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Sony gegen Kindle: Duell der Billig-E-Reader (Spiegel Online, 3.11.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Sony gegen Kindle

Duell der Billig-E-Reader

Im Wettbewerb der Billig-Reader schickt Sony den PRS-T1 ins Rennen, Amazon seinen 99-Euro-Kindle. Aber taugen die preiswerten Lesegeräte überhaupt etwas? Welche Funktionen fehlen, welches Produkt ist dem anderen überlegen? SPIEGEL ONLINE hat’s ausprobiert.

SPIEGEL ONLINE, 3.11.2011

{jumi [*3]}

Die billigsten Lesegeräte sind das nicht – aber der 99-Euro-Kindle und der 149 Euro teure Sony PRS-T1 sind die bisher günstigsten digitalen Lesegeräte ihrer Klasse in Deutschland. Beide haben ein Display mit sogenannter E-Ink-Technologie. Diese digitale Tinte zeigt Texte mit hohem Kontrast und höherer Auflösung als LCD-Bildschirme an. Diese Displays verbrauchen wenig Strom, spiegeln nicht und sind aus jedem Blickwinkel gut lesbar – E-Ink ist die derzeit beste Technologie zum Darstellen digitaler Bücher und reiner Texte.

Im Hinblick auf die Displays unterscheiden sich die beiden Lesegeräte kaum – die Darstellung des Sony-Readers wirkt ein wenig matter, aber das fällt nur im direkten Vergleich auf, beim Lesen stört es nicht.

Der 99-Euro-Kindle hat, anders als die teureren Modelle von Amazon, keine Tastatur und anders als das Sony-Lesegerät keinen Touchscreen. Das stört aber nur, wenn man Anmerkungen in E-Books tippen will – die Texteingabe mit dem 99-Euro-Kindle ist eine Qual, da man jeden Buchstaben einzeln über einen Vier-Wege-Schalter auswählen muss. Das reine Unterstreichen von Textstellen funktioniert mit dem Wipp-Schalter sehr gut, vor- und zurückblättern kann man mit speziellen Tasten am Bildschirmrand. Das ist sehr komfortabel, und man kann mit dem 170 Gramm leichten Kindle-Lesegerät bequem einhändig lesen.

99-Euro-Kindle – gut zum Lesen, schlecht für Notizen

Aber schon das Einkaufen neuer Digitalbücher mit dem Kindle ist mangels brauchbarer Schnittstelle zur Texteingabe mühsam. Allerdings wird man mit dem 99-Euro-Kindle wohl ohnehin nicht allzu oft unterwegs neue Bücher, Magazine oder Zeitungsausgaben kaufen – der kleine Kindle hat keine Mobilfunk-Anbindung, nur ein W-Lan-Modul. Zu Hause ist dieser Weg der komfortabelste: Man stöbert am Rechner in Amazons Digitalbuchangebot, bestellt am Computer und lässt die neuen Titel dann direkt an den Kindle schicken. Wenn das Lesegerät im Heim-W-Lan eingeloggt ist, wird der gerade erworbene Titel binnen Sekunden von Amazon übertragen.

Beim Sony-Lesegerät PRS-T1 fällt es dank des Touchscreens erheblich leichter, Anmerkungen oder Suchanfragen über die eingeblendete Bildschirmtastatur einzugeben. Doch diesen technischen Vorteil setzt die Sony-Software nicht um. Der integrierte Sony-eigene Digitalbuchladen ist derzeit in Deutschland nicht verfügbar, man kann also nicht direkt über das Lesegerät neue Titel kaufen und laden. Das soll sich noch in diesem Jahr ändern – doch bis dahin ist man darauf angewiesen, Digitalbücher über den Heimrechner mit einem USB-Kabel auf das Sony-Lesegerät zu übertragen.

Das funktioniert so: Erst muss man die Sony-Software auf dem PC oder Mac installieren. Dann kauft man übers Web bei einem der Digitalbuchläden von Thalia, Libreka, der Mayerschen oder Libri ein Werk. Der Browser lädt eine Datei herunter, die automatisch von der Sony-Software geöffnet wird. Danach leitet die Sony-Software den Download des gekauften Digitalbuchs ein. Im nächsten Schritt muss man dann noch das Sony-Lesegerät mit der Sony-Software synchronisieren. Dieser Ablauf ist im Vergleich zu Amazons Kindle-Angebot umständlich, dafür kann man zwischen mehreren Anbietern wählen. Das Verfahren funktionierte bei unseren Testkäufen kopiergeschützter Digitalbücher von Thalia und Libreka problemlos.

Praktische Touchscreen-Tastatur, fehlende Web-Dienste

Die Bildschirmtastatur des Sony-Lesegeräts eignet sich theoretisch sehr gut dafür, Textpassagen zu markieren und mit eigenen Notizen zu versehen. Um die eigenen Notizen und Markierungen zu nutzen, muss man allerdings erst das Lesegerät per USB-Kabel mit dem Computer synchronisieren und dann die Anmerkungen als RTF-Datei exportieren. Beim Kindle hingegen synchronisiert Amazon im Hintergrund Notizen und markierte Textpassagen automatisch.

Man kann Textstellen und Anmerkungen über die Amazon-Homepage abrufen – und im Browser direkt bearbeiten. Amazon synchronisiert auch markierte Passagen und Notizen in Dokumenten, die man selbst auf das eigene Lesegerät geladen hat (ePub-Dokumente und PDFs muss man dazu allerdings in ein anderes, unterstütztes Format umwandeln). Zudem bietet Amazon die Möglichkeit, die eigenen – bei Amazon gekauften – Digitalbücher direkt im Browser an jedem Rechner zu lesen und direkt zu Textmarkierungen und Notizen zu springen. Sony bietet derzeit nichts Vergleichbares.

Sony versteckt das Android-System

Sony nutzt aufgrund seiner mangelhaften Software die Vorzüge des Touchscreens für die Textarbeit nicht aus. Und versperrt den Weg für Entwickler, die es vielleicht besser könnten. Das Betriebssystem des PRS-T1 ist eine modifizierte Version des Google-Systems Android. Theoretisch können auf dem Sony-Lesegerät viele Android-Anwendungen laufen, Sony verhindert das aber durch die restriktive Gestaltung der Software. In Web-Foren sind Anleitungen aufgetaucht, mit denen man binnen zehn Minuten das Sony-Lesegerät als Android-Tablet nutzen und zusätzliche Anwendungen wie zum Beispiel die Kindle-Software installieren kann.

Allerdings empfiehlt es sich nicht, Sony-Touchscreen-Reader zu kaufen, um darauf Kindle-Digitalbücher zu lesen. Denn die Kindle-Software sieht den Sony-Reader als ein Android-Tablet an, die Bildschirmdarstellung und die Markierungsfunktion für Textpassagen sind auf die schnellen LCD-Displays von Tablets zugeschnitten – die Kindle-Software ist auf dem Sony-Lesegerät daher kaum zu benutzen. Umblättern geht langsam, der Cursor lässt sich nur unzureichend steuern. Abgesehen davon ist die Frage, was das Herumwerkeln an der Lesegeräte-Software für Auswirkungen auf Gewährleistung und Garantie hat.

Mangels brauchbarer Software und Web-Dienste ist Sonys Touchscreen-Lesegerät als Werkzeug zur Arbeit mit Texten fast genauso schlecht geeignet wie Amazons 99-Euro-Kindle. Wer nur lesen will, dürfte mit dem Kindle genauso zufrieden sein wie mit dem 149 Euro teuren Sony-Gerät. Wenn es Sony einmal gelingt, die eigene Software und die Web-Dienste auf den Stand des Amazon-Angebots zu bringen, könnte das Touchscreen-Lesegerät eine echte Konkurrenz sein. Aber vielleicht bietet Amazon bis dahin auch seinen Touchscreen-Kindle in Deutschland an. Derzeit ist das dem Sony-Reader sehr ähnliche Gerät nur in den Vereinigten Staaten erhältlich – für 99 Dollar.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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