Zum Inhalt springen

Superman, verzweifelt gesucht (Süddeutsche Zeitung , 4.12.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Superman, verzweifelt gesucht

Warum nicht nur Amerika den Helden der Populärkultur nötiger hat denn je

Süddeutsche Zeitung , 4.12.2001

Schade, dass es nie ein Lied der Ramones über Superman gegeben hat. Denn ihrer liebevollen, ironischen, sensiblen und so intelligenten Hommage an Spiderman („Is he strong? / Listen, bud / He's got radioactive blood“) nach zu urteilen, hätten sie gewiss Supermans Wesen in zwei Minuten mit drei Akkorden ergründet. Aber so steht man jetzt ratlos vor der Frage, warum Superman heute noch erfolgreicher ist als damals bei seinem Debüt 1938.

Vor gut sechs Wochen startete in den Vereinigten Staaten „Smallville“, eine neue Fernsehserie über die Jugend Supermans. 8,35 Millionen Zuschauern sahen den Pilotfilm, das sind laut „Variety“ mehr als ein Serienstart auf dem Warner Brothers Kanal je zuvor hatte. Im November lag der Zuschaueranteil von „Smallville“ dann laut dem Brachendienst „Electronic Media“ noch immer erstaunliche 40 Prozent über dem der erfolgreichen Serien „Buffy“ und „Roswell“.

Das verwundert, weil Superman in den neunziger Jahren keinen leichten Stand hatte. Im Gegensatz zu Batman war Superman nicht in Kinofilmen zu sehen und eine neue Zeichentrickserie musste er sich dann auch noch mit Batman teilen. Superman-Comics erzielten keine Rekordauflagen mehr, in Deutschland wurden die wöchentlichen Hefte Anfang dieses Jahres sogar ganz eingestellt. Offenbar konnte Superman eine neue Generation nicht begeistern. Deshalb wurde „Smallville“ wohl auch ähnlich wie die so erfolgreichen Jugendserien „Dawsons Creek“ oder „Buffy“ konzipiert: Superman ist als Teenager zu sehen und verbringt viel Zeit mit dem Erwachsenwerden. Aber erstaunlicherweise muss er in fast jeder Folge einen Gegner besiegen, Menschen retten und so trotz Pubertät der klassischen Dramaturgie jeder Superhelden-Serie gehorchen: Ein neuer, recht normaler Gegner je Folge, dazu ein langsam im Hintergrund aufgebauter Überschurke, der möglichst zum Ende jeder Staffel die Konfrontation sucht.

Das funktioniert. Nur warum? Natürlich, es ist die Zeit einer großen amerikanischen Krise. In einer solchen wurde Superman auch geboren. Mitte der dreißiger Jahre entwickelten Joe Shuster und Jerry Siegel die Figur. Aufgrund der Wirtschaftskrise blieb Shuster zufolge die Wohnung seiner Eltern aus Geldmangel oft ungeheizt, so dass er mit Handschuhen zeichnen musste. Siegel verdiente mit einem Botenjob nach der Schule wöchentlich vier Dollar, die seine Familie ebenso nötig hatte wie das damalige Amerika offenbar einen Helden. 1938, am Ende des New Deal, erschien dann endlich die erste Superman-Episode im Magazin „Action Comics“. Während des Zweiten Weltkriegs wuchs Supermans Popularität: Ab 1939 erschienen Superman-Strips in Zeitungen. Ab 1940 war er der Held einer Hörspielreihe. Ende 1941 erreichten Superman-Strips in mehreren hundert Zeitungstiteln eine Leserschaft von 20 Millionen Menschen. Als infolge des Koreakriegs die Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung die Ausmaße einer Massenhysterie annahm, startete 1952 die Fernsehserie „Adventures of Superman“. Bis 1958 wurden 104 Folgen produziert. Die Serie hat eine gewisse Camp-Ästhetik, immerhin sprang Superman oft mit Hilfe von Matratzen über Hochhauskulissen aus Pappe. Dennoch hatte die Serie eine Ernsthaftigkeit, die zum Beispiel der in sechziger Jahren gestarteten Batman-Serie Adam Wests fehlte. Es ist nicht jene Ernsthaftigkeit, die Susan Sontag in „Kunst und Antikunst“ als „bloßes Philistertum“ und „geistige Enge“ Camp entgegengesetzt. Nein, die erste Superman- Fernsehserie, wie auch die Comic-Reihe, erzählte sehr ernsthaft vom Recht auf Träume und auf das eigene Streben nach Glück – ganz gleich wessen. Superman verteidigte kleine Männchen, die unter der Erde lebten und das auch weiter tun wollten, genauso wie unschuldig Inhaftierte.

Diese Ernsthaftigkeit – die man in bezug auf die Idee des „pursuit of happiness“ durchaus patriotisch nennen kann – unterscheidet Superman von Batman. Batman kämpft nicht unbedingt für eine Idee, sein Sinn für Gerechtigkeit ist sehr persönlich, nämlich durch den Mord an seinen Eltern, motiviert. Batman sucht auch Rache und bedient sich dabei unkonventioneller, manchmal moralisch fragwürdiger Methoden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Konjunkturzyklen seiner Popularität oft entgegengesetzt zu jenen Supermans verliefen. Adam Wests Fernsehserie war 1966 deswegen so erfolgreich, weil Kennedys Ermordung lange genug zurücklag und der Panama-Konflikt Amerika ebenso wenig berührte wie der Vietnamkrieg, da die Bombardierung des Nordens nur wenig amerikanische Leben kostete. Deshalb konnte der ambivalente Held Batman zum Star werden, deshalb wurde die Camp-Ästhetik toleriert, wenn nicht sogar von einer Mehrheit mehr oder minder bewusst goutiert. Gewiss, es war eine Ästhetik des Widerstandes, die von den ausgegrenzten amerikanischen Schwulen begründet wurde. Aber Widerstand wird in Krisenzeiten eher wahrgenommen und auch eher abgelehnt als zum Beispiel 1966.

Diese Konjunktur der Aufmerksamkeit belegt auch das Jahr 1978 als Starttermin des ersten Superman-Films. Die Produktion begann Mitte der siebziger Jahre, nachdem die weltweite Rezession sich vertieft hatte, die US-Arbeitslosigkeit auf einen Höchststand seit Jahrzehnten gestiegen war. Die Ölkrise und der kommunistische Sieg in Südostasien schufen die Basis für Supermans neuen Erfolg.

Doch es ist zu einfach und vor allem falsch, Supermans derzeitige Popularität als Ausdruck eines unreflektierten amerikanischen Patriotismus zu sehen. Natürlich hat der Erfolg der aktuellen Serie etwas mit dem Massenmord am 11. September zu tun. Aber nicht in dem Sinn, dass die Zuschauer einen Helden sehen wollen, der den Schurken ein paar aufs Maul gibt. Das Versprechen der Figur Superman ist kein negatives. Im Gegenteil, Superman konkretisiert das positive Versprechen des „pursuit of happiness“.

Superman ist ein Einwanderer, genau genommen sogar ein illegaler. Sein Heimatplanet wurde vernichtet, seine sind Eltern tot, doch glücklicherweise landet das Raumschiff, in das sie ihn gesteckt haben, in Kansas, in der Nähe eines Kleinstädtchens mit dem schönen Namen „Smallville“. Supermans Geschichte ist die eines Immigranten: Natürlich erziehen ihn seine Adoptiveltern Jonathan und Martha Kent zum Amerikaner, aber auch als Clark Kent bleibt sich Superman seiner Herkunft bewusst. Und es ist gerade seine Andersartigkeit, die ihn auszeichnet, die ihn erst zum amerikanischen Helden werden lässt. Es ist eben keine Frage des Blutes wie in anderen Staaten – Amerikaner kann auch sein, wer auf Krypton geboren wurde.

Was also macht den Erfolg Supermans aus? Genesis sangen Ende der achtziger Jahre über ihn: „Superman, where are you now / when everything's gone wrong somehow? / The man of steel, men of power / are losing control by the hour.“ Diesen Zeilen fehlt jenes Gespür für die Helden der Populärkultur, das die Ramones so auszeichnet. Man mag den Zeilen Genesis’ zugute halten, dass ihre Naivität die Rezeption der Figur Superman reflektieren soll. Doch dieser Trugschluss das macht sie umso peinlicher.

Superman ist keineswegs seit mehr als sechs Jahrzehnten ein Superstar, weil er die Welt rettet und Fieslinge verprügelt. Superman ist vielmehr die fleischgewordene Idee des „pursuit of happiness“. Und damit lebt Superman das vor, was jede Form von Popkultur ausmacht: Das aufgeklärte Streben nach dem eigenen Glück im Gegensatz zu jener autoritären Definition eines gerechten, ernsthaften, gottgewollten oder auf eine andere Art langweiligen und unfreien Lebens, auf welche die Taliban und sonstige Pop-Feinde die Menschheit einschwören wollen. Wir brauchen Superman nicht, um die Welt zu retten, sondern eher zur Erinnerung, was es eigentlich zu retten gilt.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert