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Technikärgernis Getränkekarton: Warum die Milch aus der Verpackung spritzt (Spiegel Online, 30.9.08)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Getränkekarton

Warum die Milch aus der Verpackung spritzt

Ob Milch oder Saft, ob Lasche oder Abzieher – es spritzt immer. Inkontinenz scheint ein Naturgesetz bei Lebensmittel-Verpackungen zu sein: Joghurtbecher platzen gern im Rucksack und Müslitüten reißen immer so weit auf, dass die Haferflocken herausrieseln. Muss das sein?

Spiegel Online, 30.9.2008

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In meiner Küche treten seit Monaten Milch- und Saftkarton im
Inhalthochspucken gegeneinander an. Den Rekord hält bislang ein
Multivitaminsaft vom Discounter nebenan: Der kommt in einem
1,5-Liter-Monsterkarton, zum Öffnen muss man eine runde Lasche mit
einem Ring vom Deckel abziehen.

Nun ja, eher abreißen – denn die Lasche klammert sich hartnäckig an
den Saftkarton, ich drücke und reiße – pflopp, Ring ab, Lasche zu.
Oder, spektakulärer: Lasche ab und Multivitaminsaft in meinem rechten
Auge und auf dem Hängeschrank.

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So hoch kommen nicht mal die Milchkartons – die schießen ihre Milchspritzer beim Öffnen nur in Brusthöhe.

Das Merkwürdige dabei: Obwohl die Hersteller seit Jahren immer neue
Verschlüsse auf den Getränkekartons ausprobieren, spritzen die meisten
dem Öffner immer noch etwas Flüssiginhalt entgegen, wenn er nicht sehr,
sehr behutsam vorgeht.

An meiner Morgendusseligkeit allein kann das nicht liegen – im Web beklagen sich Kartongeschädigte immer wieder über
spuckende und
schlabbernde Milchkartons.

Keine Luft im Karton – spart Platz und spritzt

Ursache: Wenn keine Luft in der geschlossenen Verpackung ist,
spritzt der Inhalt beim unvorsichtigen Öffnen und schlabbert beim
ersten Ausschenken. Warum manche Verpackungen randvoll sind? Das spart
Material und Platz. Solche Kartons werden erst in der Abfüllmaschine
aus einer Verpackungsbahn geformt und versiegelt. Vor zehn Jahren noch
öffnete man diese Kartons ganz einfach: Aufschneiden und schlauerweise
an einer anderen Stelle ein kleines Loch reinstechen, damit Luft
einfließen kann.

Dann wollten "Verbraucher und Handel wieder verschließbare
Verpackungen haben", erklärt Michael Kleene, Sprecher des Fachverbandes
Kartonverpackungen für flüssige Nahrungsmittel. Und so kam dann als
erste Lösung der längliche Klappverschluss – Deckel anheben, Folie
drunter mit mehr oder weniger Kraft und Spritzern abreißen,
ausschenken, Deckel draufdrücken.

Alle wollen Schraubverschlüsse

Inzwischen geht der Trend zu Schraubverschlüssen, berichtet
Karton-Verbandssprecher Kleene. Warum diese eigentlich "funktionalste"
Verschlusslösung nicht immer so perfekt funktioniert, wie sie es
technisch könnte, deutet der Sprecher an: Der Schraubverschluss sei die
teuerste Verschlusslösung. "Leider sind die meisten Verbraucher nicht
bereit, wegen des Verschlusses einen höheren Preis zu bezahlen. Daher
gilt es, die Balance zwischen Preis und Funktionalität zu finden."

Das sieht bei meinen Frühstückssäften so aus: Der Verschluss des
Multivitaminsafts vom Discounter lässt sich wieder zuschrauben, schießt
beim ersten Öffnen aber eben um sich, weil diese Verschlusslasche so
festklebt. Der teurere Marken-Orangensaft hat einen ziemlich
raffinierten Schraubverschluss: Beim ersten Aufdrehen bricht der
Schraubdeckel die Versiegelung – da muss man nicht an irgendwelchen
Ringen reißen.

Zum stressfreien Frühstück gehört eine Schere

Tolle Verpackungen sind teurer – das erklärt auch das zweite große
Frühstücksrätsel: Warum reißen Müslipackungen immer senkrecht und viel
zu weit auf? Das passiert zumindest mir regelmäßig. Wer morgens zu
ungeduldig, eine Schere zu suchen, um an der Müslitüte
herumzuschnibbeln, reißt die Kunststofftüte einfach auf.

Es ist dasselbe Problem wie beim schießenden Getränkekarton: Das
gezackte Endstück der Müsliverpackung ist kaum einzureißen – hat man
das mit viel Kraft geschafft, geht der Riss dann beim Rest der Tüte
ganz leicht ganz tief weiter. Zumindest bei meinen Discounter-Tüten.

Das ginge alles auch viel intelligenter, urteilt Norbert Sauermann,
Chefredakteur des Fachmagazins "Verpackungs-Rundschau". Nur: "Das ist
das Dilemma moderner Verpackungstechnik- es gibt für alles eine Lösung,
nur muss sie bezahlbar sein. Die Hard-Discounter sind auch deswegen so
erfolgreich, weil sie mit ihrer Nachfragemacht eben nicht die beste
Verschlussmöglichkeit bezahlen wollen."

Schleudermüsli ist billiger

Deshalb sind die meisten Günstig-Müslis auch in Folien mit Stoffen
aus schwach verzweigten Polymerketten als Hauptmaterial verpackt. Inga
Kelkenberg, Sprecherin der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen,
gibt zu, dass diese Stoffe eine "hohe Weiterreißneigung im Unterschied
zu stark verzweigten Polymerketten haben".

Solche stabileren Folienverbünde seien schlicht teurer – zu teuer
für manche Discounter. Neben Materialkosten spart man zum Beispiel mit
besonders leichten, dünnen und platzanfälligen Joghurtbechern auch
Gebühren für das Duale System Deutschland, die nach Gewicht berechnet
werden.

Auf eine entsprechende Anfrage zum Thema hat die Pressestelle des Spritzsaft- und Schleudermüsli-Discounters nicht geantwortet.

Wenn mir wieder mal Saft ins Auge spritzt, Müsli in die Küche rieselt oder ein Joghurtbecher im Rucksack platzt, weiß ich:

Geiz kleckert.

Und spritzt.

Versteckte Einschaltknöpfe, verwirrende Anleitungen, verrückte
Automaten – in der Reihe "Fehlfunktion" stellen wir in loser Folge
Technikärgernisse vor, die Millionen nerven. Schicken Sie uns Ihre
Anregungen mit einer kurzen Begründung. Am besten per

E-Mail.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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