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Street-View-Debatte: Brüllen gegen Google (Spiegel Online, 8.2.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Street-View-Debatte

Brüllen gegen Google

Schlimmer als jeden Geheimdienst nennt Verbraucherschutzministerin Aigner Google. Das ist falsch und beispielhaft für die Angstdebatte über die Digitalisierung: Politiker sprechen über Verbote, aber nie über die Abwägung von Grundrechten – und reden damit konsequent am Kern des Problems vorbei.

Spiegel Online, 8.2.2010

Es ist in Deutschland keineswegs verboten, im öffentlichen Raum zu fotografieren. Das vergisst man leicht angesichts der Äußerungen von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die im “Focus” ankündigt, gegen “Aufnahmen von Google” vorzugehen. Glaubt man der Ministerin, sind Googles Straßenfotos derzeit die größte Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung deutscher Bürger. Aigner wörtlich: “Kein Geheimdienst würde so ungeniert auf Bilderjagd gehen. Bereits heute besitzt der Suchmaschinen-Konzern Google genauere Personenprofile als jede Regierung dieser Welt.”

Es gibt gute Gründe, das zu bezweifeln.

Über einen davon muss derzeit das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das von CDU, CSU und SPD durchgeboxte Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung verpflichtet Telekommunikationsfirmen, Informationen zu Gesprächen und Datenabrufen per Festnetz, Fax, Handy und Internet sechs Monate lang zu speichern. Sie protokollieren, wer mit wem am Telefon gesprochen hat, wer wann das Internet benutzt und an wen E-Mails versandt hat.

Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte können auf diese Daten zugreifen, wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt. Die Geheimdienste, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst dürften jederzeit ohne richterliche Anordnung auf die gespeicherten Daten zurückgreifen.

Google spioniert, die Vorratsdatenspeicherer nicht

Keinerlei Widerspruch gab es in den vergangenen Jahren von der Bundesregierung, wenn US-Kollegen nach Datenweitergabe fragten – von Informationen über EU-Bürger und ihre Strafzettel bis hin zur Echtzeit-Weiterleitung aller Bankgeschäfte. Bei der Weitergabe von DNS-Daten zierte sich Berlin allerdings, und teilt diese nur mit EU-Partnern. Ach ja, die teilen dann mit den USA.

Die Vorratsdatenspeicherung und andere Beispiele zeigen also, dass neue Technologien beim Staat – genauso wie bei Unternehmen – neue Begehrlichkeiten wecken. Mehr und mehr Menschen wickeln immer größere Teile ihres Alltags digital ab – sie chatten, recherchieren und vernetzen sich im Web, veröffentlichen Fotos, bestellen Produkte. Suchen nach guten Restaurants, freundlichen Ärzten und nach dem Weg zur nächsten Bushaltestelle. Das Netz überlagert die physische Realität mit einer neuen Informationsebene (Straßenbilder, Navigationsdienste, ortsbezogene Informationen zu Dienstleistern, Bewertungen und Kommentare).

Gibt es ein Gegenstück zum öffentlichen Raum im Netz?

Das hat Vorteile und deshalb verbringen Menschen immer mehr Lebenszeit mit dem Netz. Daraus ergeben sich einige Fragen, die weit komplexer sind als die gerade so heftig debattierte, ob Google nun gut oder böse ist. Zum Beispiel: Wie definieren wir öffentlichen Raum im Netz? Und als Gegenfrage: Wie die Privatsphäre?

Ilse Aigners Kommentare (“flächendeckende Fotoaktion ist nichts anderes als eine millionenfache Verletzung der Privatsphäre”, “rechtliche Schritte”) klingen, als wäre die sauberste und einfachste Lösung das Verbot des systematischen Fotografierens im öffentlichen Raum.

Nur ist das Fotografieren an sich nicht das Problem – und auch keineswegs illegal. Das deutsche Recht wägt an vielen Stellen die Rechte von Passanten und Hausbesitzern mit denen von Fotografen ab:

  • Wer eine Landschaft oder ein Bauwerk fotografiert und dabei Passanten mit aufnimmt, muss dafür und für die Veröffentlichung der Bilder laut Kunst-Urhebergesetz nicht die Einwilligung des zufällig Abgebildeten einholen.
  • Wer im öffentlichen Raum Kunstwerke fotografiert, die urheberrechtlich geschützt sind, muss sich die Verbreitung der Fotos nicht erlauben lassen (Panoramaprivileg)
  • Wer Herrn Zumwinkels Haus fotografiert hat, als die Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung anrückte, konnte sich bei der Veröffentlichung dieser Aufnahmen auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berufen.

Natürlich lassen sich diese Beispiele nicht auf das flächendeckende Digitalisieren von Straßenzügen übertragen. Aber sie zeigen, dass jede Regelung, was veröffentlicht werden darf und was nicht, gegen konkurrierende Interessen abgewogen werden muss. Das Digitalisieren von Straßenzügen kann man nicht einfach so verbieten. Und ernsthaft kann das auch niemand verlangen, der eine freie Gesellschaft will.

Datenschützer halten anonymisiertes Street View für zulässig

Das Problem bei Street View ist nicht das ob, sondern das wie der Digitalisierung. Google verarbeitet die Daten, verknüpft die Fotos mit Landkarten und ermöglicht so ganz neue Auswertungsmethoden. Die sind keineswegs nur negativ: Wer ein Hotel in den Vereinigten Staaten bucht, verlässt sich nicht unbedingt auf die schicken Fotos der Werbeseite, sondern schaut sich Fassade und Umgebung besser noch einmal bei Street View an. Womöglich könnten auch Verbrecher die Street View Aufnahmen zu irgendetwas nutzen, aber sollte man alle technischen Entwicklungen mit allem möglichen Nutzen für die Mehrheit verbieten, weil in Einzelfällen Missbrauch denkbar ist?

Wie diese Datenverarbeitung aussehen muss, damit sie deutschen Datenschutzregeln entspricht, ist eine sehr komplexe Frage, bei der es nicht so sehr darum geht, ob Google nun gut oder böse ist, sondern vielmehr darum, welche Spielregeln wir im digitalen Raum wollen.

Einige der konkreten Street-View-Streitfragen:

  • Die Kameras auf Googles Fotoautos sitzen mehr als zwei Meter hoch. Sie könnten also in einigen Fällen auch über Sichtschutzwände hinweg fotografieren – welche Kamerahöhe ist zulässig?
  • Google verpixelt die Gesichter von Passanten auf den Street-View-Aufnahmen. Genügt das? Müssen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts Haarfarbe, Gesichtsform, vielleicht auch besondere Kleidungsstücke unkenntlich gemacht werden?
  • Müssen Hausnummern verpixelt werden? Wie exakt darf die Hausnummernsuche bei der Navigationsfunktion arbeiten? In Zehnerschritten? Zwanzigerschritten?
  • Genügt es, Kennzeichen von Fahrzeugen unkenntlich zu machen oder müssen auch besonders auffällige Autos (Oldtimer, getunte und in goldmetallic umlackierte Schlitten), die Personen mit Hintergrundwissen einem bestimmten Halter zuordnen können, völlig ausgeblendet werden?

Datenschützer debattieren seit Jahren über diese Detailfragen zu Google Street View. Der Jura-Professor Johannes Caspar hat all diese Fragen in einem Rechtsgutachten ( PDF-Dokument) für den Schleswig-Holsteinischen Landtag diskutiert, kurz bevor er Landesdatenschutzbeauftragter in Hamburg wurde. Sein Fazit:

“Die erforderliche Abwägung bezüglich der Aufnahme von Straßen, Gebäuden und Gegenständen ergibt daher, dass die Aufnahmen unter der Voraussetzung der oben dargestellten Anonymisierungserfordernisse datenschutzrechtlich zulässig sind. Ein im Einzelfall bestehendes offensichtliches Überwiegen der Interessen von Betroffenen am Ausschluss der Verarbeitung bzw. Nutzung von Daten kann zwar nicht ausgeschlossen werden, muss jedoch – soweit dies nicht von der die Aufnahmen fertigenden Stelle erkennbar ist – ggf. durch die Betroffenen gegenüber der verantwortlichen Stelle von Google geltend gemacht werden.”

Diese Einschätzung ist in den derzeit so populären Meinungen, Halbwahrheiten und Glaubensbekundungen in der Google-Debatte untergegangen. Das ist schade, weil man die Zukunft nicht verbieten, aber durchaus gestalten kann. Die gerade bei Street View zum ersten Mal debattierten Fragen zum digitalen öffentlichen Raum sind nur der Anfang. Was kommt erst, wenn man sein Handy auf ein Taxi halten kann und gleich Kommentare von Fahrgästen zum Fahrstil und Service des Betreibers liest?

Überwiegt hier das Interesse des potentiellen Fahrgastes, Informationen zu erhalten, die die Unversehrtheit von Leib und Leben sichern helfen, oder das Recht des Fahrers, dass ihm das Geschäft nicht durch Hinweise auf schlechtes Fahren, rüde Umgangsformen oder Betrügereien verdorben wird? Umgekehrt: Darf ein Taxifahrer mit Metadaten Kollegen vor Zechprellern, notorischen Säufern oder Randalierern warnen? Und darf es sein, dass ein Unternehmen ein Monopol auf die Vermarktung dieser Meinungsäußerungen hat?

Anders als die Äußerungen der Verbraucherministerin suggerieren, brauchen wir nicht Gesetze gegen Google. Sondern Regeln, die sicherstellen, dass die Balance unterschiedlicher Rechte und Interessen auch im Web funktioniert.

Verbotsgeschrei hilft da wenig.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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