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Spam-Lyrik: "Unsere hornigen Mädchen auf Zeile diese Nacht" (Spiegel Online, 30.7.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Spam-Lyrik

"Unsere hornigen Mädchen auf Zeile diese Nacht"

So absurd muss Spam heute klingen, um überhaupt noch aufzufallen: Al-Qaida gibt Gewinnwarnungen heraus, Jesus tritt bei "Big Brother" auf – und manche Menschen brauchen womöglich Y-förmige Särge. Lesen Sie die bizarrsten Werbemails, die SPIEGEL-ONLINE-Leser je bekommen haben.

Spiegel Online, 30.7.2008

Natürlich nervt Spam. Unerwünschte Werbebotschaften wie "So werden
sie von jeder Frau vergoettert!" oder "Gaming-Sensation in Europa" sind
langweilig, abgenutzt und beleidigen die Intelligenz der meisten
Empfänger. Wer fällt darauf schon rein?

Deshalb versuchen Spammer, sich nun mit skurrilen Botschaften ("Gott
übernimmt Verantwortung für Hurrikan") an den Mail-Filtern
vorbeizumogeln und die Aufmerksamkeit der Empfänger zu wecken (mehr…).

Das klappt sehr gut, wie die Einsendungen vieler Leser von SPIEGEL
ONLINE zeigen. Sie haben ihre liebsten Spam-Gedichte und die bizarrsten
Werbenachrichten aus ihren Postfächern ausgewählt.


Spam
wird aufmerksam gelesen und goutiert – allerdings gar nicht im Sinne
der Versender: Die Empfänger amüsieren sich über dilettantisch-komische
Werbetexte, absurde Produkte und skurrile Software-Dichtung.

Schlecht für Spammer: Klicken, lesen, lachen – die beworbenen
Produkte und Seiten interessieren kaum jemanden. Aber die paar, die
doch reagieren, reichen offenbar, um die internationale Spam-Flut am
Laufen zu halten.

Reiherhunger, hornige Mädchen und der Y-förmige Sarg – SPIEGEL
ONLINE dokumentiert unfreiwillig komische Höhepunkte aus Werbemails:


Philosophische Betreffzeilen gegen die Wiedergeburt

Zwei kurze Sätze – Riesenwirkung. Viele Leser grübeln über die Bedeutung dieser Betreffzeile: 

"Man lebt nur einmal – probier’s aus!"

Dieser Rat ziert seit einiger Zeit Werbemails für Potenzpillen.
Schlechter Schachzug der Spammer – die meisten Leser bleiben beim
Betreff hängen, interpretieren, grübeln und kommen dabei gar nicht zu
den Potenzversprechen der eigentlichen Nachricht. Einige Reaktionen
grübelnder Leser:

  • "Ein wundervoll hochphilosophischer Rat,
    den man eigentlich nur weitergeben kann. Solange man ihn als
    Aufforderung versteht, es mal damit zu probieren, wirklich zu leben –
    und nicht dazu, auszuprobieren, ob es denn tatsächlich nur einmal der
    Fall ist."
  • "Gute Idee, oder?"
  • "Leider geht aus den E-Mails nie hervor,
    was denn die Alternative zum Ausprobieren des Nur-einmal-Lebens wäre.
    Suizid? Konversion zum Buddhismus?"

Spam, der die Empfänger ratlos zurücklässt, über das Leben, den Sinn
und all das grübeln lässt – aus Werbersicht keine gute Idee.


Übersetzungspannen, Verbindungsgebrüll und hornige Mädchen

Diese Spam-Nachricht kursiert seit einer kleinen Online-Ewigkeit im
Web, ein Leser hat sie vor zwei Jahren archiviert. Begründung: "Ein
Klassiker, der zum Löschen einfach zu schade war." Welch eine Ehre für
Spammer, deren Nachrichten doch eigentlich so schnell wie möglich, am
besten ungelesen, gelöscht werden. Kostproben aus der offensichtlich
von einem miserablen Übersetzungsprogramm gefertigten Kontotrick-Mail:

  • "Wenn Ihr Konto in jeder nicht bevollmächtigten Tätigkeit, wie
    Schlagseite habende Einzelheiten oder stellende Gebote verwendet wurde.
    (…) Wir versichern Sie, dass Ihre Kreditkarte-Information auf einem
    sicheren Server versorgt wird. (…) Um Kontrolle Ihres Kontos
    wiederzugewinnen, klicken Sie bitte auf das Verbindungsgebrüll."

Ganz ähnlich dürften andere Klassiker der Maschinenübersetzung entstanden sein, die Leser seit Jahren amüsieren:

  • "Unsere hornigen Mädchen auf Zeile diese Nacht."
  • "Hallo, wir laden Sie zu unseren 72 Stunden Geschlechtstadium ein. Erster Tag: Geschlechtfilmhandeln."

Die "reizvollen Phasenmädchen" sollen die Empfänger dieser
Spam-Botschaft erst am zweiten Tag treffen. Aber: "Zeit aus 30
Minuten."

Was immer das alles heißen soll.


Kopierkunst, Mutters Buhle und der ewige Erkl

"Spam-Lyrik vom Feinsten" lobt ein Leser diese wirre Werbenachricht,
die offensichtlich ein Schreibautomat aus verschiedenen Texten
zusammenkopiert und durchgerührt hat. Das Ergebnis sind Passagen wie
diese:

  • "Wenn du zehnmal meiner Mutter Buhle gewesen bist. Hast du eine Lehre."
  • "Nie mehr will ich meine Augen. Eigene Homepage mit den Augen von Suchmaschinen betrachten lassen."
  • "Sie brauchen ja immer Erkl."
  • "Aber das ist kein Mensch, das ist ein Schwamm. Ich langweile mich also ein wenig."

Verrührt sind hier unter anderem Textfragmente aus Hesses
"Siddhartha", dem "kleinen Prinzen" und sicher noch einigen anderen
Quellen. Eigentlich sollte die Werbebotschaft Empfänger dazu verleiten,
bestimmte Aktien zu kaufen.

Dürfte wohl nicht geklappt haben – denn das ist kein Spam, das ist Schwamm.


Gaga-Überschriften und Universal-Helfer für Willy

Eine derzeit sehr rege Spam-Software stückelt seltsam faszinierende
Überschriften aus Online-Quellen wie dem Satiremagazin "The Specious
Report" zusammen. Die bizarr getexteten E-Mails sollen Nutzer zum
Download eines vermeintlichen Videos animieren, hinter dem sich
tatsächlich ein Trojaner verbirgt.

Ein alter Trick – doch so amüsant hat das bisher wohl kein Trojaner-Spam versucht:

  • "Britney Spears schwanger mit Antichrist – Jesus tritt in der nächsten Big Brother Staffel auf."
  • "Alter Mann stirbt bei Paris Hilton – al-Qaida berichtet über geringere Umsätze im Geschäftsjahr 2008."

Wobei die von Menschen erdachten Betreffzeilen für Spam-Nachrichten
bisweilen ähnlich komisch sind. Zum Beispiel die sehr kühne
Betreff-Behauptung:

  • "Egal, was das Problem ist – wir haben Pilz, um alles zu heilen."

Pilz? Pills. Pillen eben. Pillen, wie sie wahrscheinlich auch in dem
Werbetext zu dieser unnachahmlich debilen Betreffzeile angepriesen
werden:

  • "Lass sie 2008 nicht über deinen Willy lachen!".

Fürsorgliche Spammer und Y-förmige Särge

Spam-Texter müssen wohl ständig neue Botschaften für die immer
gleichen, angeblich potenzfördernden Mittelchen aus Online-Shops
erfinden. Das erklärt vielleicht den unbedingten Willen zu neuen
Ansätzen, der diese Spam-Nachricht so komisch macht:

  • "Wer es übertreibt, ist Schuld, wenn die Herzallerliebste am Ende einen Y-förmigen Sarg braucht."

Kommentar der Leserin, die dieses Werk in ihrem Spam-Eingang
entdeckt hat: "Lang leben die blauen Pillen und diejenigen, die sie
offensichtlich geschnupft haben. Anders kann ich mir so etwas nicht
erklären."

Das Gegenstück ist diese Werbung für sogenannte "Vi-Tabletten", deren Verfasser die Sache bemüht einfühlsam angeht:

  • "Das Beste an Vi ist die Sicherheit,
    dass man ‘mit Autopilot fliegt’ (…) auch wenn man unterbrochen wird –
    die Kinder klopfen an die Schlafzimmertür, der Hund bellt, das Kondom
    sitzt schlecht."
  • "Nur ein Rat: Sagen Sie ihr nicht, dass
    Sie es verwenden, das weibliche Selbstwertgefühl ist genauso
    verletzlich wie das unsere."

Da mag man kaum noch lachen bei so großem Einfühlungsvermögen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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