Tauschbörsen: Was das neue Raubkopie-Gesetz für die Nutzer bedeutet (Spiegel Online, 25.8.2008)
Internet-Tauschbörsen
Was das neue Raubkopie-Gesetz für die Nutzer bedeutet
Das neue Copyright-Gesetz schützt Raubkopierer vor absurd hohen Abmahnkosten – doch Datensauger sollten sich nicht zu sicher fühlen. Der Gesetzestext ist vage und gibt Richtern viel Freiheit. Strafanzeigen, Gebühren, Datenschutz: SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen zum neuen Recht.
Spiegel Online, 25.8.2008
Dieses Gesetz soll alle glücklich machen: Die Musikindustrie,
Softwarekonzerne und die Filmstudios, die Raubkopien ihrer Produkte aus
Tauschbörsen tilgen wollen. Aber auch die Datensauger, die bislang mit
Anzeigen, Abmahnungen und teils enormen Gebührenforderungen bombardiert
wurden.
Von September an müssen Rechteinhaber nicht mehr massenhaft
Strafanzeigen gegen Unbekannt stellen, um an die Namen von
Tauschbörsen-Nutzern zu kommen. Sie können das zivilrechtlich lösen,
mit gesetzlich vorgeschriebenen Höchstbeträgen für die Abmahngebühren
bei Privatleuten.
Das Bundesjustizministerium verspricht in einer
Erklärung, das
neue "Gesetz zum Schutz geistigen Eigentums" erleichtere "den Kampf
gegen Produktpiraterie", garantiere aber, dass "bei der Verfolgung von
Urheberrechtsverletzungen nicht über das Ziel hinausgeschossen wird".
Wunschdenken?
Befragt man die vom neuen Gesetz in der Praxis betroffenen
Rechtsexperten, klingt die Jubelmeldung des Ministeriums eher nach
Wunschdenken. Da sind sich sogar die Vertreter von abmahnenden
Rechteinhabern und abgemahnten Tauschbörsennutzern einig:
- Der auf die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet
spezialisierte Rechtsanwalt Timo Schutt urteilt: "Wir können im Moment
nur auslegen und vermuten, was der Gesetzgeber eigentlich gemeint hat." - Der Kölner Anwalt Christian Solmecke vertritt viele von
Filesharing-Abmahnungen betroffene Mandaten. Seine Einschätzung: "In
dem Gesetzestext stehen einige unbestimmte Rechtsbegriffe. Im Laufe der
kommenden Jahre werden die Gerichte diese Begriffe mit Leben füllen."
Für Internet-Nutzer bedeutet die Gesetzesänderung, dass die trügerische
Sicherheit der vergangen Wochen vorbei ist. Im März hatten sich Staatsanwaltschaften in Wuppertal und Duisburg geweigert, gegen Nutzer von Internet-Tauschbörsen zu ermitteln.
Im August kündigten Generalstaatsanwälte in Nordrhein-Westfalen an,
nicht mehr jeden angezeigten Fall von privaten
Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen strafrechtlich zu ahnden. Da
diese Anzeigen bislang der einzige Weg für die Rechteinhaber waren, die
Namen hinter IP-Adressen zu ermitteln, schien die Verfolgung arg
erschwert.
Das könnte sich nun ändern.
Auskunftsanspruch, Richtervorbehalt, Abmahnkosten, – SPIEGEL ONLINE
beantwortet die wichtigsten Fragen zum Gesetz für den zum Schutz
geistigen Eigentums.
Wann müssen Provider ihre Kunden verpetzen?
Wenn Rechteinhaber entdeckt haben, dass in Tauschbörsen ihre Werke
zum Download angeboten werden, können sie bei einem Richter einen
Beschluss verlangen, der Internet-Provider zur Enttarnung der
Anschlussinhaber hinter der IP-Adresse zwingt.
Die Richter haben hier sehr viel Interpretationsfreiheit. Denn im
Gesetz steht, dass Auskunft nur verlangt werden kann, wenn die
urheberrechtlich geschützten Inhalte "in gewerblichem Ausmaß" gehandelt
werden. Was hierbei gewerblich bedeutet, kann kein Jurist derzeit
sagen. Unternehmens-Anwalt Timo Schutt: "Das weiß kein Mensch, da es
diesen Begriff im deutschen Recht bisher nicht gab. Er wird somit von
den Gerichten, die die Entscheidungen zu treffen haben, ausgelegt
werden müssen."
Schutt argumentiert zum Beispiel im Sinne seiner Mandanten so: Dem
Gesetzestext nach könnte sich das "gewerbliche Ausmaß" sowohl aus der
"Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der
Rechtsverletzungen ergeben". Sprich: Wer aktuellen Produkte als Upload
anbietet, zum Beispiel einen im Kino laufenden Film, handele womöglich
in "gewerblichem Ausmaß – unabhängig davon, ob tatsächlich Geld fließt.
Die Einschätzungen, was "gewerbliches Ausmaß" ist, gehen schon jetzt weit auseinander:
- In einem
Beispiel beschreibt das Justizministerium einen Fall von "gewerblichem Ausmaß" so:
"Der Musikverlag M entdeckt, dass jemand komplette Musikalben einer bei
ihm unter Vertrag stehenden Künstlerin im Internet zum Download
anbietet." - Abgemahnten-Anwalt Solmecke berichtet aus seiner Erfahrung mit
Staatsanwaltschaften: "Nach Ansicht der Generalstaatsanwälte ist ein
gewerbliches Ausmaß erst dann gegeben, wenn mindestens 3000 Lieder oder
200 Filme getauscht worden sind. Bei brandaktuellen Titeln sollen
allerdings Ausnahmen gemacht werden."
Solmecke bezweifelt aber,
dass Richter dieser Einschätzung folgen werden. Die Grenze dürfte sich
deutlich niedriger einpendeln. Aber, da ist der Anwalt derzeit gewiss:
"Sicherlich wird man beim Tausch von 10 oder 15 Liedern keinesfalls von
einem gewerblichen Ausmaß reden können." - Stefan Michalk, Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie
schätzt: "Es kann sein, dass einige Richter schon das Anbieten einer
Datei, zum Beispiel eines kompletten Films oder Musikalbums als Handeln
in gewerblichem Ausmaß einstufen. Richter sind unabhängig, es wird von
Gericht zu Gericht unterschiedliche Einschätzungen geben und bis zur
endgültigen Klärung wird viel Zeit vergehen."
Sicher ist derzeit also nur eines: Nachdem Rechteinhaber bislang
Staatsanwälte mit einer Anzeigenflut gegen Unbekannt überflutet haben,
um an die Namen hinter IP-Adressen zu kommen, werden nun die
Zivilrichter mit einer Antragsschwemme zu kämpfen haben.
Wahrscheinliche Folge des Gesetzes: Überlastete Gerichte, verunsicherte
Bürger, Rechtsunsicherheit wegen vager Formulierungen im Gesetzestext.
Welche Daten müssen die Provider nun Copyright-Inhabern herausgeben?
Die Provider bekommen von den Rechteinhabern Uhrzeit, Datum und eine
IP-Adresse und müssen nach entsprechender Anordnung eines Richter
benennen, wie der entsprechende Kunde heißt und wo er wohnt.
Heikel hierbei ist allerdings die Frage, welche Datenquellen die
Provider für diese Auskunft anzapfen dürfen. Laut
Telekommunikationsgesetz dürfen die Provider nicht auf die vom Staat ab
dem 1. Januar 2009 vorgeschriebenen Web-Zugriffsprotokolle aus der
Vorratsdatenspeicherung zugreifen – hieraus dürfen sie die
Rechteinhaber nicht bedienen. Allerdings speichern Provider ähnliche
Protokolle manchmal auch zur eigenen Nutzung, allerdings nur eine Woche
lang, um Missbrauch ihre Dienste ahnden zu können.
Ob und wann die Auskunftserteilung auf Basis dieser
Nutzungsprotokolle rechtens ist, dürften demnächst Richter zu
entscheiden haben. Auch hier ist derzeit offen, welche Interpretation
der Gesetzestexte sich durchsetzt. Stefan Michalk vom Bundesverband
Musikindustrie hält sogar dieses Szenario für möglich: "Wenn sich in
der Praxis zeigt, dass Rechteinhaber diese Daten nicht erhalten, ist
dieses Gesetz absurd."
Können Tauschbörsen-Nutzer sich beim Saugen von Raubkopien sicher fühlen?
Der Abgemahnten-Anwalt Christian Solmecke schätzt, dass sich "die
Zahl der abgemahnten Filesharer ab dem 01. September 2008 erheblich
reduzieren wird." Sicher sollten Raubkopierer sich aber nicht fühlen.
Denn selbst wenn die Rechteinhaber zunächst die Zahl der
angestrengten Verfahren reduzieren sollten, bis sich nach einigen
Versuchsverfahren eine Linie in der Rechtsprechung abzeichnet, könnte
sich das nach ersten möglichen Erfolgen mit dem neuen Auskunftsanspruch
ändern. Unternehmens-Anwalt Schutt: "Selbst wenn die Gerichte eine
gewisse Erheblichkeitsschwelle einbauen würden, so wäre es doch
möglich, die User, die diese Schwelle erreichen, zur Verantwortung zu
ziehen."
Was ändert sich, wenn nicht mehr die Staatsanwälte ermitteln?
Selbst wenn die Richter die Anträge im Sinne der Rechteinhaber
entscheiden sollten – das neue Gesetz macht es ihnen dennoch nicht
unbedingt leichter, massenhaft gegen Tauschbörsen-Nutzer vorzugehen.
Denn die Rechteinhaber müssen bei diesen zivilrechtlichen Verfahren
sowohl die Gerichtskosten für den Beschluss als auch die Auskunft der
Provider bezahlen. Beim bisherigen Weg über Massenanzeigen trug der
Staat die Ermittlungskosten dieser Strafverfahren gegen unbekannt.
Bei der Festlegung der Gebühren, die Provider für Auskünfte
verlangen dürfen, ist der Gesetzestext nicht ganz eindeutig: von 200
Euro ist die Rede, aber es wird nicht ganz klar, ob 200 Euro für jede
einzelne IP-Adresse berechnet werden dürfen. Sollten Gerichte das so
auslegen, wären die Folgen für die Rechteinhaber verheerend.
Abgemahnten-Anwalt Solmecke: "Wenn für jede dieser tausend IP-Adressen
nunmehr vorab 200 Euro gezahlt werden müssen, wird das Abmahnsystem
weitestgehend zusammenbrechen."
Die Rechteinhaber könnten sich die Gebühren dann zwar von den
ermittelten Tätern als Schadenersatz erstatten lassen, wenn ein Gericht
in ihrem Sinne urteilt. Doch das ist ein Risiko für die Rechteinhaber,
wie Rechtsanwalt Timo Schutt erläutert: "Was ist aber bei Tätern, bei
denen nichts zu pfänden ist? Was ist bei Anschlussinhabern, die nur als
Störer, aber nicht als Täter haften? Hier greift der
verschuldensabhängige Schadenersatzanspruch nicht."
Gibt es nun gar keine Strafanzeigen gegen Raubkopierer?
Rechteinhaber können weiterhin Strafanzeige gegen Unbekannt stellen.
Dabei ist es egal, ob sie vorher oder parallel schon auf dem
zivilrechtlichen Weg versucht haben, Auskunft über die Internet-Nutzer
hinter bestimmten IP-Adressen zu erlangen.
In welchen Fällen das passieren wird, zeigt sich von September an.
Abgemahnten-Anwalt Solmecke schätzt die Lage so ein: "Es ist nicht
sicher, ob alle Staatsanwälte in Deutschland die Ermittlungen
eingestellt haben. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich die
Musikindustrie diese Entscheidung der Generalstaatsanwälte gefallen
lassen wird.
Wird eine Copyright-Abmahnung für Tauschbörsen-Nutzer nun billiger?
Die anwaltlichen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzung dürfen zwar
höchstens 100 Euro kosten, wie es im neuen Gesetz heißt. Allerdings
gilt das nur für "einfach gelagerte" und "unerhebliche" Fälle
"außerhalb des geschäftlichen Verkehrs."
Diese Einschränkungen sind schon vage genug, um lange
Rechtsstreitigkeiten um die zulässigen Gebühren zu ermöglichen. Billig
dürften Abmahnungen für erwischte Copyright-Verletzer nicht werden.
Denn zum einen dürften Rechteinhaber ja von verurteilten
Rechteverletzern abgesehen von den Gebühren auch die Lizenzkosten
verlangen, die für eine legale Nutzung ihrer Werke fällig gewesen
wären. Und zudem müssen die einmal ausfindig gemachten Rechteverletzer
auch die angefallen Gerichts- und Auskunftskosten erstatten.
Anwalt Schutt: "Da die zusätzlichen Kosten für die Ermittlung der
Täter auf die Abgemahnten umgelegt werden müssen, werden die zu
zahlenden Beträge, um zumindest Kostenneutralität für die Rechteinhaber
herzustellen, steigen müssen."
Fazit: Wen es demnächst erwischt, den erwischt es wahrscheinlich so richtig.