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Talentsuche: Sony sucht den Superstar - und findet Freaks (Spiegel Online, 18.7.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Talentsuche

Sony sucht den Superstar – und findet Freaks

Der Unterhaltungs-Konzern Sony will mit seinem Video-Portal Crackle die Filmtalente von morgen entdecken. Bislang im Angebot: Feuerwehrmänner im Einsatz, halbnackte Fitness-Trainerinnen und ein paar großartige Clips. Die besten hat man aber schon bei Youtube gesehen.

Spiegel Online, 18.7.2007

Vielleicht haben die Sony-Manager sich ihr eigenes Angebot noch nicht so richtig angeschaut. Am Montag ist Crackle gestartet, Sonys Versuch, eine Art Qualitäts-Youtube zu machen. Zum Start erklärte Sean Carey, Vize-Chef des Sony-Filmstudios: "Die Entwicklung der Online-Videos bringt immer professioneller produziertes Material."

Und Crackle soll die Netzheimat dieser neuen Bewegung sein: "Wir bieten ein Forum, das diesen kreativen Talenten die Öffentlichkeit und Anerkennung bietet, die sie suchen und verdienen."
Die Gegenwart bei Crackle sieht so aus: Auf dem prominentesten Platz der Startseite ist heute der Animationsfilm "Papiroflexia" zu sehen – der hat auf Youtube in den vergangenen sechs Wochen schon mehr als 100.000 Zuschauer gehabt. Außerdem preist die Titelseite einen Hund, drei stehende Eisbären und ein blonde Frau an, deren Video den Titel trägt: "Sexy Fitness-Star posiert".

Crackle verspricht den Einstieg in Hollywood

Das sind wohl Anlaufschwierigkeiten. Ebenso wie die völlig überladene, nur mit neusten Flash-Playern funktionierende Startseite. Hochwertige Kurzfilme will Crackle mit einem einfachen Versprechen locken, das immer zieht: Crackle bringt Unbekannte nach Hollywood. Konkret: Wer genug Aufmerksamkeit von Redakteuren und Zuschauern bekommt und einmal auf der Titelseite einer Rubrik auftaucht, darf seinen Film bei einem der Crackle-Wettbewerbe einreichen.

Zu den Preisen gehören 15.000 Dollar Produktionsbudget für einen Crackle-Kurzfilm, Vorstellungsgespräche beim Hollywood-Studio Columbia Pictures sowie ein 15-Minuten-Auftritt in einem der legendären "Improv Comedy-Clubs". Crackle-Geschäftsführer Josh Felser fasste das Versprechen auf einer Pressekonferenz so zusammen: "Wir bieten Wege nach Hollywood – das macht sonst niemand."

Das neue Konzept hatte das Portal bitter nötig – vor etwa einem Jahr hieß Crackle noch Grouper, war kaum von Youtube zu unterscheiden und wurde trotzdem für 65 Millionen Dollar von Sony gekauft. Allerdings hat das Angebot dem Vorbild Youtube kaum Zuchauer abluchsen können. So erfand das Grouper-Team sein Angebot neu – als Talentsuche mit etwas Hollywood-Glanz. Ähnlich wollen sich aber auch andere Video-Seiten profilieren: Vuze.com kooperiert mit dem Independent Television Festival, hinter iFilm.com steht der Viacom-Konzern mit Sendern wie MTV und Comedy Central.

Hier ein Überblick der Talente und Tiefpunkte auf Crackle.

Die Origami-Idylle

In "Papiroflexia" erzählt der junge Filmemacher Joaquin Baldwin (24) aus Los Angeles die Geschichte eines dicken, bärtigen Mannes, der sich eine triste Welt schön faltet: Aus Verkehrschildern formt er Schmetterlinge, aus Autos Rehe, aus Flugzeugen Vögel und zuletzt aus einer grauen Metropole eine idyllische Berglandschaft.

Das ist völlig ironiefrei inszeniert, aber so zurückhaltend animiert und vertont, dass es nicht zu zuckrig wirkt. Der Film findet die Balance. Kein Wunder: Der Macher Baldwin studiert in Los Angeles Animation – ausgestattet mit einem Hochbegabten-Stipendium.

Zwei Hasen metzeln Unschuldige nieder

Der Animations-Künstler Seth Welton, 25, aus Ann Arbor inszeniert den klassischen Film Noir der vierziger Jahre neu: Gewalt, Gangster, viele Schatten, alles Schwarz-Weiß. Nur sind die Bösewichte in diesen Kurzfilmen Hasen. Und sie wandeln als Papierfiguren durch eine Papierlandschaft im Zwielicht mit gefalteten Autos, Banktresen und Häusern.

Die fiesen Hasen überfallen Banken, schießen um sich, mähen Unschuldige um und erschießen dann noch ihre Komplizen hinterrücks. Noch düsterer und abgründiger ist das Hasen-Roulette: ein Panda, ein Affe und eine Katze verlieren gegen den eiskalten Hasen. Diese Kurzfilme gehören zu den originellsten auf Crackle. Nur: Auf Youtube sind sie schon seit Monaten zu sehen.

Die schlechtesten Gags mit den meisten Lachern

Diese Lacher müssen vom Band sein. Dante Bean, ein junger Mann mit großen Geheimratsecken steht auf einer Bühne und erzählt dem Publikum Witze wie diesen: "Wir leben seit fünf Jahren im Wohnwagen. Und versuchen ihn seit vier Jahren zu verkaufen." Reaktion: "Hahaha."

Und so geht es weiter: "Wir haben eine Klimaanlage eingebaut. Aber das lockt auch keine Käufer an. Denn es ist immer noch ein Wohnwagen." Reaktion. Noch mehr Lacher! Und auf den Klimaanlagen-Gag setzt Bean noch einen drauf: "Das ist so wie Glitzer-Staub auf einer hässliche Nutte." Das Publikum brüllt. Ja, das Lachen muss vom Band kommen. Aber warum nur empfiehlt die Crackle-Redaktion das an oberster Stelle in ihrem Comedy-Kanal?

Crackle-Tipp: Ein "Sexy Fitness-Star" posiert

Ganz ohne Sex kommt auch Sonys Qualitäts-Youtube nicht aus. Doch als Top-Video in der arg verklemmt "sexy" genannten Rubrik haben die Crackle-Redakteure am 14. Juli tatsächlich ein Werbe-Video mit dem "Fitness-Modell" Mandy Blank gekürt.

Der Film zeigt, wie sie sich von irgendeinem Fotografen für irgendeine Werbekampagne halbnackt fotografieren lässt – vor einem Tresen, vor einer Wand, vor einem Fernseher. Immer unten links eingeblendet: Das Logo der Training-Video-Reihe "The Fit Show". Fitness-Werbung als Top-Video?

Völlig bizarr: Feuerwehrmänner erzählen

Ein Feuerwehrmann erzählt, er habe nie Probleme mit Frauen im Dienst gehabt. Denn: "Die zwei Frauen, mit denen ich gearbeitet habe, hatten eine sehr dicke Haut." Und so geht es weiter: Feuerwehrleute erzählen von ihrem Job, löschen Flammen, rennen zum Einsatzwagen – alles zu sehen im Feuerwehr-Kanal auf Crackle. Der umfasst schon 125 Videos. Slogan: "Wahre Geschichten von echten Feuerwehrleuten". Na dann.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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