Tauschbörsen: Musikindustrie will das Internet EU-weit filtern (Spiegel Online, 26.12.2007)
Tauschbörsen-Kriminalität
Musikindustrie will das Internet EU-weit filtern
Plattenfirmen wollen 2008 zum Jahr der Internet-Kontrolle machen: Provider sollen den Datenverkehr ihrer Kunden überwachen, die Übertragung von Musikdateien blockieren und Web-Seiten sperren. Diese Ideen streuen Lobbyisten in EU-Ausschüssen – mit ersten Erfolgen.
Spiegel Online, 26.12.2007
In einem zweiseitigen Brief hat die Musikindustrie EU-Parlamentariern ihren Wunschzettel fürs nächste Jahr zusammengestellt. Der Titel klingt harmlos: "Technische Ansätze gegen Online-Copyright-Verletzungen". Im Klartext beschweren sich die Lobbyisten des internationalen Verbands der Musikindustrie IFPI über Internet-Provider, nennen deren Kooperation beim Kampf gegen Online-Raubkopien "nicht zuvorkommend genug".
Provider würden kaum gegen die Copyright-Brüche ihrer Kunden vorgehen, bemängelt die IFPI in dem Schreiben. Dabei hätten Provider doch die "totale technische und kommerzielle Kontrolle über den Internet-Verkehr" ihrer Kunden. IFPI fordert nun: Provider sollen diese Macht nutzen, um gegen die "massive Musikpiraterie in P2P-Tauschbörsen" vorzugehen. Denn mit etwa 20 Milliarden illegalen Musik-Downloads im Jahr übertreffe die Piraterie den "sich entwickelnden legalen Digitalmarkt".
Die Musikindustrie-Lobby beschreibt in dem Brief drei konkrete Ansätze zur Internet-Kontrolle, die "machbar", "nicht allzu teuer und aufwendig" und für den regulären Webnutzer "unproblematisch" sein sollen:
- Internet-Filter: Provider sollen den gesamten Datenverkehr ihrer Kunden filtern, Musikdateien identifizieren und automatisch mit einer Datenbank geschützter Aufnahmen abgleichen. Macht der Filter eine urheberrechtlich geschützte Musikdatei aus, wird die Datenübertragung gestoppt.
- Protokoll-Sperren: Anhand des verwendeten Internet-Protokolls sollen Provider Tauschbörsen-Datenverkehr ihrer Kunden ausmachen. Die Forderung der Musikindustrie: Provider sollen alle Dienste blockieren, die "bekanntermaßen vor allem Urheberrechte verletzen" oder "Maßnahmen abgelehnt haben, um solche Verstöße zu verhindern".
- Web-Zensur: Internet-Provider sollen den Aufruf von Web-Seiten sperren, die "Urheberrechte verletzen" und sich weigern, "mit den Rechteinhabern zusammenzuarbeiten". Als Beispiel nennen die IFPI-Lobbyisten hier die schwedische Suchmaschine für Tauschbörsen-Downloads "Pirate Bay".
EU-Parlament diskutiert 2008 Filter-Forderung
Diesen Wunschzettel hat die Bürgerrechtsgruppe Electronic Frontier Foundation (EFF) veröffentlicht ( PDF-Dokument). EFF-Vertreter Danny O’Brien nennt die IFPI-Vorschläge in seinem Blogkommentar "sehr beunruhigend": Die Lobbyisten der Musikindustrie hätten offenbar den Blick für die "ernsthaften Begleitschäden ihrer Vorschläge verloren".
Die Kampagne, Provider stärker in die Pflicht zu nehmen, hat erste Erfolge: Im EU-Parlament kursieren die IFPI-Ideen bereits in zwei Ausschüssen, die an einem Bericht über die Kulturwirtschaft arbeiten. Ende Januar wird der Kulturausschuss entscheiden, ob er sich die Filter-Vorschläge zu eigen macht.
Deutscher Musikverband fordert Web-Filter
Die Musikindustrie erhöht seit Monaten den Druck auf die Internet-Provider. Im IFPI-Jahresbericht 2007 schreibt Geschäftsführer John Kennedy, Verfahren gegen einzelne Downloader seien "mühselig und teuer" und verweist auf die Pflicht der Provider als "Torhüter des Webs", ihre "Verantwortung wahrzunehmen".
In Deutschland rühmt sich der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie Stefan Michalk, sein Verband habe in diesem Jahr etwa 25.000 Strafanzeigen gestellt. Michalk beziffert die durch Raubkopie-Downloads entstandenen Schäden für deutsche Firmen auf eine Milliarde Euro jährlich, auch in diesem Jahr rechnet er mit einem sinkenden Umsatz. Das Ziel der Prozesswelle beschreibt Michalk im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DDP so: "Jeder soll jemanden kennen, der jemanden kennt, der schon mal erwischt wurde."
Aber dass das genügt, glaubt der Verband selbst nicht. Nach Aufklärungskampagnen an Schulen und der Prozesslawine steht nun der Copyright-Filter an, schreibt der Verband selbst zum Stichwort Internet-Piraterie: "In einem nächsten Schritt sollen die Internet-Service-Provider über das Filtern und Blockieren illegaler Inhalte stärker in die Verantwortung genommen werden."
EU-Abgeordnete empfehlen Copyright-Filter
Die Musikindustrie hat in der Politik schon Fans für ihre Filter-Phantasien gewonnen: In Frankreich will Präsident Nicolas Sarkozy eine Urheberrechtsaufsicht gründen, die Raubkopierern bei wiederholten Copyright-Verstößen den Internet-Zugang sperrt. Das Parlament soll bis zum Sommer 2008 über die notwendigen Gesetzesänderungen entscheiden.
Im EU-Parlament haben schon mehrere Abgeordnete die Position der Musikindustrie in der Filter-Frage öffentlich vertreten. Anlass dafür: Der Kulturausschuss arbeitet an einem "Bericht über die Kulturwirtschaft". In dieses Dokument könnten EU-Parlamentarier im nächsten Jahr die Filter-Forderung integrieren.
Aus dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie kommen Vorschläge ( PDF-Dokument) für neue Formulierungen wie: "Internetdiensteanbieter sollten Filtermaßnahmen anwenden, um Urheberrechtsverletzungen vorzubeugen und derzeitige Verstöße zu beenden." Eine andere Ergänzung verlangt, dass Provider "Nutzerkonten von Kunden, die geistige Eigentumsrechte verletzen, zeitweilig oder ganz sperren".
Kollateralschäden kaum zu vermeiden
So unproblematisch wie in dem IFPI-Schreiben dargestellt, dürften die Maßnahmen allerdings nicht umzusetzen sein. Schon bei der – im Vergleich zur Analyse der übertragenen Dateien – relativ einfachen Sperrung von Web-Seiten sehen Experten ein enormes Potential an zu Unrecht gesperrten Seiten (siehe Kasten unten).
FILTERTECHNIK: SO KÖNNEN PROVIDER WEB-SEITEN BLOCKIEREN
Name-Server-Sperre
Sperre auf IP-Ebene
Sperre auf URL-Ebene
Hybrid-Filter |
EU-Parlament gestaltet das Urheberrecht
Wenn das EU-Parlament diese Formulierungen absegnet, wird sich zunächst nichts für Provider und Surfer ändern. Denn der Bericht eines Parlamentsausschusses hat keine Gesetzgebungskraft wie etwa EU-Richtlinien und Verordnungen.
Wenn das EU-Parlament allerdings einmal Copyright-Filter empfiehlt, könnte sich dieser Sinneswandel auch in Gesetzen niederschlagen. Das EU-Parlament kann das Urheberrecht in Mitgliedsstaaten stark beeinflussen, wie das in Deutschland 2008 geltende neue Urheberrecht zeigt – es ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie "über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum".
Wegen dieser Gestaltungsmacht beunruhigt die Filter-Debatte im EU-Parlament Beobachter. Danny O’Brien von der Bürgerrechtsorganisation EFF schreibt: "Es ist besorgniserregend, dass EU-Politiker offenbar aufgeschlossen gegenüber dem Vorschlag sind, dass Internet-Provider die Kommunikation ihrer Kunden für Rechteinhaber stören."
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