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Streit mit Briten-Gema: YouTube blockiert Musikvideos (Spiegel Online, 10.3.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Streit mit Briten-Gema

YouTube blockiert Musikvideos

Lizenzchaos in Großbritannien: Die Google-Tochter YouTube und die Briten-Gema PRS können sich nicht einigen, wie viel Geld die Verwertungsgesellschaft für Musikvideos bekommt. Nun sperrt YouTube Tausende Clips. Hauptkritik: Die Briten-Gema wisse nicht mal, welche Rechte sie vertrete.

Spiegel Online, 10.3.2009

Natürlich geht es auch ums Geld. Das Videoportal YouTube und die britische Verwertungsgesellschaft Performing Rights Society (PRS), die für Künstler Lizenzgebühren eintreibt, können sich nicht einigen, wie viel YouTube demnächst fürs Abspielen von Musikvideos zahlen soll.


Der inzwischen öffentlich ausgetragene Streit veranschaulicht aber sehr gut, wie kompliziert, absurd und anachronistisch die Rechteklärung bei Digital-Musik ist.

Öffentlich hat den Streit gestern Abend YouTube-Manager Patrick Walker gemacht, als er im Firmenblog ankündigte, man werde alle von den Verhandlungen betroffenen Musikvideos – Tausende angeblich – für britische Nutzer fortan blockieren müssen.

Die Gründe dafür, laut Walker:

  • “Die PRS verlangt, dass wir viel, viel mehr zahlen als bisher. Die Kosten sind für uns einfach untragbar. Den nun von der PRS geforderten Bedingungen zufolge würden wir mit jeder Wiedergabe erhebliche Beträge verlieren.”
  • “Zudem will uns die PRS nicht mitteilen, welche Titel in der Lizenz enthalten sind, die sie anbieten. Das ist so, als würde man einem Verbraucher eine unbeschriftete CD verkaufen, ohne Wissen, welche Musiker darauf zu hören sind.”

YouTube hat im August 2007 ein Lizenzabkommen mit der PRS geschlossen. Laut dem Fachdienst ” Paidcontent” umfasste die nun auslaufende Lizenz die Rechte zur Wiedergabe von zehn Millionen Musikstücken, YouTube habe dafür eine Pauschalabgabe in unbekannter Höhe bezahlt.

Die Lizenz einer Gesellschaft wie der PRS deckte allerdings nicht die kompletten Rechte an einem Musikvideo ab, sondern lediglich die an Texten und Kompositionen – sofern die Urheber die nicht an die Plattenfirma verkauft, sondern die PRS mit der Verwertung beauftragt haben.

Um Musikvideos zeigen zu dürfen, muss YouTube allerdings noch zusätzlich Lizenzen von den Musiklabels einkaufen, die meistens die Rechte am Filmmaterial und den Aufnahmen der Songs haben. Deshalb blockiert YouTube zum Beispiel Musikvideos von Künstlern, die bei Warner Music unter Vertrag standen oder stehen – die Verhandlungen scheiterten im vergangenen Dezember.

Briten-Gema: “schockiert und enttäuscht von Google”

Vor diesem Hintergrund könnte man die öffentliche Filter-Ankündigung YouTubes durchaus als Taktik sehen, den Druck auf die PRS zu erhöhen. Die Verwertungsgesellschaft tut die Kritik in einer Stellungnahme entsprechend ab. Geschäftsführer Steve Porter erklärt, man sei “schockiert und enttäuscht, nachmittags einen Anruf von Google zu erhalten, der über diese harsche Maßnahme informiert”. Google wolle einfach “deutlich weniger als bislang zahlen”, die Video-Blockade habe die Firma “ohne Rücksprache” mit der PRS eigenmächtig veranlasst.

“Es hat den Beigeschmack einer PR-Aktion”, kommentiert auch der Branchenexperte Mark Mulligan, Musikindustrie-Analyst bei Forrester Research in seinem Blog. Er benennt die gegensätzlichen Interessen in diesem Konflikt klar:

  • Auf der einen Seite fürchte die Verwertungsgesellschaft PRS, dass in den Deals zwischen Web-Firmen und den großen Musikkonzernen die Rechte der Urheber “auf der Agenda weiter unten stehen”.
  • Auf der anderen Seite suche Google verzweifelt ein Modell, um YouTube als Firma erfolgreich zu machen. Das Unternehmen könne sich in dieser Situation nicht erlauben, “allzu nachgiebig zu wirken, weil sonst alle Urheber aggressiv bessere Vertragsbedingungen aushandeln werden”, schreibt Mulligan.

Kurz gesagt: Die Einnahmen aus dem Verkauf von Musik sinken, die neuen Erlösmodelle werfen wenig ab und die Parteien streiten erbittert um die Verteilung des schrumpfenden Kuchens.

Was bei dem Verteilungskampf sowohl die Verwertungsgesellschaften als auch die Musiklabels ignorieren: Die einzige Chance legaler Online-Musikdienste ist es, wenn ihr Angebot größer, zugänglicher, einfacher zu finden, zu bedienen und gegebenenfalls zu bezahlen ist als die Vielfalt an Musik-Raubkopien im Netz.

Und bei allem Verständnis für Verteilungskämpfe mit kommerziellen Anbietern wie YouTube: Je schwieriger es für Start-ups wird, Lizenzen für Online-Musik einzukaufen, desto schlechter sieht es für die Musiker mittelfristig aus, deren Interessen die PRS vertreten will. Im vergangenen Jahr hat zum Beispiel das innovative US-Musikportal Pandora sein Angebot in Großbritannien geschlossen. Schuld waren laut Pandora zu hohe Lizenzforderungen der PRS und der Plattenlabel.

Pandora schließt Angebot wegen Lizenzforderungen

In einer E-Mail an die Kunden schrieb Pandora-Gründer Tim Westergreen damals, die Verwertungsgesellschaften hätten “eine Mindestbezahlung pro abgespieltem Song gefordert, die viel zu hoch ist, um den Betrieb eines werbefinanzierten Angebots zu ermöglichen”.

An der Lizenzierungspolitik der Labels war vor wenigen Tagen auch Fabchannel gescheitert. Die Website galt als eines der innovativsten Angebote für Live-Musik weltweit.

Im aktuellen Streit mit YouTube ist außer der Höhe der Bezahlung auch der laut YouTube ungeklärte Umfang der PRS-Lizenz sehr aufschlussreich. Laut YouTube-Manager Patrick Walker könne die PRS YouTube nicht exakt übermitteln, welche Titel in der Lizenz enthalten sind, so dass die Filter des Videoportals entsprechend aktualisiert werden können.

Zu diesem Vorwurf hat die PRS bislang nicht Stellung genommen. Analyst Mark Mulligan von Forrester Research hält es aber durchaus für möglich, dass die PRS tatsächlich keine “umfassende Auflistung der Künstler weitergeben kann, die sie vertritt”- Denn weil “große Labels ihre Online-Rechte zurückgezogen haben, ist der Markt inzwischen extrem fragmentiert”.

Kampf um einen schrumpfenden Kuchen

Dass legale Online-Musik einem zersplitterten, digitalen Inselreich gleicht, merken auch die Kunden: Wer die Songs einer bestimmten Band sucht, findet bei verschiedenen Anbietern verschiedene Inhalte – bei manchen Musikdiensten gibt es dann auch mal gar nichts, bei anderen viel.

Die Folge: Je undurchsichtiger das Angebot ist, desto weiter dürfte die Bereitschaft der Kunden sinken, nach legalen Angeboten zu suchen und gegebenenfalls Pauschalen für ein Repertoire zu zahlen, von dem sie gar nicht so genau wissen, was eigentlich im Detail enthalten ist. Wenn man wie heute erst als Abonnent beim Suchen merkt, wofür man eigentlich bezahlt hat und was man dann doch noch extra anderswo kaufen muss, fühlt sich der Kunde bei jedem Nichttreffer ein wenig betrogen.

Für Online-Plattformen wie YouTube ist die Lage ähnlich verwirrend: Bisher müssen Lizenzen in jedem Staat aufs neue zwischen Urhebern, Verlagen, Vertrieben und Verwertungsgesellschaften verhandelt werden. Ein Konzern wie Google kann sich das leisten, für kleine Firmen und Start-ups ist dieser Aufwand eine erhebliche Hürde. Die Europäische Kommission drängt die Copyright-Branchen, endlich ein europäisches Lizenzierungswesen zu schaffen, was bislang nicht passiert ist.

Stattdessen fechten Verwertungsgesellschaften, Plattenfirmen, Verlage und sonstige Rechteinhaber mit den Online-Anbietern in jedem europäischen Staat dieselben erbitterten Kämpfe um die Verteilung eines Kuchens aus, der immer kleiner wird, je länger dieses Lizenzchaos andauert.

Das wirkt lächerlich, ist aber die Realität im Web 2009. Oder, wie ein Kommentator im YouTube-Blog schreibt: “Wieder ein Sieg für Raubkopien.”


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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