Sonderseiten für Parteien: So dient Twitter sich den Mächtigen an (8.12.2012)
Sonderseiten für Parteien
So dient Twitter sich den Mächtigen an
Twitter spendierte der CDU eine Sonderseite zum Parteitag. Wie die Inhalte ausgewählt wurden, will das Unternehmen nicht verraten. Der Fall zeigt die Probleme bei Twitters Wandel zum Medienanbieter: Hier arbeiten die Publizisten in der Sales-Abteilung.
Spiegel Online, 8.12.2012
Twitter hat der CDU zum Bundesparteitag ein Geschenk gemacht: Eine eigene “Event Page” bekam die Partei. Schön sah die Sonderseite aus, zumindest für die CDU: Als “Top People”, die etwas zur Partei zu sagen haben, warb Twitter dort ausschließlich für Konten von CDU-Vertretern. In den auf dieser Seite präsentierten Tweets konnte man dann zum Beispiel lesen, dass der Generalsekretär sich die Delegiertenhalle vor Beginn des Parteitags angeschaut hat.
Hat jemand diese betulichen Tweets ausgewählt? Wurde Kritik nicht angezeigt? Diesen Vorwurf erhebt die “Süddeutsche Zeitung“: Twitter habe den Parteitag “geschönt” dargestellt, kritisiert die Zeitung. Einige Twitter-Nutzer behaupten sogar, CDU-Verantwortliche hätten die bei Twitter gesondert präsentierten Nachrichten vorab auswählen dürfen. Die CDU widerspricht dieser Darstellung: Man habe keinen Einfluss auf die Auswahl der Nachrichten gehabt, heißt es aus der Parteizentrale. Ob und nach welchen Kriterien Twitter auf der Übersichtsseite gefiltert hat, ist nicht klar. Ein Firmensprecher beantwortet diese Frage lediglich mit dem ausweichenden Hinweis: “Die Gesamtheit der Tweets bleibt auch auf der Seite einsehbar.”
Die Aufregung um Twitters besonderen Service für die CDU könnte man als Petitesse abtun. Die Kritiker liefern keine Beispiele für eklatante Eingriffe in die Berichterstattung. Doch der Fall ist beispielhaft für alle Probleme, die entstehen, wenn Internet-Konzerne als Medien auftreten. Twitter, Google und Facebook zeigen einem großen Publikum einen Ausschnitt der Wirklichkeit – bestimmt nach eigenen Kriterien und manchmal auch nach den Interessen der Firma, umgeben von Werbung.
Das ist manchmal nah an dem, was Journalisten machen, gerade bei Twitter. Die Firma wirbt für seine Sonderseiten zu Parteitagen und Sportveranstaltungen, auf denen der Twitter-Algorithmus und Twitters Angestellte von anderen getwitterte Fotos, Wortmeldungen und Videos neu zusammenstellen.
Unabhängigkeit, Trennung von Werbung und Redaktion, Sorgfaltspflicht – diese Interessenkonflikte ergeben sich aus Twitters Geschäftsmodell.
1. Twitter muss Partner und Promis bei Laune halten
Bei Twitter sind Mitarbeiter eigens dafür zuständig, kostenlos exklusive Inhalte aus Politik, Sport und Unterhaltung heranzuholen. Diese “Partnership Manager” und “Content Strategists” sollen Politiker, Sportler, Musiker und andere bekannte Persönlichkeiten zum Twittern bringen.
Twitter kooperiert aber auch mit Unternehmen wie dem US-Rennveranstalter Nascar. Twitter berichtet auf speziellen Seiten über Rennen und organisiert besondere Live-Veranstaltungen mit Fahrern. Ob bei solchen Kooperationen Geld fließt, wer wen wofür womit (Werbeflächen, exklusiver Zugang, garantierte Reichweiten) bezahlt, ist nicht öffentlich bekannt.
Diese Konstellation kann problematisch sein: Einerseits ist Twitter dem Publikum verpflichtet, andererseits den Lieferanten attraktiver Inhalte. Von den Olympischen Spielen in London berichtete Twitter zum Beispiel in Kooperation mit dem US-Medienkonzern NBC-Universal, Twitter-Mitarbeiter platzierten auf der Übersichtsseite zu den Spielen prominent Tweets von Sportlern und NBC-Reportern. Reagieren Mitarbeiter in Twitters Sperrabteilung anders, wenn Menschen solche geschätzten Partner auf Twitter kritisieren? Werden Twitter-Redakteure Tweets von Umweltschützern mit dem Nascar-Hashtag auf der Sonderseite zu einem der Rennen dulden?
2. Twitter vermischt Inhalte und Marketing
Twitter lässt sich dafür bezahlen, dass bestimmte Nachrichten und Schlagworte im normalen Angebot hervorgehoben präsentiert werden. Diese “promoted Tweets” und “Trends” kennzeichnet die Firma auch vorbildlich. Wer weiß, was “promoted” bedeutet, weiß auch, dass der Urheber dieser Botschaft gezahlt hat. Bei anderen Inhalten sind die Interessen nicht zu erkennen. Twitters Sonderseite zum CDU-Parteitag war zum Beispiel nicht als Werbung gezeichnet – muss sie auch nicht, laut Twitter hat die CDU nicht gezahlt.
Dennoch ist eine solche Sonderseite nicht dasselbe wie der normale Twitter-Feed, den sich jeder Nutzer aus seinen Abonnement selbst zusammenstellt. Twitter hat in irgendeiner Form aus bestimmten Interessen einen gewissen Ausschnitt der Berichte über die Partei ausgewählt. Irgendjemand muss wohl entschieden haben, dass CDU-Vertreter die relevantesten Kommentare zur CDU-Veranstaltung schreiben. Wenn Twitter das getan hat, um sich der CDU (und anderen Parteien) als Plattform anzudienen, sollte das Unternehmen das klar machen. Ist das Werbung in eigener Sache? Kostenlose PR? Eine Produktdemonstration? Müssten Unternehmen für solche Dienste bezahlen, hat Twitter der CDU einen besonderen Dienst geschenkt?
3. Twitters Publizisten arbeiten in der Sales-Abteilung
Als Twitter im Sommer die erste redaktionell betreute Sonderseite zu einem Nascar-Rennen veröffentlichte, räumte das Unternehmen mit knappen Worten ein, dass “Algorithmen und Kuratoren” über die Auswahl der prominent platzierten Nachrichten bestimmten. Nach welchen Kriterien sie das tun, wie sie mit Interessenkonflikten umgehen, ob sie nur offizielle Vertreter oder auch andere Menschen auf den groß (unter anderem mit Fernsehspots) beworbenen Sonderseiten zu Wort kommen lassen – all das ist bis heute unklar.
Twitter hat öffentlich keine publizistischen Leitlinien formuliert. Anders als bei Medien gibt es keinen Chefredakteur, der über inhaltliche Fragen bestimmt. Für welche Ereignisse richtet Twitter zum Beispiel Sonderseiten wie zum CDU-Parteitag ein? Bekommt die Linke als im Bundestag vertretene Partei auch eine solche Seite? Warum gibt es keine Sonderseite zum NSU-Untersuchungsausschuss? Ist es akzeptabel, wenn bei Großereignissen nur offizielle Vertreter in eigener Sache sprechen?
Twitter hat keinen Manager, der ausschließlich über solche Fragen entscheidet. Zumindest aus den Stellenanzeigen für die Content Strategists und andere publizistische Mitarbeiter ist nicht abzulesen, dass Twitter sich dieser Problematik bewusst ist. Die Publizisten arbeiten in derselben Abteilung wie die Anzeigenverkäufer – Business Development & Sales.