 Euro ersteigert und der Käufer dabei 90 Prozent gespart hat.
Auf der anderen Seite gibt es die Leserbriefe, die Swoopo “Betrug” vorwerfen und anonyme Autoren, die sich in Webforen über das Angebot ereifern, über “reine Abzocke, die von Betrug nicht weit entfernt” sei, über “Verarsche”, die “verboten werden” sollte.
Online-Shopping kompliziert wie Optionsscheine
Um zu erklären, wie Swoopo tatsächlich funktioniert, muss man ein wenig ausholen. Auf der Seite kann man auf alle erdenklichen Produkte bieten – Fernseher, Digitalkameras, MacBooks. Im Vergleich zu klassischen Auktionsportalen wie Ebay gibt es vier wesentliche Unterschiede:
- Swoopo wickelt sämtliche Auktionen selbst als Anbieter ab
- die Bieter bezahlen für jedes Gebot – auch wenn sie den Artikel nicht ersteigern
- jedes abgegebene Gebot treibt den Auktionspreis um einen vorab festgelegten Schritt höher – 0,10 Euro zum Beispiel
- jedes Gebot verlängert die Angebotszeit der Auktion – man weiß allerdings nicht genau, um wie viele Sekunden (maximal 20).
Gewonnen hat, wer das letzte Gebot vor Auktionsende abgesetzt hat. Wann dieses Ende eintritt, weiß man nicht so genau, weshalb Swoopo schwer in eine Kategorie zu packen ist. Es gehört mehr Glück dazu als bei Ebay, weshalb sich Swoopo selbst wohl als “Erlebnis-Auktionshaus” bezeichnet. Ein Gewinnspiel kann man eine Swoopo-Auktion auch nicht nennen, dafür haben die Mitbieter zu viel Einfluss. Letztendlich kauft man bei Swoopo Gewinnchancen auf eine Einkaufsoption.
Die Bank gewinnt immer
Die Gemengelage, die Bieter bei Swoopo antreibt, ist wohl noch etwas komplizierter als das Biet- oder Spielprinzip: Wie an der Börse, am Roulettetisch oder bei Ebay-Auktionen hat man das Gefühl, mit seinem eigenen Geschick die Chancen beeinflussen zu können. Hinzu kommt wie an der Börse die Bestätigung durch die Mitbieter.
Wenn so viele andere Menschen hier Chancen kaufen, den Preis und die Auktionsdauer hochtreiben, muss es sich doch lohnen, noch weiter mitzubieten. Vor allem, weil für all die Mitbieter, die nicht den Zuschlag bekommen, die bezahlten Gebotsgebühren zum Totalverlust werden. Die Mechanik erinnert an verschachtelte Kapitalmarktprodukte – man kann auf Swoopo sogar auf 300 Bids bieten.
2,2 Millionen Mitglieder
So komplex die Gebotsmechanik ist, so klar ist der Erfolg von Swoopo: 21,7 Millionen Euro Umsatz 2008, bislang knapp 160.000 abgeschlossene Auktionen, 2,2 Millionen registrierte Mitglieder, von denen etwa 700.000 schon einmal mitgeboten haben. Derzeit expandiert das Münchner Unternehmen Swoopo in die Vereinigten Staaten – mit 7,5 Millionen Euro neuem Risikokapital des US-Investors August Capital ausgestattet, dessen Gründer schon Microsoft finanzierten.
Dass in der Finanzkrise eine US-Firma einem deutschen Anbieter, der in die Vereinigten Staaten expandiert, Geld gibt, spricht für das Geschäftmodell. Und das ist bei Swoopo auch viel einfacher erklärt als die Auktionsmechanik: Die Firma verdient an jedem Gebot.
Die Kalkulation eines Angebots könnte so aussehen: Eine Digitalkamera kostet im Einkauf 600 Euro, geht auf Swoopo für 80 Euro weg. Gewinn macht Swoopo bei dieser Auktion, wenn mehr als 1040 Gebote abgegeben werden (ein Gebot kostet 0,50 Euro, 1040 Gebote plus Endpreis finanzierten den Einkauf).
Man kann davon ausgehen, dass Swoopo für attraktive Produkte deutlich mehr Gebote bekommt als nötig. Ein aktuelles Beispiel: Am Mittwoch ging um 11:30 eine Playstation 3 mit 80-Gigabyte-Festplatte für 231,10 Euro weg. Wenn man davon ausgeht, dass jedes Gebot bei Swoopo den Preis um 0,10 Euro hochtreibt, sehen die Einnahmen für Swoopo hier so aus:
- 1155,50 Euro (2311 Gebote zu 0,50 Euro)
- 231,10 Euro Endpreis
- insgesamt 1386,60 Euro Einnahmen
Beim billigsten deutschen Online-Händler kostet die Konsole derzeit 319 Euro – macht also nach dieser Rechnung mehr als 1000 Euro Gewinn.
1000 Euro Gewinn mit einem 300-Euro-Produkt
Für den Käufer sieht die Rechnung so aus: 243 Gebote hat er gesetzt, bezahlt also 121,50 Euro für die Gebote, dann noch mal 231 Euro für die Playstation, also insgesamt 352,50 Euro – 40 Euro mehr, als das Gerät derzeit beim billigsten Online-Händler kostet.
Swoopo gibt bei dieser Auktion als Ersparnis für den Käufer 11 Prozent oder 46,40 Euro gegenüber dem sogenannten “Vergleichspreis” von 399 Euro an. Bei anderen Auktionen klaffen Vergleichspreis und billigstes von SPIEGEL ONLINE recherchiertes Online-Angebot noch weiter auseinander:
- Uhr “Bossart Damen-Automatik Vintage Ref. BW-0704-GI”: 865 Euro Vergleichspreis bei Swoopo, bei Amazon.de für 159 Euro zu haben
- Fernseher “Samsung LE-40A856”: 1399 Euro Vergleichspreis bei Swoopo, bei Amazon ab 849 Euro zu haben.
Dass Menschen für Produkte mehr Geld ausgeben, als sie beim günstigsten Händler bezahlen würden, ist nichts Neues: Das passiert bei Ebay, in Geschäfts- und Webshops täglich. Swoopo-Vorstand Gunnar Piening erklärt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, wie der Vergleichspreis zustande kommt: “Wir geben die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers an. Gibt es für das Produkt keine UVP, schauen wir uns auf einigen Preisvergleichsseiten um und nehmen einen Mittelwert. Wir machen da aber keine Wissenschaft draus und aktualisieren das nicht ständig. Wir sind keine Preisvergleichsseite, sondern wollen unseren Usern nur einen ungefähren Anhaltspunkt geben.”
Wer sich nicht informiert, zahlt drauf
Was einigen misstrauischen Nutzern bei Swoopo unangenehm aufgefallen ist: Bei einigen abgeschlossenen Auktionen stößt man mit etwas Recherche darauf, dass die Artikel unter derselben ID in verschiedenen Staaten zum selben Betrag in verschiedenen Währungen gekauft wurden. Die Artikel bekommen in einigen Fällen andere Namen. Der Bieter, der als Höchstbietender angegeben wird, ist in allen Ländern derselbe.
Zum Beispiel ist der Samsung-Fernseher “LE40A856” in der Auktion 176785 in unterschiedlichen Ausführungen und zu unterschiedlichen Preisen weggegangen – je nachdem, ob man auf der deutschen Seite ( 96,80 Euro), der britischen ( 96,80 GBP) oder der US-Seite ( 96,80 US-Dollar) nachschaut.
Diese Besonderheit erklärt Piening so: “Wir bündeln unter einer Auktionsnummer in möglichst vielen Märkten identische oder sehr ähnliche Angebote. Welches Produkt am Ende ausgeliefert wird, entscheidet sich, abhängig davon, in welchem Land der Gewinner registriert ist. Der Gewinner bekommt immer genau das Produkt, auf das er geboten hat.”
Warum Swoopo Produkte international versteigert, kann Piening sehr einleuchtend begründen: “Damit wir das Produktinteresse aus vielen Ländern und Zeitzonen bündeln können.” Im Klartext heißt das: Je mehr Menschen aus verschiedenen Zeitzonen auf einen Artikel bieten, umso mehr Gebote gehen ein, umso länger läuft die Auktion, umso mehr verdient Swoopo daran.
Dass ein Unternehmen Geld verdienen will, ist nicht anrüchig. An der Auktionsmechanik von Swoopo auch nicht – sie ist nicht so einfach zu verstehen, wird aber keineswegs verheimlicht. Das absurde an den Abzock-Vorwürfen in diversen Web-Foren ist der logische Bruch, dass das Streben nach Profitmaximierung bei den zockenden Privatleuten normal, beim Anbieter der Zockplattform allerdings als anrüchig empfunden wird.
Da beim Erlebnisshopping der Zufall auch eine Rolle spielt – die Bieter wissen ja nicht, um viel viele Sekunden genau sie durch ihr gebaut den Ablauf der Auktion hinausschieben -, stellt sich die Frage, ob solche Angebote nicht Glücksspiele sind. Der Hamburger Anwalt Martin Bahr, Experte für Glücksspielrecht und das Recht der Neuen Medien, bewertet die Lage so: “Nach dem Glücksspielrecht muss man solche Angebot an zwei Kriterien prüfen: Sie müssen überwiegend zufallsbestimmt und die Teilnahme mit einem erheblichen Gewinneinsatz verbunden sein.” Als erheblich gelten der Spruchpraxis nach Einsätze von mehr als 50 Cent.
Allerdings ist diese 50-Cent-Grenze von Gerichten durchaus interpretierbar: Darf der Einsatz für eine Gewinnchance nicht mehr kosten oder die Teilnahme insgesamt? Bei Swoopo kann man ja durch mehrere Gebote bei einer Auktion abgeben, die zusammen deutlich mehr als 50 Cent kosten. Das Landgericht Köln hat im April (Az. 33 O 45/09) zum Beispiel gegen einen Web-Anbieter entschieden, dass ein Gewinnspiel, bei dem man mehrere Lose zu 0,50 Euro kauft, verbotene Glücksspiele sind, weil die Ausgestaltung des Spiels dazu animiere, mehr als ein Los zu kaufen.
Ob andere Gerichte in anderen Fällen dieser ungewöhnlichen Interpretation folgen, ist fraglich – mit dieser Argumentation könnte man auch alle Anruf-Gewinnspiele im Fernsehen zu unerlaubtem Glücksspiel erklären.