Software: Adobe verschenkt Web-Photoshop - und grabscht nach Bildrechten (Spiegel Online, 27.3.2008)
Bildbearbeitung
Adobe verschenkt Web-Photoshop – und grabscht nach Bildrechten
Online-Fotoaufhübscher machen klassischer Bildbearbeitung Konkurrenz. Platzhirsch Adobe hält mit einem eigenen Gratis-Webprogramm dagegen. Photoshop Express soll im Netz Amateurknipser locken. Der Haken: Adobe sichert sich per Nutzungsbedingung Rechte an den Fotos der Mitglieder.
Spiegel Online, 27.3.2008
Geld muss man nicht bezahlen für die neue Online-Bildbearbeitung Photoshop Express: Zwei Gigabyte Speicherplatz, grundlegende Bearbeitungsfunktionen, eine im Web so noch nie gesehene Bedienung – das gibt es bei Adobe alles für lau. Doch ganz ohne Gegenleistung bekommt man dieses Angebot nicht.
Bei der Registrierung für Photoshop Express muss der Nutzer wie bei fast jedem Online-Dienst umfangreichen Geschäftsbedingungen zustimmen. Skeptisch macht die Formulierung, man stimme hier auch allen anderen, "per Verweis eingeschlossenen" (im englischen Original: "incorporated by reference") Dokumenten zu. Nach zwei Klicks und viel Scrollen ist man dann beim Eingemachten: "Nutzung ihrer Inhalte". Da lässt sich Adobe für alle über den Photoshop-Dienst zum Beispiel in Bildergalerien veröffentlichten Fotos unter anderem diese Rechte weltweit, wenn auch nicht exklusiv einräumen. Adobe darf:
- mit öffentlichen Fotos der Nutzer "Einnahmen erzielen".
- diese Bilder "reproduzieren, verändern, veröffentlichen" und in "anderen Materialien oder Arbeiten in jedem Format und Medium" verwenden
- das Bildmaterial "an Dritte weiterlizenzieren"
Diese Lizenz
- lässt sich Adobe weltweit einräumen.
- gilt "unbefristet" und "unabänderlich".
- gewährt der Lizenzgeber, ohne dafür Gebühren zu erhalten.
Adobe darf Nutzerfotos weiterverkaufen
Eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE zu diesen Klauseln konnte Adobe bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantworten. Möglicherweise sichert sich Adobe über diese Klausel nur eine Weitergabe von Screenshots an Agenturen zwecks Werbung für Adobe ab.
Auf Basis dieser Geschäftsbedingungen ist es aber auch denkbar, dass Adobe nach einigen Monaten eine Bilddatenbank einrichtet, wo Magazine die öffentlichen Fotos von Photoshop-Express-Nutzern kaufen können – und allein Adobe dafür Geld bezahlen müssen. Das ist allerdings wenig wahrscheinlich, denn damit würde Adobe auf lange Zeit das Vertrauen seiner Kunden verlieren.
Trotzdem: Diese weitreichenden Geschäftsbedingungen sind ungewöhnlich. Der Online-Bilderdienst Flickr zum Beispiel greift deutlich weniger Rechte ab. In den Flickr betreffenden Geschäftsbedingungen des Mutterkonzerns Yahoo räumen Flickr-Mitglieder dem Dienst Rechte ein. Wesentliche Unterschiede zu den Adobe-AGB:
Flickr darf die Mitgliederfotos zwar auch "verbreiten, vervielfältigen, anpassen, öffentlich zeigen" – allerdings nur "innerhalb des Dienstes" und nur "zu dem Zweck, zu dem diese Inhalte eingestellt wurden".
Die eingeräumten Rechte erlöschen, sobald Mitglieder keine Fotos mehr bei Flickr einstellen.
Picnik, der stärkste Konkurrent Adobes bei der Web-Bildbearbeitung (siehe Fotostrecke unten), lässt sich überhaupt keine Bildrechte per AGB gewähren. Hintergrund: Picnik speichert die Fotos seiner Mitglieder nicht auf eigenen Servern, sondern dort, wo die Ursprungsbilder herkamen – dem Heimrechner, bei Online-Fotodiensten wie Flickr oder sozialen Netzwerken wie Facebook.
Trotz dieses Unterschieds: Picnik und Photoshop Express ergänzen einander nicht – die Dienste sind die echten Rivalen bei den Web-Bildbearbeitern. Beide richten sich an Amateurknipser, beide bieten kostenlos und online Basisbildbearbeitung.
Sammeln, Verschönern, Veröffentlichten – SPIEGEL ONLINE vergleicht die Gratis- Fotoaufhübscher Photoshop Express und Picnik.
Anbindung an Flickr, Facebook & Co.
Hat man seine Fotos einmal in das Flickr-Album oder das Facebook-Profil geladen, wird die Bildbearbeitung mit einem traditionellen Desktop-Programm zum Krampf: Erst muss man die Bilder herunterladen, dann bearbeiten, dann hochladen und womöglich zuvor noch die alte Version beim Online-Dienst löschen.
Das können Web-Bildbearbeiter wie Picnik und Photoshop besser. Über Schnittstellen greifen sie – nach erfolgreichem Login – direkt auf die Bilddatenbanken von Flickr, Facebook und Co. zu, rufen dort die Fotos ab und speichern die bearbeiteten Versionen auch direkt dort. Vorausgesetzt, die Web-Bildbearbeiter verstehen sich mit den Online-Diensten. Der Vergleich ist etwas unfair, denn Photoshop ist derzeit offiziell in der Beta-Phase und Picnik tritt als fertiges Produkt an.
Photoshop Express bedient sich aus diesen Bildquellen
- Festplatte des jeweils benutzten Rechners
- Facebook: Nach Login lassen sich dort alle Fotos bearbeiten.
- Photobucket
- Picasa
Picnik unterstützt weit mehr Bildquellen:
- Festplatte des jeweils benutzten Rechners
- angeschlossene Webcam am jeweils benutzten Rechner
- beliebige Webseiten: URL eintippen, Picnik ruft alle Bilder ab, man kann aussuchen, welches man bearbeiten will – das Ergebnis wird auf der Festplatte gespeichert.
- Flickr
- Picasa
- Photobucket
- MySpace
- Webshots
Fazit: Bei Picnik überzeugt vor allem die nahtlose Anbindung an das beliebte Fotoportal Flickr – hier muss Adobe nachbessern und hat entsprechende Erweiterungen bereits angedeutet.
Werkzeugvielfalt
17 Werkzeuge bietet Photoshop Express zur Bildbearbeitung. Neben den Standardhilfen (Beschneiden, Drehen, Weichzeichnen usw.) ist der aus klassischen Photoshop-Versionen bekannte Stempel vorhanden. Mit dem kann man zum Beispiel in Porträts Pickel oder Piercings verschwinden lassen – man überstempelt sie einfach.
Toll ist bei allen Photoshop-Express-Werkzeugen die Bedienung: Die Software zeigt in einer Vorschau oberhalb des Bildes mehrere Miniaturansichten mit Bearbeitungsvorschlägen. Statt einen Regler beliebig zu verschieben und sich das Ergebnis anzusehen, hat man gleich mehrere alternative Bearbeitungsstufen sichtbar und parallel zur Auswahl. Da ist Photoshop im Web weiter als die meisten Desktop-Bildbearbeitungsprogramme. Beeindruckend ist auch die Möglichkeit, jede Veränderung an einem Bild, jeden einzelnen Bearbeitungsschritt zu widerrufen. Egal, wie viel man experimentiert, das Originalbild ist nie verloren, man kann sich in Photoshop Express einfach zurückklicken.
Pincik bietet seinen Kunden weit mehr Möglichkeiten zur Bildbearbeitung: Neben zehn grundlegenden Werkzeugen hat man mehr als 30 Effekte zur Auswahl. Außerdem kann man bei Pincik Texte, Rahmen und Formen einfügen. Profis mögen da die Nase rümpfen – aber solche Spielereien dürften Amateure ansprechen. Trotz der Funktionsfülle ist Picnik intuitiv bedienbar.
Fazit: Die grundlegenden Werkzeuge bieten beide Dienste. Bei Photoshop Express überzeugt die neuartige Bedienung mit Vorschlägen und Voransichten verschiedener Bearbeitungsstufen. Pincik schlägt die Konkurrenz aber mit der größere Fülle an Werkzeugen und Effekten. Hier will Adobe aber nachbessern.
Fazit: Photoshop Express ist vielversprechend, aber nicht fertig
Gegenüber Picnik bietet Photoshop Express als Alleinstellungsmerkmale:
- zwei Gigabyte kostenlosen Speicherplatz
- die Möglichkeit, Fotos in schicken Web-Galerien seinen Freunden (müssen zum Betrachten nicht registriert sein) oder allen Webnutzern zu zeigen.
- das Angebot, bei Photoshop Express gespeicherte Fotos anderswo im Web einzubinden
- die Möglichkeit, Galerien anderer Photoshop-Express-Nutzer zu durchsuchen, deren Fotos zu bewerten und zu durchsuchen.
Mit den Möglichkeiten zum Speichern, Präsentieren und Durchstöbern legt sich Photoshop Express mit Online-Diensten wie Flickr an. Bei diesen Funktionen ist Photoshop Express Pcinik überlegen – der Dienst verzichtet völlig auf Gemeinschafts- und Präsentationsangebote, überlässt dies völlig Flickr und ähnlichen Portalen. Diesen Platzhirschen ist Photoshop als Web-Gemeinschaft weit unterlegen – hier richtet sich Photoshop als Komplettangebot an Online-Neulinge.
Bei der Bildbearbeitung bietet Picnik mehr Funktionen als Photoshop Express, aber Adobe hat schon angekündigt, hier nachzubessern. In Zukunft sollen einige neue Funktionen bei Adobe im Abo zu haben sein, auch zusätzlichen Speicherplatz sollt man irgendwann dazubuchen können. Pincik bietet heute schon ein Bezahlmodell. Für 25 Dollar im Jahr fällt die lästige Werbung weg, man kann Bilder aus mehreren Online-Diensten gleichzeitig bearbeiten, einige Profi-Funktionen nutzen (Bildebenen zum Beispiel) und ausgefallene FontShop-Schriften in seinen Bildern verwenden.
Derzeit bietet Picnik in der Kostenlos- und erst recht in der Abo-Version mehr Funktionen als Photoshop Express. Das kostenlose Adobe Web-Angebot ist für Neulinge interessant, die keinen Flickr-Account haben, ein paar Schnappschüsse bearbeiten und schick im Web präsentieren wollen. Aber das kann sich in den nächsten Monaten ändern. Photoshop Express hat viel Potential – um den Preis recht eigenwilliger Nutzungsbedingungen.
Nachtrag 28.3.2008: Adobe gibt Fehler zu – Grabsch-Klausel soll verschwinden
Adobe-Sprecher Alexander Hopstein erklärt SPIEGEL ONLINE: "Die Geschäftsbedingungen wurden noch einmal geprüft, wir stimmen zu, dass sie Dinge implizieren, die wir niemals mit den Inhalten unserer Kunden tun würden." Deshalb, so Hopstein, sollen die Klauseln so schnell es geht entschärft werden: "Unsere Rechtsabteilung arbeitet mit hoher Priorität an neuen Geschäftsbedingungen, die den Photoshop-Express-Nutzern angemessen sind."
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