Statt Fakten, Fakten, Fakten: "qdmkÍa" (Frankfurter Rundschau, 7.11.2000)
Statt Fakten, Fakten, Fakten: "qdmkÍa"
Der Kampf um Definitionsmacht oder wie Netzkünstler die Metaphysik des Internets entzaubern
Frankfurter Rundschau, 7.11.2000
Die heutigen Zukunftsvisionen des Internets sind dieselben wie vor einem halben Jahrzehnt. Nur die Prognosen über den Zeitpunkt des Eintretens sind vager geworden. Die Künstler Natalie Bookchin und Alexej Shulgin werden da konkret. Als "Proklamation und Manifestation des utopischen Traums von Welteinheit und Realisation demokratischer globaler Kommunikation" bezeichnen sie ihr Netzkunst-Projekt Universalpage. Die Manifestation sieht da etwa so aus: "JÈ qdmkÍa, qp4urq w4 fqh,,". Ein Scherz. Ein aufwendiger mit Hintergrund allerdings: Kontinuierlich wertet ein Computerprogramm den Inhalt von verschiedenen Netzseiten auf der ganzen Welt aus und mischt die Inhalte zu einem pulsierenden, unverständlichen Etwas. "Die Seite ermöglicht der Welt das gemeinsame Beobachten und Ehren unserer vernetzten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."
Natürlich ist es ein Fehler, Sinn, Geschichte und Träume mittels Technik in Technik zu suchen. Bookchin und Shulgin begehen ihn jedoch ganz bewusst. Und sichtbar. An "qdmkÍa" als Ergebnis der Suche nach Transzendenz im weltweiten Netz gibt es nichts zu deuten. Mit der Vorgehensweise, Sinn in und durch Technik zu suchen, sind schon andere davongekommen. Schon lange vor der digitalen Revolution und ihren Propheten. Als Mitte des 19. Jahrhunderts das erste Transatlantikkabel verlegt wurde, glaubte man, alte und neue Welt wüchsen zusammen. Die nüchtern-sachlichen Technokraten des Viktorianismus sahen die Welt von einem elektrischen Gürtel umspannt und eins werden, frei von Konflikten, wie man sie im Kolonialreich kannte. Schriftsteller wie H.G. Wells und Wissenschaftler wie Vannevar Bush oder Douglas Engelbart hielten diese Visionen im 20. Jahrhundert frisch. Diese Kontinuität bis zur heutigen Internetprophetie wird immer häufiger gerade in Netzkunst wie der Universalpage kritisiert. "Der Traum ist tot", schreibt etwa Randall Packer auf der Netzkunst-Seite Rhizome. Was ist das überhaupt für eine Demokratie, in der "niemand mit Computer und Modem ausgeschlossen ist, niemand mit einem Webserver ungehört bleibt, und niemand mit der richtigen Software ignoriert wird", wie Bookchin/Shulgin es ironisch formulieren.
Aber die Universalpage macht einen viel grundlegenderen Fehler sichtbar. Dem Internet als Technologie an sich ist keine Zielrichtung eingeschrieben, keine Teleologie, diese wird allein durch den Code bestimmt, wie es der amerikanische Rechtsprofessor Lawrence Lessing ausdrückt. Seit einigen Jahren definieren mehr und mehr Unternehmen, die im Netz Geld verdienen wollen, diesen Code. Die Prioritäten bei der Entwicklung des Netzes liegen nun nicht mehr beim möglichst leichten und anonymen Zugang zu Information und Gemeinschaften, sondern eher beim effektiven Schutz von Information vor unerlaubter oder unbezahlter Nutzung und der sicheren Identifizierung von Anwendern zum Ziele der Abrechnung.
Gegen diese Entwicklung richten sich die Projekte der Netzkünstler von ®TMark. Die Organisation bekämpft seit 1993 die sogenannte Corporate-Culture. Der Trick besteht in der Assimilation mit dem Ziel der Sabotage. So präsentiert sich ®TMark auf der Netzseite samt 40minütger Video-Selbstdarstellung nach allen Unternehmensregeln. 14 Fonds werden betrieben, in jeden können Investoren einzahlen. Die Rendite wird in Form von kulturellem Aktivismus ausgezahlt. Einige Projekte: Internet-Werbebanner bekannter Unternehmen werden durch Pornografie ausgetauscht, in Computerstartbildschirmen wird das Firmenlogo des Herstellers durch ein nichtssagendes ausgetauscht, auf einer Internetauktionsseite können Wählerstimmen für den US-Präsidentschaftswahlkampf gekauft werden.
Die Vision einer Weltdemokratie hat den Weltmarktplatz geboren. Während ®TMark die Definitionsmacht der Corporate Culture über die Technik angreift, attackiert Netzkünstler Benjamin Chang mit seinem Image Pillager die Definitionsmacht der Technik. Ähnlich wie Universalpage es mit Text tut, fügt Image Pillager Bildfragmente von Netzseiten aus der ganzen Welt zu einer skurrilen Collage. Die Oberfläche von Suchmaschinen wie Yahoo! erscheint dann nur noch als Fiktion, ähnlich jener, der sich die Enzyklopädisten hingaben, als sie glaubten, das Wissen der Welt alphabetisch sortieren zu können. Tatsächlich aber haben Yahoo! und Konsorten nur einen Bruchteil der digitalen Welt indiziert, obwohl ihre Oberfläche eine unermessliche Wissensfülle und -tiefe suggeriert. Ähnliches leistet Bill Gates Bilderdatenbank Corbis für die Welt. Die Millionen Fotografien sind digitalisiert und somit in Sekundenschnelle zu durchsuchen. Das Bildergedächtnis des Planeten scheint in einem Weltgehirn, wie H.G. Wells es imaginierte, verfügbar zu sein. Schon Anfang der 60er Jahre schrieb der französische Soziologe Jacques Ellul, Technik müsse das Maximum an Daten und Phänomenen erfassen, um effizient zu sein. Corbis ist ein Beispiel für einen solchen Kolonialisierungsversuch der Welt durch die Technik, als dessen logische Konsequenz Ellul in La Technique ou l'enjeu du siècle den Totalitarismus prophezeite.
Die Technologie, so meinte Ellus bereits Anfang der 60er Jahre, habe den Glauben zerstört und sei so paradoxerweise zu seinem neuen Objekt erhoben worden. Schon die britischen Utilitaristen im 19. Jahrhundert erlagen dieser Versuchung. Mister Gradgrind in Dickens Hard Times sagte: "Facts alone are wanted in life. Plant nothing else, and root out everything else." Es kann also nur heilsam wirken, wenn Projekte wie Universalpage aus den Fakten wieder etwas anderes machen: "qdmkÍa".