Zum Inhalt springen

Technikärgernis Automatik-Jalousie: Die Verschwörung der Windwächter (Spiegel Online, 13.1.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Automatik-Jalousie

Die Verschwörung der Windwächter

Die Sonne knallt, ein laues Lüftchen weht und die Automatik rollt die Jalousien aus Angst vor Sturmschäden hoch. Fassaden-Verdunkler spinnen, weil Windsensoren falsch plaziert und Anlagen schlecht programmiert sind – oder weil Chefs an der Zurechnungfähigkeit der Büroarbeiter zweifeln.

Spiegel Online, 13.1.2009

Wenn die Grafiker die Packpapierrollen ausrollen und die Fenster mit mehreren braunen Lagen zukleben, dann ist der Sommer da. Kann sein, dass die Angestellten in den meisten anderen Bürogebäuden Deutschlands im Hochsommer von heruntergefahrenen Jalousien abgeschirmt bequem im Dämmerlicht sitzen.


In meinem alten Büro musste man die Sonne selbst aussperren. Außenjalousien gab es zwar, allerdings auch eine Automatik, die diese bei knallender Sonne regelmäßig und stundenlang unkorrigierbar hochfuhr – wegen zu viel Wind und drohenden Sturmschäden an den Jalousien, wie ein Haustechniker erklärte.

So etwas gibt es nicht nur im Ruhrgebiet – über solche Mimosen-Jalousien klagen SPIEGEL-ONLINE-Leser aus ganz Deutschland.

Ingmar Hook zum Beispiel arbeitet bei München in einem Büro mit
Jalousienkrankheit: "Unser Windwächter fährt die Jalousie kompromisslos
hoch, sobald etwas Wind geht. Für diesen Fall haben wir uns alte
A0-Wandkalender besorgt, die wir dann ins Fenster kleben können, damit
man auf den Bildschirmen wieder etwas sieht."

Eigentlich müssen Automatik-Jalousien nicht so herumzicken. Eigentlich
ist die Technik perfekt, sagt Elmo Schwandke, Chefredakteur der
Fachzeitschrift für Gebäudetechnik und Handwerk "g+h". Seine
Einschätzung: "Ich sehe da keine grundlegenden technischen Hürden bei
den verwendeten Komponenten." Das Problem ist nicht die Technik an
sich, sondern die Installation und Programmierung der Anlage samt
Sensoren für Licht und Wind.

Sicher, so Gebäudetechnikexperte Schwandke, gäbe es Anlagen, die
bei knallender Sonne wegen eines "leichten Lüftchens das Büro komplett
der Mittagssonne aussetzten". Aber: "So etwas liegt in fast allen
Fällen an fehlerhafter Programmierung. Kompetenten Elektrofachbetrieben
unterlaufen solche Fehler nicht."

Ein Sensor für vier Fassaden

Eine häufige Ursache für zickende Automatik-Jalousien: Eine zentrale
Wetterstation misst Windgeschwindigkeit und Lichtenstrahlung, und die
Automatik lässt auf Basis dieser Daten an allen vier Fassaden die
Jalousien reagieren. Da bei viereckigen Gebäuden die Sonne
erfahrungsgemäß maximal zwei Seiten zugleich einigermaßen direkt
erwischen kann, frustriert so eine Automatik mindestens die Hälfte der
Büroarbeiter.

Das gleiche Problem taucht auf, wenn ein Windsensor (auf dem Dach?)
Sturmwarnung für Außenjalousien an allen Gebäudeseiten gibt. Dann kann
es gut sein, dass an einer Seite, wo gerade überhaupt kein Wind weht,
die Jalousien wegen vermeintlich zu hoher Windstärke hochfahren. Kommt
vor, bestätigt Gebäudetechnikexperte Schwandke, müsse aber nicht sein:
"Mit einer fassadenabhängigen Steuerung kann man solche Fehlerquellen
ausschließen. Außerdem ist es nicht in jedem Fall notwendig, alle
Fassaden komplett zu automatisieren."

Sprich: Wenn es dem Bauherren zu teuer ist, für jede Fassade eigene
Sensoren installieren zu lassen, könnte man ja wenigstens den
Büroarbeitern ein wenig mehr Kontrolle über die Verdunkler geben.

Überempfindliche Sensoren

Aber selbst wenn die zentrale Wetterstation eines Bürogebäudes auf
dem Dach steht, erklärt dass nicht, warum jeden Tag mehrmals die
Jalousien wegen vermeintlicher Sturmgefahr hochgefahren werden. So oft
kommt es ja nicht vor, dass Sturmböen über Bürodächer fegen.

Dass die Automatik trotzdem im Hochsommer täglich Windalarm schlägt,
liegt meistens an falsch programmierten Grenzwerten. Außenjalousien
droht erst bei deutlich spürbaren Windböen Gefahr – nicht bei jedem
lauen Lüftchen, auf das so manche Automatik anspringt. Aber es ist
natürlich aufwendiger und teurer, eine individuelle Abstimmung zu
finden als die sehr niedrig angesetzten Standardwerte zu verwenden.
Gebäudetechnikexperte Schwandke: "So etwas muss natürlich exakt
gemessen, erprobt und programmiert werden. Es lohnt hier durchaus,
etwas mehr Geld für eine professionelle Programmierung und
Systembetreuung auszugeben."

Programmierte Jalousie

Und selbst wenn all das nicht funktioniert, wenn ein zentraler
Sensor an einer denkbar ungeeigneten Stelle am Gebäude
Windgeschwindigkeit und Lichtverhältnisse misst und arg niedrige
Standard-Grenzwerte eingestellt sind – das ist kein Grund, die
Entscheidungen einer derart beschränkten Automatik allen Büroinsassen
aufzudrängen.

Denn seit Anfang der 90er Jahre lässt sich die Elektroinstallation in
den meisten Büroneubauten sehr flexibel programmieren – Datenleitungen
verbinden die elektrotechnischen Komponenten, Bus-Technik heißt das im
Fachjargon. Theoretisch ist mit dieser Infrastruktur auch so ein
Szenario denkbar: Wenn jemand in seinem Büro die Jalousien vor fünf
Minuten selbst heruntergelassen hat, ändern die Automatik fünf Minuten
später die Position der Lamellen nicht, wenn ihr Lichtsensor dann auch
feststellt, dass es deutlich heller geworden ist. Bis zu einer
bestimmten kritischen Windgeschwindigkeit lässt die Automatik den
Büroangestellten völlige Kontrolle über die Einstellungen der
Jalousien.

Vertrauen ist gut, Jalousieautomatik besser

Sprich: Eine gute Automatik müsste und könnte auch erkennen, wenn
die Büroarbeiter sich gerade mal nicht vorschreiben lassen wollen, wie
viel Licht sie brauchen, weil sie vor ein paar Minuten selbst die
Jalousien so eingestellt haben, wie sie sie haben wollen. Ob es im Büro
gerade zu hell oder zu dunkel, weiß ja eigentlich jeder Mensch besser
als eine Wetterstation auf dem Dach des Nachbartrakts.

Trotzdem ist bei Automatik-Jalousien nach einer Aktion oft für lange
Zeit jede manuelle Korrektur blockiert. Gebäudetechnikexperte
Schwandke: "Es ist manchmal schon erstaunlich, wie wenig Installateure
oder Bauherrn den Mitarbeitern in einem Bürogebäude vertrauen."


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert