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Technikärgernis Händetrockner: Und ewig rauscht der Fingerfön (Spiegel Online, 9.10.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Technikärgernis Akku-Chaos

Und ewig rauscht der Fingerfön

Warm, laut, lahm: Seit fast 80 Jahren pusten Händetrockner nach demselben Bauprinzip – und scheitern oft kläglich. Die Geräte hängen in fast jeder öffentlichen Toilette, trocknen aber selten richtig. Dabei gibt es wirksamere Geräte – die setzten sich nur langsam durch.

Spiegel Online, 9.10.2008

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An deutschen Raststätten hat fast jeder Autofahrer ein eigenes
Handtuch dabei. Manche tragen es um die Hüften, manche auf dem Kopf –
man muss nur einmal genau hinschauen: Wenn in den Toiletten einer
dieser betagten Handtrockner hängt, die röhrend heiße Luft in den Raum
pusten, versuchen ein paar Unverdrossene es tatsächlich, sich damit die
Hände zu trocknen.

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Sie stehen ein paar Augenblicke lang vor dem röchelnden Gerät,
reiben zunehmend hektisch die Hände, schalten vielleicht noch einmal
den immer viel zu früh verstummenden Trockner ein. Und spätestens dann,
nach dem zweiten Föndurchgang geben sie auf, reiben die Hände an der
Hose trocken oder fahren sich durchs Haar – so wie das die
Handfönverächter aus Erfahrung gleich machen. Denn die meisten
Warmlufthändetrockner brauchen gefühlt einfach zu lang.

43 Sekunden dauert das Trockenpusten

Wie lange genau, haben zwei britische Biologen von University of Westminister vor zehn Jahren in einer
Studie
beziffert: Ihren Experimenten in den Institutstoiletten zufolge braucht
man mit Papierhandtüchern im Durchschnitt zwölf, mit Baumwollhelfern
zehn Sekunden, mit Warmlufttrocknern aber 43 Sekunden, um die
gewaschenen Hände zu 95 Prozent zu trocknen.

So viel Zeit nahmen sich die beobachteten Testpersonen aber nicht, wenn
sie nicht angehalten waren, die Hände völlig zu trocknen. Gut 20
Sekunden gaben Männer, 25 Frauen dem Warmlufttrockner. Dann verließen
sie den Handfön mit feuchten Händen und trockneten sie oft noch mal
richtig an Hosen oder Haar ab.

Das mit den 43 Sekunden gilt für die neuen Warmlufttrockner nicht
mehr. Georg Wohlfarth, Marketing-Manager beim deutschen Hersteller
Starmix betont, man habe das Prinzip so weit verbessert, dass die neuen
Händetrocknermodelle im Durchschnitt zwischen "20 und 25 Sekunden
benötigen" und dabei "energieeffizient und wirtschaftlich" arbeiten.

Der Warmlufthändetrockner kommt aus Stuttgart

Überhaupt, gibt Wohlfarth zu bedenken, seien die Angaben der
Trocknungszeit nur schwer zu verallgemeinern: "Es gibt da keinen
Messstandard, da spielen viele Parameter eine Rolle: Reiben die
Menschen beim Trocknen die Hände? Schütteln sie die Hände vorher ab?"

Stimmt alles, ändert aber nichts daran, dass die meisten
Warmlufthändetrockner zu lange brauchen, egal wie lange das nun im
Detail ist. Das liegt wohl daran, dass sich das Konstruktionsprinzip
dieser Geräte seit mehr als 80 Jahren nicht grundlegend verändert hat.
1925 verkaufte die Stuttgarter "Elektrotechnische Spezialfabrik für
Staubsauger und Gebläse" den ersten Warmlufthändetrockner der Welt
namens Electrostar. Heute heißt die Firma so, ihre
Warmlufthändetrockner aber Starmix.

Und die funktionieren immer noch wie ein umgedrehter Staubsauger,
saugen hinten Raumluft an und pusten sie aufgewärmt vorne wieder raus.
Starmix-Manager Georg Wohlfarth sagt selbst, dass Warmlufthändetrockner
in den vergangenen Jahrzehnten zwar durch viele kleine
Detailverbesserungen effizienter geworden sind, sich am Grundprinzip
aber "nichts geändert" habe.

Dasselbe Bauprinzip seit 80 Jahren

Das Problem dieser Bauweise: Trocken werden die Hände entweder, weil
heiße Luft das Wasser verdampfen lässt oder weil ein sehr starker
Luftstrom das Wasser einfach wegpustet. Zu heiß darf die Luft aus dem
Hängetrockner nicht werden, sonst wird es unangenehm. Zu stark dürfen
die Geräte aber auch nicht pusten, sonst landet das von den Händen
weggeblasene Wasser auf der Kleidung der Benutzer.

Diese nicht ganz optimale Konstruktion dominiert komischerweise seit
Jahrzehnten den Markt für Handtrockner. Vor einigen Jahren erst, so
Electrostar-Manager Wohlfarth, versuchten "asiatische Hersteller etwas
Neues: Trockner mit extrem starkem Luftstrom, in die man die Hände von
oben hält. Das ist die erste große Neuerung seit 1925, was den Gebrauch
des Gerätes angeht."

Der Super-Pustetrockner braucht nur 10 Sekunden

Eine "Neuerfindung des Händetrocknens" reklamiert aber auch der
britische Hersteller Dyson für seinen Airblade: Das Gerät bläst mit 650
Stundenkilometern schneller Luft das Wasser von den oben ins Gerät
gehaltenen Händen. Das dauert Dyson zufolge 10 Sekunden. Und in der
Tat: Beim Selbstversuch ist das Gerät nach einem Augeblick fertig. Ich
komme nicht dazu, genervt zu sein oder auch nur zu überlegen, wie
schnell das wohl wirklich geht. Der Trockner ist fertig, angenehm kühl
(die Luft wird gefiltert, nicht erhitzt) und die Hände sind wirklich
trocken (siehe Video von PopSci unten).

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Die Dyson-Trockner sind wirklich schnell. Der Hersteller wirbt auch
damit, den "schnellsten hygienischen" Trockner gebaut zu haben, weil
die angesaugte Luft hier gefiltert werde und nicht erhitzt wie bei
herkömmlichen Geräten. Dass Warmlufttrockner Keimschleudern sind, hört
man oft. So viel es an den antiquierten Geräten zu kritisieren gibt –
das stimmt nicht.

Miranda Suchomel, Leiterin der Abteilung für Entkeimungsverfahren am
Institut für Hygiene der Medizinischen Universität Wien, erklärt: "Aus
Hygienesicht ist es unerheblich, auf welche Art man sich die Hände
abtrocknet. Abgesehen von feuchten, schon oft benutzten Handtüchern,
die wahre Keimschleudern sind, sehe ich da keine hygienisch relevanten
und statistisch signifikanten Unterschiede bei den diversen
Einweg-Trockenmethoden."

Warmlufttrockner brauchen noch lange lang

Die Vorstellung, dass Heißlufttrockner die Luft in Toilettenräumen
ungefiltert ansaugen und erhitzen, mag unappetitlich sein. Kritisch
sieht Hygiene-Expertin Suchomel das nicht: "Diese Luft atmen sie ohne
jede Beeinträchtigung – dass man sich damit die Hände trockenblasen
lässt, macht das nicht gefährlicher."

Aber entscheidend ist das Hygieneargument ohnehin nicht. Es ist ja
schon toll, dass nach gut 80 Jahren endlich ein paar Ingenieure
Händetrockner entwickelt haben, die tatsächlich funktionieren. Diese
Geräte stehen derzeit allerdings nur an wenigen Orten: Time Warner
Center in Manhattan, Edel-Casinos in Las Vegas, Buckingham Palace –
diese Klasse eher. Das getestete Dyson-Gebläse hängt in den Räumen eine
Hamburger Werbeagentur.

Die alten Heißlufttrockner aber laufen weiter, weil sie für die
Betreiber in vielen Fällen auf lange Sicht günstig sind. Peter Koß,
Manager beim Hersteller Stiebel Eltron, rechnet vor: "Die
Anschaffungskosten sind gegenüber Handtuchspendern deutlich höher. Aber
je stärker die Sanitärräume frequentiert werden, desto höher ist die
Einsparung gegenüber anderen Systemen." Das bedeutet im Umkehrschluss:
Wer einmal viel Geld für einen Warmlufthändetrockner ausgegeben hat,
nimmt die Investition nicht einfach so außer Betrieb.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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