Technik-Trends: Das hätten wir 2011 gern (Spiegel Online, 29.12.2010)
Technik-Trends
Das hätten wir 2011 gern
Endlich ein echtes Tablet, dasselbe Digitalmusik-Angebot für Dänen und Deutsche, ein europäischer Binnenmarkt für E-Books und dann noch bitte die Fuchtelsteuerung im Wohnzimmerkino – fünf Technik-Wünsche für 2011.
Spiegel Online, 29.12.2010
{jumi [*3]}
Ja, 2011 wird Apple ein neues iPhone und auch ein neues iPad verkaufen! So viel zu öden Prognosen – und nun Wünsche, die 2011 gern in Erfüllung gehen könnten.
Zum Beispiel dieser: echte Konkurrenz für Facebook. Monopole sind selten gut, und im Moment sieht es danach aus, dass Facebook weltweit die Online-Kommunikation und die digitalen Beziehungsgeflechte einer halben Milliarde Menschen speichert. Mehr ist dazu mangels erkennbarer Konkurrenz im Moment nicht zu sagen.
{jumi [*4]}
Aber man wird ja mal träumen dürfen. Zum Beispiel vom EU-Binnenmarkt. Die Realität 2010: EU-Bürger können ohne Grenzkontrolle quer über den Kontinent reisen, aber Deutsche dürfen im Netz noch immer nicht dieselbe Musik kaufen wie Briten oder Dänen. Aber vielleicht klappt das mit dem digitalen Binnenmarkt ja 2011.
Schön wär’s – und wir hätten noch mehr Wünsche:
Das Ende der Kleinstaaterei im Netz
2010 ist der erste ICE von Frankfurt nach London gefahren, und wenn er in ein paar Jahren regelmäßig die Strecke bedient, verschwindet die letzte Grenzerfahrung in Europa: keine Ausweise mehr vorzeigen! Wer nach Dänemark oder in die Niederlande reist, kann heute schon nicht mehr genau verorten, wo nun eigentlich die Grenze ist.
Es sei denn, man nutzt begeistert großartige technische Errungenschaften wie ein iPhone, Web-Videoportale oder Online-Musikabos. Nationale Schranken fragmentieren das digitale Europa im Netz.
Der einheitliche europäische Binnenmarkt existiert online nicht. Das ist zum Beispiel im Online-Musikgeschäft – zehn Jahre nach Napster! – noch immer so. Bei Spotify, dem derzeit wohl benutzerfreundlichsten und umfangreichsten Musikdienst im Netz, können Kunden für zehn Euro im Monat so viele Songs hören, wie sie wollen. Zu Hause am PC (auch wenn er mal offline ist), unterwegs auf dem iPhone, einem Android-, Windows-, Symbian- oder Palm-Smartphone. Eine Hürde gibt es allerdings: Man muss in Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Schweden oder Großbritannien leben.
Dasselbe Phänomen kann man beim Digitalbuch-Angebot fürs Amazons Lesegerät Kindle beobachten: Wer in Deutschland im englischsprachigen Amazon-Digitalangebot einkauft, hat weniger Auswahl und zahlt mehr. Wer einen Kindle in Großbritannien erstanden hat und den dort nutzt, hat mehr Auswahl, US-Kunden sowieso.
Auch US-Filmunternehmen schrecken davor zurück, in Europa attraktive Streaming-Angebote zu machen, weil sie die erst mit Dutzenden Vertriebsfirmen, Lizenzhaltern und Verwertungsgesellschaften abstimmen müssten, die alle die Hand aufhalten. Dass sich an dieser Kleinstaaterei 2011 grundsätzlich etwas ändert, ist kaum zu erwarten. Immerhin wird die EU-Kommission wohl konkrete Gesetzesvorschläge für ein europaweites Lizenzrecht vorstellen, über das Eurokraten und Industrievertreter seit Jahren sprechen.
Wahrscheinlich startet Amazon sein deutsches Kindle-Angebot 2011, noch bevor die EU-Kommission wieder einmal paneuropäische Lizenzen fordert. Vertreter deutscher Buchverlage berichten von entsprechenden Verhandlungen, Amazon sucht seit November Einkäufer für die Erweiterung (!) des deutschsprachigen Kindle-Angebots an Büchern, Zeitungen und Magazinen.
Ein echtes Tablet
Das iPad war 2010 ein Bestseller. Und Amazons neues Kindle-Lesegerät auch. Das erscheint zunächst ein wenig merkwürdig – die beiden Flunder-Computerchen könnten gegensätzlicher kaum sein: Apples Tablet hat ein großartiges, berührungsempfindliches Farbdisplay, auf dem auch Filme gut aussehen, Amazons Schwarz-Weiß-Grau-Kindle bedient man mit vielen Tasten.
Dass so unterschiedliche Geräte so beliebt sind, zeigt eines: Das Tablet, von dem so viel die Rede ist, gibt es noch gar nicht. Zumindest nicht in einer Gestalt, die das Produktversprechen einlöst: Das Tablet als Fenster zur digitalen Welt, das man immer bei sich hat. Das iPad ist ein Gerät fürs Sofa. Amazons Kindle ist der perfekte Träger für geschlossene Texte, wie sie Bücher, Magazine und manche Tageszeitungen bieten. Texte, die für sich stehen, nicht im Nachrichtenfluss eingebunden sind, ohne Verweise auf andere Quellen funktionieren.
Ein echtes Tablet wird so leicht und dünn wie Amazons Kindle und immer online sein, ein berührungsempfindliches Farbdisplay und eine tagelange Akkulaufzeit bieten. Ob jemand so etwas 2011 verkauft, ist offen. Aber vielleicht schafft es ja doch einmal ein Hersteller, die seit Jahren als Bildschirm der Zukunft vorgeführte Mirasol-Technik in einem massentauglichen Gerät zu verbauen.
Mirasol-Displays sollen den Lesegeräten mit elektronischer Tinte Konkurrenz machen. Die Farbdisplays des Herstellers Qualcomm arbeiten mit vielen kleinen Spiegeln, die einfallendes Licht in nur einer bestimmten Wellenlänge zurückwerfen und so sichtbare Farben erzeugen. Enormer Vorteil der Mirasol-Technik gegenüber E-Ink: Die Spiegel können schnell genug bewegt werden, um Videos auf den Displays abzuspielen. Trotzdem soll ein Mirasol-Display beim Stromverbrauch noch genügsamer sein als E-Ink.
Klingt zu schön, um wahr zu sein – aber so hörte sich das Gerede von funktionierenden Touchscreens ja auch lange Zeit an.
Die Europa-Flatrate
Wie wenig die EU gegen den Nationalismus mancher Anbieter ausrichten kann, zeigt das Mobilfunkgeschäft: Inzwischen gibt es tatsächlich Höchstgrenzen für die Roaming-Gebühren innerhalb der EU, aber im 21. Jahrhundert sind die Tarife der Mobilfunkanbieter bis heute nicht angekommen. Ein Tarifangebot, das etwas mit der Lebenswirklichkeit der iPhone-Nutzer zu tun hat, würde so aussehen: Wer eine Woche oder einen Monat oder auch nur zwei Tage in Großbritannien, Frankreich oder sonst wo in Europa verbringt, erweitert für einen festen Betrag seine Internet-Flatrate einfach.
Statt so eine Europa-Flatrate anzubieten, verkaufen deutsche Mobilfunkanbieter deutschen Kunden in Deutschland Flatrate-Tarife fürs Unterwegs-Internet, genauso wie französische Anbieter in Frankreich. Im Ausland rechnen beide aber nach Kilobytes ab, wie es 1994 Standard war. Also kauft man sich in Frankreich im Urlaub eine französische Prepaid-Karte (15 Euro für einen Monat Internetzugang) und entsperrt vorher das iPhone.
Es gibt mit Sicherheit einige hunderttausend deutsche Mobilfunkkunden, die ihrem Anbieter gerne 15 oder 30 oder vielleicht auch 50 Euro für einen Monat Internet-Flatrate in einem anderen EU-Staat bezahlen würden – daraus müsste ein Geschäft zu machen sein. Es ist absurd, dass man heute quer durch Europa reisen kann, ohne Grenzen zu bemerken, dabei aber bei jedem Vorstoß in eine grenznahe Region panisch auf dem Handy die Option zur Datenstrom-Deaktivierung sucht.
Das Internet wird zum Netz
Vielleicht kann man die Idee vom Internet als virtuellen Raum, der irgendwo weit weg existiert, ja 2011 endgültig vergessen. Wenn es so kommt, wie einige Analysten vorhersagen, werden die Chipsätze für Smartphones in diesem Jahr so billig sein, dass man für 100 oder vielleicht auch 150 Euro einen Computer für die Hosentasche erstehen kann, für dessen Rechenkraft Unternehmen vor zehn Jahren schlimmstenfalls Kredite aufnehmen mussten.
Wenn Telefone und Tarife so billig sind, dass die Mehrheit der Bevölkerung immer und überall online ist, wird aus dem Internet das Netz. Dieses Netz wird dann nicht mehr nur ein Teil des Büro- und Kinderzimmeralltags sein, sondern eine Selbstverständlichkeit wie elektrisches Licht. Welche Angebote entstehen werden, wenn Millionen Normalbürger das Netz überall mit Daten füttern, weiß heute niemand. Vielleicht werden die Preise in Supermärkten und beim Friseur nebenan bald ähnlich vergleichbar sein wie die von Webshops es heute sind – wenn die sparwütige Mehrheit einmal mit dem Preisvergleich per Handyfoto loslegt.
Aber vielleicht bringt uns das Netz auch nur eine Mixed-Reality-Version von Cityville, in der man sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten per Telefon einzuchecken hat, um in der Spielwelt Schätze, Auszeichnungen und vielleicht auch Rabattcoupons zu sammeln.
Fuchtelsteuerung für PC und Fernseher
Acht Jahre ist es her, da fuchtelte Tom Cruise im Science-Fiction-Film “Minority Report” mit seinen Armen in einer projizierten Datenbank herum, sortierte Fotos und blätterte in Akten mit Bewegungen, die man zuvor nur aus Aerobic-Videos kannte. Tom Cruise musste in der Zukunft des Jahres 2002 noch spezielle Handschuhe dafür tragen.
Die Millionen Käufer von Microsofts Spielkonsolen-Steuerung Kinect kommen ohne aus, sie spielen Bildschirm-Tischtennis mit ihrer Hand als Schläger. Inzwischen haben Hacker gezeigt, was man mit Microsofts kamerabasierter Bewegungssteuerung noch so kontrollieren kann: Staubsauger, virtuelle Handpuppen, ja man kann sogar Projektionen berührungsempfindlich machen.
Staubsauger müssen es ja nicht sein, aber eine Kinect-Version für Computer und den Fernseher wäre doch etwas. Durch Fotos wühlen! Die großen Momente eines Films mit einem Handwedeln, Einstellung für Einstellung, Bild für Bild erleben! Wäre doch was.
{jumi [*5]}