Zum Inhalt springen

Technikärgernis Frischhaltefolie: Frust mit fiesen Folien (Spiegel Online, 30.12.2008 )

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Frischhaltefolie

Frust mit fiesen Folien

Abreißen, einwickeln, aufheben – von wegen! Um einen Fetzen Frischhaltefolie zu ergattern, müssen Hobbyköche meistens erstmal lange und kräftig an der Rolle zerren. Physiker belegen: Viele Folien strecken sich lieber erstmal ausgiebig statt zu reißen.

Spiegel Online, 30.12.2008

Werber haben der Frischhaltefolie schon alle erdenklichen Komplimente gemacht – "hauchzart" sei sie, diese "Sichtfolie mit Hafteffekt", dichtete der Hersteller Melitta 1965 bei der Einführung in Deutschland. Später schwärmten Anzeigen von der "atmenden", ja sogar von der "extra anschmiegsamen" Folie.


Wenn es diese filigrane, zärtliche Küchenhilfe wirklich gibt, dann hat sie unangenehme Verwandtschaft, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht.

Die Opfer des Zwillings klagen in
Koch-Foren
ihr Leid. Da schreiben Menschen, sie würden schon beim Abreißen der
fiesen Folie "die Krise bekommen". Denn: "Dafür hat die Packung ja so
Zähne, nur die Folie reißt nie so, wie ich es möchte. Meistens brauche
ich einen Meter (oder zwei), bis ich überhaupt ein brauchbares Stück
abgerissen habe."

Von wegen hauchzart und extra anschmiegsam – stur und verbissen sei
die fiese Verpackungshilfe. Trauriges Fazit eines Kochs, der an die
falsche Folie geraten ist: "Leider habe ich auch noch nicht die
Richtige gefunden."

Experimente mit Extra-Schneidewerkzeug enden manchmal mit verzweifelten
Hilferufen wie diesem:
"Das gezackte Ding auf der Schachtel hält nicht, der Versuch mit einem
Messer funktioniert auch nicht. Und dann klebt sie überall da, wo sie
nicht soll. Was kann man da tun?"

Probieren.

Beim Selbstversuch mit drei in Supermärkten gekauften Folien zeigten
sich deutliche Unterschiede: Manchen Folien lassen sich nur mit viel
Kraft abreißen. Am Schneidemechanismus kann das eigentlich nicht
liegen, denn der ist bei den drei Verpackungen identisch: An der Kante
des Deckels kleben Kunststoffzacken.

Viel Gezerre für einen Fetzen Folie

So sollte das eigentlich gehen: Deckel öffnen, Folie rausziehen,
Deckel schließen und mit einer Hand draufdrücken, Folie nach oben hin
an der Zackenkante des Deckel mit der anderen Hand abreißen.

Wie viel Kraft dafür nötig ist, sieht man nach einigen abgerissenen
Metern Folie an der Form der Verpackung: Bei der Folie der
Plus-Eigenmarke "Maker" zum Beispiel steht der Pappdeckel nach
Benutzung bald nach oben ab, die Abreißkante ist ausgebeult. Denn beim
Abreißen braucht man viel Kraft – am Anfang reißt die Folie noch
sauber, aber dann dehnt sie sich irgendwann nur noch, man muss schon
ordentlich zerren, um der Rolle einen Fetzen Folie abzuringen.

Fiese Folie dehnt sich, statt zu reißen

Auch bei der Penny-Folie "Sylvana ist das beschwerlich, sie dehnt
sich bisweilen hartnäckig, statt zu reißen. Abreißen ohne Gedehne und
Gezerre klappt nur bei der deutlich teureren Toppits-Folie zuverlässig
bei jedem Mal.

Warum das Abreißen bei manchen Folien immer leicht, bei anderen mal gar
nicht, mal schlecht funktioniert, will keiner der Hersteller erklären.
Abreißtechnik? Verpackung? Zusammensetzung der Folie?
Toppits-Sprecherin Daniela Dziedzic: "Leider können wir Ihnen aus
wettbewerbsrechtlichen Gründen keine näheren Auskünfte zur chemischen
Zusammensetzung der Folie geben."

Einen Hinweis, woran das liegen könnte, gibt Plus-Sprecherin Silvia
Jurisevic. Die Plus-Folie – eine der hartnäckigeren im Selbstversuch –
sei "15 Mikrometer stark", die Toppits-Folie nur "maximal 12 Mikrometer
dick und somit mindestens 20 Prozent dünner." Das würde der
Abreißfähigkeit zugutekommen. Bei Plus habe man deshalb "vor einiger
Zeit die Papiersäge zum Abreißen gegen eine stabilere Kunststoffsäge
ausgetauscht" und die "Faltschachtel aus dem stabilsten Kraftkarton"
bauen lassen, den der Lieferant anzubieten habe.

Zerren muss man an der Plus-Folie trotzdem weiterhin – aber dafür kostet sie im Supermarkt weniger.

Und die widerspenstige Penny-Folie? Die ist laut Firmensprecher Andreas
Krämer "weder in der Produktqualität, noch in der Verpackung und auch
nicht in der Abreißfähigkeit eingeschränkt", die "Festigkeiten und die
Dehnungswerte" seien im Vergleich zu anderen Folien sogar
"überdurchschnittlich gut". Es habe keine Beschwerden gegeben.
Vielleicht haben wir uns beim Abreißen nur dämlich angestellt, obwohl
wir strikt nach Anleitung gearbeitet haben ("über die Zackenkante von
einer Seite zu (sic) anderen abreißen").

Vier Physiker untersuchen drei Folien

Was die verschiedenen Frischhaltefolien voneinander unterscheidet,
haben auf Anregung von SPIEGEL ONLINE vier Doktoranden von
Physikprofessor Armin Gölzhäuser an der Universität Bielefeld mit viel
Aufwand untersucht. Christoph Nottbohm, Heiko Muzik, Mark Schnietz und
Matthias Büenfeld haben die Spannkraft in Abhängigkeit von der
Ausdehnung dreier Frischhaltefolien getestet. Auch hier ließ sich die
Toppits-Folie deutlich einfacher abreißen als die Günstigprodukte von
Discounter-Marken (Ja, Gut & Günstig).

Als Ursache dafür machen die Physiker das Dehnverhalten der Folien
aus. Hier unterscheidet sich die Toppits-Folie von den anderen: "Zuerst
waren die beiden preiswerteren Folien etwas zugkräftiger als die dritte
Folie, aber bei Überschreiten des elastischen Bereichs sind die beiden
Folien wesentlich dehnfähiger."

Einfacher gesagt: Sie lassen sich schlechter reißen. Ergebnis des
Selbstversuchs der Physiker: "Während die Toppits-Folie sich wenig
dehnen lässt und so anscheinend recht früh reißt, dehnen sich die
beiden anderen recht stark aus, bevor sie reißen. Dabei sind starke
plastische Verformungen zu erkennen. Diese Dehnbarkeit ist auch der
Grund, warum die Folien sich so schlecht von der Kante abreißen lassen."

Einfrieren hilft nicht

Dagegen hilft auch Einfrieren nicht – den in Web-Foren oft weiter
erzählten Kaltschneide-Mythos entkräfteten Toppits-Sprecherin Dziedzic:
"Eine kalte Folie ist weniger elastisch und wird eher spröde, sie muss
dann aber schon sehr kalt sein, minus 40 bis minus 80 Grad Celsius."

Vielleicht ein kleiner Trost für entnervte Hobbyköche: Im Labor geht
es zu wie im Haushalt. Aus dem Zwischenbericht der vier folientestenden
Physik-Doktoranden: "Es zeigt sich auch, dass gerade die Folien von Ja
und Gut & Günstig schwierig zu handhaben sind, da sie relativ
schnell und fest an sich selbst haften und man so Folienstücke neu
präparieren musste."


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert