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Technikärgernis Einhebelmischer: Mischen impossible (Spiegel Online, 10.11.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Einhebelmischer

Mischen impossible

Im Wechselbad: zu viel oder zu wenig, eisig oder kochend heiß – wer in der Dusche mit Einhebelmischern hantiert, duscht manchmal gefährlich. Dabei ist das Bedienkonzept eigentlich genial, nur die Umsetzung leidet an mieser Verarbeitung und der selten perfekten Sanitärwelt.

Spiegel Online, 10.11.2008

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Das hat sich Alfred Moen anders vorgestellt: 1937 glaubte der
Maschinenbau-Student die Lösung gegen unerwünschte Schwankungen der
Wassertemperatur beim Händewaschen gefunden zu haben. Moen hatte sich
wieder einmal beim Jobben in der Autowerkstatt die Finger verbrannt –
an einem Waschbecken mit Kalt- und Warmwasserhahn.

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Er drehte den Warmwasserhahn auf, und nach den ersten eisigen Litern
kam das kochendheiße Wasser schneller als erwartet. Moen begann zu
grübeln, zu zeichnen und war sich bald sicher: Die Bedienung über einen
einzigen Hebel dürfte die unerwünschten Wechselbäder ein für alle mal
abschaffen.

70 Jahre später gehört die von Moen gegründete Einhebelmischer-Firma
zu einem Konzern, der jährlich Haushaltswaren für 4,5 Milliarden Dollar
verkauft. Die von ihm erdachten Mischhebel stecken weltweit in Duschen,
über Waschbecken und Badewannen, Einhandarmaturen sind Marktführer in
Deutschland.

Nur die Wechselbäder sind noch immer gang und gäbe, wie viele Leser
in E-Mails über die Fehlfunktion Einhebelmischer beklagen.
Grafikdesigner Arend Goens zum Beispiel schreibt: "Wassermenge und
Temperatur lassen sich nur miserabel regulieren – ein Korrekturversuch
bedeutet oft Ausschalten, spritzende Fontänen, kochendes oder eiskaltes
Wasser."

Der Einhebelmischer – eine Fehlkonstruktion? Kommt darauf an. Moens
Bedienprinzip (Hebel nach oben, mehr Wasser, Hebel nach links, heißeres
Wasser) ist genial, die Umsetzung manchmal mies. Und für viele
Wechselbäder kann man gar nicht die Einhebelmischer verantwortlich
machen – das an sich perfekte Bedienkonzept kommt eben nicht so gut mit
der unperfekten Sanitärwelt zurecht.

Eisiger Duschstart

Beim Kaltstart zum Beispiel: Warum dauert es bei manchen Duschen so
lange, bis das Wasser so warm wie eingestellt aus dem Hahn kommt?

Schuld daran ist nicht die Armatur, sondern die Entfernung zwischen
Wasserhahn und zum Beispiel der zentralen Heizanlage. Erst muss das
gesamte (womöglich abgekühlte oder eh kalte Wasser) im Rohr dazwischen
ablaufen, bis das Warmwasser kommt. Sprich: Je länger die Leitung,
desto länger wartet man. Hektisches Umschalten am Einhebelmischer
bringt da gar nichts – im schlimmsten Fall kommt dann nach ein paar
lauen Litern plötzlich viel zu heißes Wasser aus der Dusche, wenn man
den Hebel entnervt auf maximale Wärme gestellt hat.

Wechselbad beim Duschen

Wer kennt das nicht: Beim Duschen wird das angenehme Wasser
schlagartig viel zu heiß oder eisig kalt und jede kleine Korrektur am
Einhebelmischer schlägt wenig später in das andere Extrem um – heiß
wird eisig und so weiter.

Das kann mehrere Ursachen haben. Ältere Durchlauferhitzer zum
Beispiel reagieren sehr feinfühlig auf Schwankungen beim Wasserdruck,
erklärt Sanitärexperte Christian Meyer vom Do-it-yourself-Magazin
"Selbst ist der Mann": "Hydraulische Geräte, die sich nur bei hohem
Wasserdruck einschalten, sorgen für Wechselduschen.

Moderne, vollelektronische Durchlauferhitzer arbeiten unabhängig vom
Wasserdruck, hier fließt immer Wasser mit der Temperatur heraus, die am
Gerät eingestellt wurde. Diese Geräte machen dann allerdings den
Einhebelmischer überflüssig – am genausten steuert man die Temperatur
bei diesen Geräten über die Fernbedienung, der Einhebelmischer steht
dann am besten auf voll warm.

Ein anderer Grund für plötzliche Temperaturschwankungen: Wenn
mehrere Nutzer gleichzeitig eine Wasserleitung anzapfen, schwanken
Druck und Temperatur – lässt jemand in der Küche kaltes Wasser laufen,
wird das Duschwasser im Bad plötzlich heißer. Dagegen hilft ein
Thermostat, der plötzliche Temperaturschwankungen ebenso schnell
ausgleicht. Allerdings haben in Deutschland nur knapp zehn Prozent der
Haushalte einen Thermostat.

Gegen plötzliche Hitzewellen bei Druckabfall helfen auch sogenannte
Druckausgleichssysteme, die in den Vereinigten Staaten vorgeschrieben
sind.

Verkalkte Hebelmischer

Manchmal hakt’s aber auch beim Einhebelmischer: Wenn der Hebel sich
nur noch ruckartig bewegen und der Wasserdruck in entsprechend großen
Sprüngen (wenig – sehr viel) regulieren lässt, liegt das an
Ablagerungen in der Armatur oder an schlechter Schmierung. Wie gut die
Einhebelmischer verschiedener Hersteller im Inneren verarbeitet sind,
verraten nur Testberichte.

Der deutsche Hersteller Grohe – die Firma verkaufte 1962 die ersten
Einhebelmischer in Deutschland – verweist zum Beispiel stolz auf einen Dauergebrauchstest des TÜV Süd
– den allerdings Grohe selbst in Auftrag gegeben hat. Die TÜV-Prüfer
haben neun Einhebelmischer von Bedienrobotern 210.000 mal Ein- und Aus-
und 140.000 mal von warm auf kalt stellen lassen. Das für den
Hersteller höchst erfreuliche Ergebnis bei Testende: Für den
Grohe-Griff braucht man beim Öffnen und Temperaturregeln am wenigsten
Kraft.

Mischer hebeln Wassersparer aus

Ein Problem vieler Einhebelmischer ist der Wasserverbrauch. Gerade
Hebel mit einem arg kurzen Öffnungsweg werden meist extrem dosiert –
ganz auf oder ganz zu. Inzwischen bauen Hersteller auch Modelle mit
einem Widerstand in der Mittelstellung ein, der Hebel wird
zwischendurch ausgebremst, wer mehr Wasser will, drückt weiter.

Deutlich schwieriger ist es, die Warmwasserverschwendung anzugehen:
Einhebelmischer stehen meistens in Mittelstellung, mischen also zu
gleichen Teilen warmes und kaltes Wasser, was die meisten Nutzer nicht
aus dieser Bedienstellung ablesen. Das Heimwerker-Magazin "Selber
Machen" kritisierte im vorigen Jahr die Einstellung: "Dadurch wird
unnötig Energie verschwendet, denn beim kurzen Händewaschen gelangt das
heiße Wasser nicht mal bis zum Auslauf. Es erwärmt nur die Leitung."

Eine Lösung sind Einhebelmischer, die bei Mittelstellung nur kaltes
Wasser durchlassen. Das Problem dabei: Der Weg des Hebels zum Mischen
ist halb so lang wie sonst und die Dosierung entsprechend weniger genau.

Perfekte Idee, unperfekte Welt

Einhebelmischer leiden an einer unperfekten Welt. Ulrike
Heuser-Greipl, Sprecherin des deutschen Einhebel-Pioniers Grohe,
erklärt: "Unzureichende Planung, wie zum Beispiel die Größe des
Warmwasserspeichers, der Rohrweg bis zur Armatur oder mehrere
Zapfstellen, die an einer Wasserzufuhr hängen, kann auch die modernste
Technologie nicht vollständig ausgleichen." Der Einhebelmischer ist das
letzte Glied in der Installationskette – so wunderbar die Idee auch
ist, die Umsetzung wird immer an der Realität leiden.

Alfred Moen hat die Bedeutung seiner Erfindung immer pragmatisch eingeschätzt. Die "New York Times" zitiert diese Reaktion des 2001 Verstorbenen auf entsprechende Anfragen: "Ich habe nicht das Penicillin erfunden."

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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