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Technikärgernis Akku-Chaos: Ein Koffer voller Batterien (Spiegel Online, 6.10.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Technikärgernis Akku-Chaos

Ein Koffer voller Batterien

Früher trieben Standard-AA-Batterien alles an: Walkman, Minidisc-Rekorder, Diktiergerät, Digitalkamera. Heute braucht fast jedes Gerät Batterien im Spezialformat. Im Urlaub schnell Ersatz kaufen? Da findet man schneller eine neue Kamera.

Spiegel Online, 6.10.2008

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Der Weiterflug ist gestrichen, der Koffer irgendwo für mich
unerreichbar unterwegs – plötzlich 18 Stunden Zwangsfreizeit in New
York, ausgestattet mit einer Zahnbürste der Fluggesellschaft und meinem
Fotohandy. Immerhin. Wunderbare Gelegenheit, einmal die Stadt zu sehen
und viele Fotos zu machen.

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Theoretisch. Denn nach ein paar Stunden ist Schluss mit Knipsen und
Telefonieren – der Akku des Mobiltelefons ist leergesaugt, das
Ladegerät im Koffer verschollen. Den Rest des Tages dann vor allem New
Yorker Elektro- und Fotoläden besichtigt. Ergebnis: Es gibt überall die
Mignon- und Micro-Batterien zu kaufen, die vor Jahren auch in
Deutschland fast jeden Walkman, Minidisc-Abspieler und auch viele der
ersten Digitalkameras angetrieben haben. Einen Akku für mein Nokia 6110
Navigator habe ich hingegen nirgends gefunden, ein Ladegerät auch nicht.

21 Akkutypen für 50 Nokia-Geräte

Früher war nicht alles besser – die Akku-Auswahl aber ganz sicher,
da kleiner: Für Mobiltelefone und Digitalkameras baut jeder Hersteller
seine eigenen Akku-Modelle. Die sind oft sogar ähnlich groß, passen
aber dennoch nicht in die Geräte anderer Hersteller, ja nicht mal in
andere Gerätemodelle derselben Firma.

Bei Nokia gibt es im Moment allein für die derzeit 50 im Handel
vertriebenen Mobiltelefone 21 verschiedene Akku-Typen. Kein Wunder,
dass man bei dieser Vielfalt im Urlaub nicht mal eben Ersatz kaufen
oder die Batterien aus der Kompaktkamera ins Mobiltelefon stecken kann.

Der Unterschied: Die alten, runden Batterien und Akkus, die früher
in fast alle Unterwegsgeräte passten und heute noch überall zu kaufen
sind, waren genormt. Das American National Standards Institute (ANSI)
gab die Größe vor – mehr als ein halbes Jahrhundert ist das her. 1947
definierte das ANSI eine Standardgröße und -Spannung für die
sogenannten AA-Zellen, auch als Mignon-Batterien bekannt.

Viele neue Unterwegsgeräte, aber keine Akku-Standards

Diese Norm und ein paar andere Vorgaben für Batteriegrößen machte
die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) weltweit zum
Standard. In Deutschland hat das Institut für Normung (DIN) sie
übernommen.

Seither ist die Anzahl und Vielfalt akkubetriebener Geräte
explodiert (Laptops, Digitalkameras, Mobiltelefone, Navigationsgeräte)
– neue Standards für Akku- und Batteriegrößen gibt es nicht.

Die kann ein Institut wie das DIN auch nicht einfach so erlassen, da
müssen sich die Vertreter der Hersteller einigen. DIN-Sprecher Peter
Anthony: "Die Normung der Schnittstellen bei Netzteilen und Ladegeräten
ist in der Tat seit langem ein Ziel unseres Verbraucherrats."

DIN warnt vor "tonnenweise Elektroschrott"

Schon vor zwei Jahren, im Juni 2006, hat dieses Gremium einen
eigenen Normungsvorschlag veröffentlicht – für, so der Titel:
"Schnittstellen von Batterieladegeräten und akkubetriebenen
Alltagsgeräten für Verbraucher".

Ihren Vorschlag begründen die Verbrauchervertreter so: "Die
vollständige Individualisierung der Schnittstelle zwischen Ladegerät
und akkubetriebenem Alltagsgerät hat zu einer unüberschaubaren Vielfalt
von nicht kompatiblen Bauteilen geführt. Dieser Umstand ist
kostenintensiv, führt zu tonnenweise elektronischem Abfall, verhindert
eine Vereinfachung der Entsorgung und des Recyclings."

Das stimmt zwar alles – aber neue Akku-Standards wird es wohl
trotzdem nicht so bald geben. Für Nokia erklärt der
Produktmanagement-Chef Stephan Schwarz: "Eine Standardisierung hat hier
wenig Sinn, da die Bauform sowie die Leistungskapazität eines Akkus dem
Funktionsumfang und dem Gerätedesign folgt, und nicht andersherum."
Abgesehen davon würden Nokia-Akkus strengen Tests unterzogen – "eine
Standardisierung würde hier schwer umzusetzen sein".

Dicke Akkus für dicke Alleskönner-Telefone

Kamerahersteller Sony winkt auch ab. Das Verhältnis von Akku-Typen
und Modellen ist etwas besser als bei Nokia – auf zwölf aktuelle
Kameramodelle kommen 2008 nur vier neue Akku-Typen. Auch Sony-Manager
Christian Rauch argumentiert, dass so viel Akku-Vielfalt einfach sein
müsse: "Form und Größe unserer Akkus werden durch die Kamerabauform,
die Leistung und technischen Anforderungen der Kameraelektronik
bestimmt."

Schon klar: Weil die Geräte immer kleiner werden sollen, schrumpfen
die Akkus mit. Und natürlich braucht ein Multimedia-Handy mit
Xenon-Blitz und GPS mehr Strom (und einen dickeren, teureren Akku) als
ein Simpel-Telefon, das weniger kann, weniger kostet und weniger wiegt.

Einen Einheitsakku für alle Unterwegsgeräte, wie es vor vielen
Jahren die AA-Zellen waren, wird es wohl nicht mehr geben. Bernd
Theiss, Technik-Chef beim Fachmagazin "connect" begründet das so: "Mein
MP3-Player ist kaum größer als ein Handyakku, da ist der Akku natürlich
fest eingebaut. Und meine Digitalkamera ist so groß, dass ein dicker,
handyuntauglicher Akku nicht stört, aber die nötigen Ausdauerreserven
bringt."

Trotzdem: 21 Akkutypen für 50 Gerätemodelle – muss wirklich so viel
Vielfalt sein? Und ist es wirklich unvermeidbar, dass die Akkus einer
digitalen Kompaktknipse von Sony nicht in ein Panasonic-Modell passen,
dass überhaupt kaum ein Kompaktakku in andere Kameras passt? Etwas
Vielfalt ist technisch bedingt – totales Chaos muss aber nicht sein.

Baugleiche Akku-Typen mit minimalen Veränderungen

Horst Gottfried, Technik-Experte beim Fachmagazin "Colorfoto"
erinnert daran, dass bei Kameras schon in der Analog-Ära verschiedene,
manchmal nicht standardisierte Akku-Typen genutzt wurden: "Da gab es
schon zig Sorten Knopfzellen, später wegen leistungshungrigen Extras
wie Blitz und Motorzoom drei Typen von Lithium-Zellen."

Gottfried urteilt: "So lange aber unterschiedliche Akku-Typen aus
technischen Gründen bedingt sind, sehe ich das gelassen. Ärgerlich wird
es, wenn verschiedene Kamerahersteller einen technisch baugleichen
Akku-Typ verwenden, aber dann die Kontakte anders plazieren, damit nur
die eigenen Akkus in Kamera und Ladegerät passen."

Gottfried glaubt folglich nicht daran, dass die Hersteller
irgendwann einen Akku-Standard für Digitalkameras etablieren werden:
"Die wollen sich das lukrative Akku-Zusatzgeschäft doch nicht nehmen
lassen."

Wer also ohne Ladegerät und mit ausgelaugter Digitalknipse in einer
Stadt strandet, kann entweder alle Elektroläden besichtigen, gleich
eine neue Digitalkamera kaufen (und dann stundenlang aufladen) oder
einfach eine Einwegkamera mit Film nehmen. Die gibt es auch zuhauf in
all den Läden, die AA-Batterien führen. Analog schlägt digital –
manchmal.

Versteckte Einschaltknöpfe, verwirrende Anleitungen, verrückte
Automaten – in der Reihe "Fehlfunktion" stellen wir in loser Folge
Technikärgernisse vor, die Millionen nerven. Schicken Sie uns Ihre
Anregungen mit einer kurzen Begründung. Am besten per

E-Mail.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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