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Technikärgernis Aufzug: Zwei Knöpfe, kein Plan (Spiegel Online, 27.5.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Aufzug

Zwei Knöpfe, kein Plan

Rufgeber, Sammelsteuerung mit Zweiknopf, Umsteuerung des Schließvorgangs: So schreiben Experten über Aufzüge und so sieht die Bedienung dann auch aus. Deutsche Liftanlagen tolerieren keine Fehler – wer den falschen Knopf drückt, muss büßen.

Spiegel Online, 27.5.2008

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Es ist heiß, es ist voll, es ist Schlussverkauf im Sportkaufhaus: Vor den Aufzugtüren im Golfgeschoss drückt ein runder, kleiner Mann die beiden Pfeiltasten der Liftanlage. Immer wieder, immer schneller – er will weg und glaubt an diesen unausrottbaren Liftmythos: Wer beide Knöpfe (Fachausdruck: "Rufgeber") drückt, halbiert die Wartezeit.

Stimmt nicht.

Aber es erklärt einem ja niemand, wie das System mit den zwei Pfeiltasten (Fachbegriff: "Zweiknopf-Sammelsteuerung") wirklich funktioniert. Beschriftung? Intuitive Bedienung gar? Nein, es gibt nur Mythen. Diesen zum Beispiel – sehr verwegen, aber viel intelligenter konstruiert als das Alles-ganz-oft-Drücken-Theorem: "Du musst nach unten drücken, der Aufzug ist ja gerade hoch," sagt die Frau des kleinen, runden Mannes in der Golfabteilung.

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Demnach müsste man also nach unten gefahrene Aufzüge hoch- und hochgefahrene Kabinen wieder herunterrufen. Völliger Quatsch natürlich, das Doppelknopf-System funktioniert so: Wer nach unten will, muss auf den Pfeil nach unten drücken. Und nur auf den. Dann halten auf der Etage bloß jene Aufzugskabinen, die nach unten unterwegs sind. So kann man in die richtige Richtung mitfahren.

Wer beide Knöpfe drückt, steigt also womöglich in einen Lift in die umgekehrte Richtung, wundert sich. Und wenig später hält dann der Lift, der in die andere Richtung unterwegs war, in der inzwischen leeren Etage. Niemand steigt ein, die Insassen ärgern sich, alles wird schlimmer.

"Frisch ertappte Fehlbediener" ermahnen

Schuld daran sind nicht ausreichend geschulte Liftinsassen. Schlechte Gestaltung? Nicht-intuitive Bedienung? Der Fachdienst "Baunetz" urteilt: "Trotz einfacher Bedienung ist häufig eine falsche Bedienung der Druckknöpfe festzustellen." Die Expertenvorschläge reichen hier von "hausinternen Bedienungsanleitungen" bis zur Anregung, dass "mit der Benutzung von Zweiknopf-Steuerungen vertraute Aufzugsbenutzer" in Zukunft "frisch ertappte Fehlbediener" freundlich auf ihren Fehler hinweisen sollten.

Man könnte natürlich auch die Knöpfe anders gestalten. Oder, wenn das nichts hilft, testen, ob eine simple Ein-Knopf-Lösung nicht effizienter ist als zwei Pfeiltasten, die fast jeder falsch bedient.

Den so draußen eingesparten Knopf könnte man in den Liftkabinen gut gebrauchen. Wählt man in einem Aufzug in Deutschland die falsche Etage aus, muss man dort fast immer anhalten – versehentlich gedrückte Stockwerke kann man nicht abwählen.

Wer die falsche Etage wählt, muss da halten

Es ist absurd: Hat man den Backofen zu heiß eingestellt, kann man die Temperatur jederzeit herunterdrehen. Hat man die falsche Telefonnummer gewählt, kann man auflegen. Doch ein Lift verzeiht nicht: Wer die falsche Etage wählt, muss dort halten und sich ärgern. Würde der Backofen so funktionieren, müsste man zusehen, wie der Kuchen verbrennt.

Den ganzen Ärger mit den irrtümlich gewählten Zieletagen könnte eine simple Funktion beenden: Drückt man den aus Versehen betätigten Knopf noch einmal, hebt das die Auswahl auf. Schließlich kann man während der Fahrt ja auch jederzeit neue Etagen dazu wählen – warum sollte man sie also nicht auch abwählen können? In den Aufzügen des Emirates Tower in Dubai geht das, in Japan in vielen neueren Aufzügen auch.

Etagen-Abwahl? Tür-zu-Taste? Fehlanzeige.

Die Aufzugbauer wehren sich gegen den Verdacht, sie seien nicht auf so etwas banal-praktisches wie die Etagenabwahl gekommen. Bei Osma-Aufzügen zum Beispiel könnte der eben gedrückte Etagen-Knopf für ein paar Sekunden blinken. Würde man währenddessen noch einmal draufdrücken, wäre die Etage wieder abgewählt. Wäre. Denn die Kunden müssen diese Funktion dazubestellen. Sie tun es aber nicht. Osma-Technikchef Klaus Hebbeler: "Leider wird diese Funktion nicht von sehr vielen Kunden gewünscht."

Fürchten die Bauherren den Krieg in ihren Liftanlagen? Ein Horror-Szenario: Menschen in gefühlter Eile wählen alle ausgewählten Etagen außer ihrem Ziel ab. Jede Fahrt im Lift mit Abwahlfunktion treibt den Adrenalinpegel hoch: Die Insassen belauern das Bedienpult, prüfen nach jedem Zwischenstopp, ob neu Eingestiegene wirklich nur eine Etage aus- und nicht vielleicht doch heimlich alle anderen abwählen…

Nur die Angst vor solchem Missbrauch kann erklären, warum in deutschen Aufzügen so praktische Funktionen wie die Etagen-Abwahl fehlen. Ein anderes Beispiel: Tür-zu-Tasten sieht man auch in kaum einer deutschen Liftanlage, während sie etwa in der Schweiz und den Vereinigten Staaten fast überall zu sehen sind.

In Deutschland gibt es nur die Tür-auf-Taste. Die tut keinem weh und ist vorgeschrieben – in der Europäischen Norm EN 81 über die "Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen" einzeln für Seilaufzüge (EN81-1) und für Hydraulikaufzüge (EN81-2). Da heißt es: "Bei selbsttätig kraftbetätigten Fahrkorbtüren muss im Fahrkorb eine Einrichtung vorhanden sein, die eine Umsteuerung des Schließvorganges ermöglicht."

So ist das: Tür-auf–Tasten sind Pflicht. Tür-zu-Tasten wären bloß praktisch.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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