Tauschbörsen-Kriminalität: Abmahn-Bumerang erwischt Musikindustrie (Spiegel Online, 20.12.2007)
Tauschbörsen-Kriminalität
Abmahn-Bumerang erwischt Musikindustrie
Ein Zahlendreher war schuld: Die Musikindustrie mahnte wegen Copyright-Verletzungen die Falsche ab. Die klagte auf Schadensersatz und bekam Recht. Medien werten das Urteil als Schlappe für Piratenjäger. Dabei zeigt der Fall, wie gut Späher und Staatsanwälte zusammenarbeiten.
Spiegel Online, 20.12.2007
Der Hamburger Anwalt Clemens Rasch hat mehrere Jobs: Sein Ermittlungsdienst Promedia spürt für den Phonoweltwirtschaftsverband IFPI Raubkopierer auf, seine Anwaltskanzlei vertritt Plattenfirmen und mahnt Internetnutzer ab, über deren Zugang urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen wurde. Manchmal erreichen die Abmahnungen aus Raschs Kanzlei die Falschen. Deshalb sollen laut einem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona zwei Mandanten Raschs – große Plattenfirmen – nun 4063,95 Euro bezahlen. So hat das Amtsgericht Hamburg-Altona am 11. Dezember entschieden, wie sueddeutsche.de berichtet. In der SPIEGEL ONLINE vorliegenden Urteilsbegründung nimmt sich der Richter Kay Schulz auf 31 Seiten die Musikindustrie und Rechtsvertreter vor. Schon bejubeln Medien das Urteil als "Ohrfeige für Abmahnanwalt" oder" Schlappe für den Abmahnanwalt der Musikindustrie".
Nüchtern betrachtet, ist folgendes passiert: Wegen einer falsch weitergegebenen IP-Adresse wurde die falsche Inhaberin eines Internetanschluss` abgemahnt. Sie hat sich daraufhin einen Anwalt genommen. Die Kosten dafür müssen ihr nun nach dem Hamburger Urteil die Abmahner bezahlen – auch wenn es gar nicht zu einer Klage gekommen ist. Sprich: In den Tausenden anderer Fälle, wo korrekte IP-Adressen Abmahnungsanlass sind, läuft alles weiter wie bisher. Und das zeigen die Details aus der Hamburger Urteilsbegründung: Es läuft sehr gut für die Rechteinhaber. Privatermittler, Musikindustrie, Staatsanwälte und Provider arbeiten sehr effizient zusammen.
Ein Zahlendreher als Klagegrund
Ursache für den ganzen Rechtsstreit ist ein verhängnisvoller Zahlendreher: Eine Staatsanwaltschaft hatte ermitteln lassen, wer sich hinter einer IP-Adresse verbarg, über die in Tauschbörsen urheberrechtlich geschützte Musik verbreitet wurde. Und dann hat offenbar der Telekommunikationsdienstleister die falsche Person benannt. Ein Vertipper bei der Suche? Schlamperei bei der Anfrage? Unklar.
Die Staatsanwaltschaft verfolgte den Fall nicht weiter – für ein Strafverfahren fehlte das nötige öffentliche Interesse. Die geschädigten Rechteinhaber sollten ihre Ansprüche per Zivilklage anmelden. Genau das macht die Kanzlei Rasch für die Musikindustrie. Die Staatsanwaltschaft gab also der Kanzlei die falsche Personeninformation weiter und die Kanzlei verschickte eine ihrer Standardabmahnungen.
Inhalt: Eine Aufzählung der unter der IP-Adresse in Tauschbörsen illegal angebotenen 696 Songs, der daraus abgeleitete Streitwert von 6,96 Millionen Euro (!) und das Angebot eines Vergleichs gegen Zahlung von 4000 Euro.
Abmahnung als Persönlichkeitsrechtsverletzung
Dieses Schreiben wertet Amtsrichter Schulz als Persönlichkeitsverletzung: "Wer einem anderen vorwirft, er habe rechtswidrig eine fremde Sache weggenommen, erhebt damit den Vorwurf des Diebstahls. Nicht anders verhält es sich hier." Der Richter argumentiert, dass die Abgemahnte sich angesichts des Schreibens einen Anwalt habe suchen müssen, obwohl keine Klage erhoben wurde.
Richter Schulz schlussfolgert: Hätten die Plattenfirmen sogleich gegen die Abgemahnte geklagt, bestünde kein Zweifel, dass sie nun auch "sämtliche ihr entstandenen Kosten, insbesondere die notwendigen Anwaltskosten" erstatten müssten.
Anwalt der Musikindustrie: "Wir gehen in Berufung"
Anwalt Kay Spreckelsen, bei der Kanzlei Rasch für den Fall zuständig, kündigt gegenüber SPIEGEL ONLINE an, für seine Mandantschaft Berufung einlegen zu wollen: "Dieses Urteil ist falsch, es gibt in vergleichbaren Fällen gegensätzliche Entscheidungen, deshalb gehen wir natürlich zur nächsten Instanz."
Spreckelsen verweist darauf, dass das Amtsgericht München in derselben Sache den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Aussicht auf Erfolg abgewiesen hat. Genauso hat die nächsthöhere Instanz entschieden. Hintergrund: Offenbar hat die Kanzlei Rasch die Betroffene im Auftrag mehrerer Plattenfirmen abgemahnt – zwei sitzen in Hamburg, eine in München, deshalb zwei Entscheidungen in derselben Angelegenheit.
Besitzer eines Web-Anschlusses haftet immer
Anwalt Spreckelsen bestreitet gar nicht, dass wegen eines Zahlendrehers die Abmahnung an die falsche Adresse ging. Er bestreitet aber, der Angeschriebenen Urheberrechtsverletzungen vorgeworfen zu haben. Spreckelsen: "Ich habe beim Telefongespräch mit dem Ehemann der Angeschriebenen gesagt, dass wir nach dem Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen davon ausgehen müssen, dass die Urheberrechtsverletzungen über den Internetanschluss der Angeschriebenen begangen wurden."
Das ist in Deutschland ein wichtiger Unterschied. Denn die verbreitete Rechtsprechung zur sogenannten Störerhaftung folgt dem Grundsatz: Wer einen Internetanschluss hat, haftet auch, wenn über diese Verbindung andere das Recht brechen. Auf dieses Prinzip beruft sich Anwalt Spreckelsen: "Wenn von einem Anschluss Rechtsbrüche begangen werden, hat man als Inhaber dafür zu sorgen, dass das aufhört."
Das klingt abstrakt, beinhaltet aber ein sehr konkretes Risiko für alle, die beispielsweise ein W-Lan betreiben, ohne den Zugang zu sichern: So könnte jemand durch "Huckepack-Surfer", von denen er gar nichts weiß, zum Rechtsbrecher werden – zumindest im Rahmen der Störerhaftung.
Musik-Anwalt: zwei Fehler, viele Tausende Fälle
Interessant ist die Begründung des Anwalts der Musikindustrie, warum das Amtsgericht nicht verlangen kann, dass die Kanzlei prüft, ob die Zuordnung von Personen zu IP-Adressen stimmt: "Solche Fehler passieren sehr, sehr selten. Mir sind in den Tausenden von Fällen, die wir bearbeiten, bisher nur zwei bekannt, in denen es zu solchen Problemen gekommen ist." In beiden Fällen habe man "nach Bekanntwerden der Verwechslung sämtliche Ansprüche sofort zurückgezogen".
Sprich: Staatsanwaltschaft, Musikindustrie und Internet-Provider arbeiten in Tausenden von Fällen bei der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen sehr effektiv zusammen. Aus dieser Arbeit für die Musikindustrie berichtet Spreckelsen: "Es ist ein ganz normales Verfahren, dass die Staatsanwaltschaft dem Strafantragssteller nach Abschluss der Ermittlungen Einsicht in die Ermittlungsakten gewährt oder Auskünfte über den Akteninhalt erteilt."
as kann man sich so vorstellen: Eine Ermittlungsfirma wie zum Beispiel Promedia protokolliert, unter welchen IP-Adressen in Tauschbörsen urheberrechtlich geschütztes Material angeboten wird. Dann wird bei der Staatsanwaltschaft Anzeige im Auftrag der Rechteinhaber erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt die Inhaber der IP-Adressen. Und dann verrät sie dem Antragssteller, wer sich hinter den in Tauschbörsen protokollierten Adressen verbirgt.
Auf solche Auskünfte besteht ein gesetzlicher Anspruch – schließlich sollen Geschädigte ja die Möglichkeit haben, zum Beispiel Ansprüche auf Schadensersatz zu erheben. Ob ein Betroffener sofort klagt oder erst abmahnt – das bleibt ihm überlassen.
Az 316 C 127/07
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