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Technikärgernis Fernbedienung: Viele kleine Tasten, wenig Bedienung (Spiegel Online, 10.12.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Fernbedienung

Viele kleine Tasten, wenig Bedienung

Schlange, Lolli, Doppelstrich – Fernbedienungen verwirren mit solch komischen Symbolen auf vielen winzigen Tasten. Selbst bei Billig-Handys leuchten die, aber auf der Fernbedienung bleiben sie seit einem halben Jahrhundert dunkel.

Spiegel Online, 10.12.2008

Robert Adler kann man keinen Vorwurf machen. Als der Erfinder der drahtlosen Fernbedienung 1956 in Chicago die ersten Modelle des "Space Commander" getauften Geräts konstruierte, verpasste er den Fernseh-Knipsern zwei Knöpfe. Einen für die Kanalauswahl, einen für die Lautstärke.


Jahrzehnte später, bei
einem Interview für die "Academy of Television Arts & Sciences",
klagte Adler 2004 über die Fernbedienungen von heute: "Die haben viel zu viele Knöpfe."

Wohin die Fernbedienung sich entwickeln sollte, gab Adlers
Arbeitgeber Zenith schon mit den Nachfolgemodellen der Ur-Fernbedienung
vor: Mehr Knöpfe, noch mehr Funktionen, weniger Übersicht.

"Farbton regulieren nach Lautlosschalten"

Der "Space Commander 600" brachte auf vier Schaltern sechs
Funktionen unter – mitsamt des wohl ersten Beispiels für
Schalter-Überladung: Um die Grün- und Rottöne des Fernsehbildes per
Fernbedienung zu verstärken oder abzuschwächen, musste man erst den Ton
ausschalten und dann die eigentlich zum Kanal-Zappen vorgesehenen
Tasten drücken.

Immerhin stand auf dieser Fernbedienung noch groß die etwas befremdlich
wirkende Anweisung: "Farbton regulieren nach Lautlosschalten".

Heute haben Fernbedienungen einige Tasten mehr – 63 sind es zum
Beispiel bei der DVD-Fernseherkombination Xoro HTC 1900d, 42 bei einem
Toshiba-Fernseher. Diese Menge an Tasten ist seit Jahren konstant hoch,
schon in den achtziger Jahren gab es TV-Fernbedienungen, die auch den
Videorecorder steuerten. Das Problem dabei: Abgesehen davon, dass sich
die Menge an Tasten auf dem Bedienknüppel im Vergleich zum ersten
"Space Commander" verdreißigfacht hat, ist sonst nicht viel passiert:
Die Tasten sind Tasten geblieben.

Was sie eigentlich bewirken, versuchen die Hersteller mit
aufgedruckten Symbolen anzudeuten. Das klappt natürlich nicht – wie
könnte es auch für jede von 63 Funktionen jeweils ein Sinnbild geben,
das ähnlich verständlich ist, wie es die Vor- und Rückspul-Symbole
inzwischen sind?

Ein Lolli mt Pfeil als Symbol

Die kläglichen Symbol-Versuche sehen zum Beispiel aus wie ein großer
Lolli, der auf der Seite liegt und einen Pfeil als Stiel hat (siehe
Fotostrecke). Mit dieser Taste wählt man bei Toshiba-Fernsehern aus,
welches Bildsignal sie wiedergeben (HDMI-Eingang, DVB-T,
Komponenteneingang).

Noch verwirrender sind einige der 63 Tasten auf der
Xoro-Fernbedienung für das HTC 1900d: Da schlängelt sich zum Beispiel
ein Pfeil von oben rechts nach unten links. Ebenso verwirrend: Auf zwei
der 63 Tasten steht Zoom (einmal schwarz auf rot und rund, einmal in
hellgrau unter einem Knopf mit Pfeilen und Querstrichen).

Solche Fernbedienungssymbolik sieht Nico Jurran, Redakteur für
Videotechnik beim IT-Fachmagazin "c’t", als einen Schwachpunkt vieler
Fernbedienungen. Im Testalltag ärgert sich Jurran außerdem besonders
häufig über diese Schwächen:

 

  • Micro-Tasten, die ein Erwachsener nicht drücken kann
  • Gummi- oder Folien-Tasten, die keinerlei haptisches Feedback geben
  • zu stark gerichtete Infrarot-Sender in der Fernbedienung oder zu schwache Empfänger im Gerät, die ein genaues Zielen erfordern
  • Tasten, die in verschiedenen Betriebsmodi unterschiedliche (oder keine) Funktionen haben
  • die Unsitte, auch Tasten, die man häufig benutzt, hinter einer Klappe verschwinden zu lassen

Schaut man sich die Vieltasten-Monster von heute an, muss man sich
schon fragen, was sich eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten an
Fernbedienungen verändert hat. Auf den meisten mitgelieferten Modellen
sind die Symbole der Tasten im Fernsehabend-Dämmerlicht kaum zu
erkennen. Warum sind die Tasten nicht beleuchtet, wie heutzutage bei
jedem Billig-Mobiltelefon? Und warum fühlen sich fast immer alle Tasten
-abgesehen von Wippschaltern für Lautstärke und Kanalauswahl – ähnlich
an?

Irgendwann soll die
Gestensteuerung kommen

Die angefragten Hersteller Sony, Panasonic und Toshiba haben
konkrete Fragen nach Entwicklungsprojekten für intuitive Bedienungen,
nach besonders geformten oder beleuchteten Tasten nicht beantwortet.
Toshiba-Sprecherin Kerstin Oppermann verspricht immerhin mögliche
Änderungen für eine nicht weiter bestimmte Zukunft: "Fernbedienungen
sind ein fortlaufendes Projekt, mit dem sich unsere Ingenieure und
Designer beschäftigen. Toshiba forscht sogar daran, eine Fernbedienung
komplett durch Steuerung von Gesten- und Stimmen zu ersetzen."

"Das soll die Benutzerschnittstelle sein?"

Bis dahin könnte etwas Licht helfen. SPIEGEL-ONLINE-Leser Christian
Schlender ärgert sich: "Die mir bekannten Geräte sind mit zahllosen
Knöpfen belegt, die wahllos verteilt, zudem unbeleuchtet und meist sehr
klein sind. Die Fernbedienung ist offenbar ein Stiefkind der
Entwicklungsabteilungen. Es ist nicht zum Aushalten und das soll die
Benutzerschnittstelle sein?"

Dabei gibt es durchaus Innovationen. Zubehörhersteller wie Logitech
verpassen ihren Fernbedienungen zum Beispiel Hightech-Extras wie
berührungsempfindliche Displays, verlangen dafür aber auch ein paar
Hundert Euro pro Gerät.

Dass man als Hersteller auch den mitgelieferten
Standard-Fernbedienungen ein paar Extras verpassen kann, hat vor vielen
Jahren der japanische Elektronikkonzern Akai bei seinen Videorecordern
gezeigt. Das um die Jahrtausendwende in Deutschland verkaufte
Günstig-Modell Akai VSJ 718 kostete weniger als 300 Mark und bot neben
damals begehrter Technik (6-Kopf-Model, NTSC-Playback, Longplay) auch
eine beleuchtete Fernbedienung, die man zudem problemlos wiederfinden
konnte, wenn sie wieder einmal irgendwo unterm Sofa verschwunden war.

Wie bei den Funktelefonen heute fing die Akai-Fernbedienung zu
piepsen an, wenn man am Gegenstück zur Basisstation – dem Videorecorder
– die Suchtaste drückte. Einige Käufer hat das sehr gefreut ("… Familien mit Kindern wissen, wovon ich spreche, kann diese Funktion nur sehr hoch preisen…", "
besonders interessant für vergessliche Leute"),
Akai konnte es aber nicht helfen. Nach einer Pleite gehört die Marke
inzwischen einem chinesischen Elektronikkonglomerat, das unter dem
Namen Geräte vertreibt.

Mit Akai ist auch die beleuchtete und bei Bedarf piepsende
Fernbedienung verschwunden und die Standardmodelle sehen wieder alle so
aus wie immer: Viele Knöpfe, komische Symbole, kein Licht.

Als der Fernbedienungs-Miterfinder Robert Adler 2004 über die vielen
Knöpfe der heutigen Geräte schimpfte, fügte er hinzu: "Ich kann das
nicht mehr ändern. Ich würde nur gerne jemanden dafür anschreien, wenn
ich die richtige Person fände."


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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