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Technikärgernis Kinderwagen: Vier Hände für ein Zusammenklappen (Spiegel Online, 23.12.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Technikärgernis Kinderwagen

Vier Hände für ein Zusammenklappen

Schieben, fummeln, fluchen: Ein Kinderwagen hat nur wenige Funktionen, aber selbst die sind bei manchem Edel-Modell unbedienbar. Produkttester und Eltern klagen: Die Handbücher sind so unverständlich wie die Mechanik. SPIEGEL ONLINE befragt die Hersteller..

Spiegel Online, 23.12.2008

Wer noch nie ein Baby durch die Gegend geschoben hat, wird überrascht sein: So manches Babygefährt kostet als Neuwagen locker so viel wie ein Macbook. Zum Vergleich: Ein tragbarer Computer versammelt diverse Prozessoren, Speicherchips und sonstige Elektronik-Bauteile auf einer eigentlich lächerlich winzigen Fläche und erfüllt so ziemlich jede Funktion von Stereoanlage bis zum Fernseher.


Ein Kinderwagen besteht aus Plastik, Metall und Stoff und hat gerade mal fünf grundlegende Aufgaben zu erfüllen – er muss bequem und sicher sein, sich gut rollen, zusammenklappen und zuverlässig arretieren lassen.

Nicht einmal das klappt so richtig zum Macbook-Preis. Die Bedienung
einiger Babyroller ist aberwitzig schwierig, erzählen
Kinderwagenbesitzer, schreiben Kinderwagentester.

Zum Beispiel die Stiftung Warentest, die den Praxisteil eines
Vergleichstests von 15 Modellen 2006 so bilanzierte: "Häufig
kritisierten die Eltern ein umständliches Zusammenfalten und
Aufklappen. Das ist in der Regel nur mit zwei freien Händen und unter
kraftvollem Ziehen oder Drücken zu bewerkstelligen."

Schleppen, schrauben, grübeln: SPIEGEL ONLINE dokumentiert die
größten Usability-Schwachstellen von Kinderwagen – und was die
Hersteller dazu sagen.

Zusammenklappen – gegen die Wand

Dass das mit dem Zusammenklappen noch immer nicht so einfach geht,
berichtete das Schweizer Testmagazin "K-Tipp" in seiner
Oktober-Ausgabe. Zusammen mit dem Schweizer Fernsehen SF1 ließen die
Redakteure ein Institut zehn Kinderwagen im Labor und in der Praxis
testen – sechs Kinder im Alter zwischen sechs Wochen und zwei Jahren
wurden von ihren Eltern in den Testfahrzeugen durch die Gegend
geschoben.

Als einzige Anleitung zur Bedienung erhalten die Eltern das
Original-Handbuch des jeweiligen Modells. Fazit der Tester in Sachen
Bedienbarkeit beim Zusammenklappen: "Bei einigen geht das ganz leicht.
Andere haben einen Sicherheitsmechanismus, der ohne Anleitung kaum
durchschaubar ist."

Zum Beispiel der Chicco Trio S3: Dieses Modell schneidet im
Praxistest von "K-Tipp" am schlechtesten ab. Redakteur Rolf Muntwyler
begründet das vor allem mit den Erfahrungen der Praxistester: "Das
Zusammenklappen ist sehr schwierig, viele Hände sind nötig." Im
Testbericht heißt es, der Wagen sei "mühsam zu transportieren",
zusammenklappen könne man den Trio S3 nur, "indem man ihn zum Beispiel
gegen eine Wand drückt".

Chicco-Manager Guido Voigt kann diese Kritik nicht nachvollziehen.
Der wegen Sicherheitsauflagen doppelt gesicherte Schließmechanismus sei
tatsächlich "komplizierter zu bedienen", aber gegen eine Wand müsse der
Wagen ganz sicher nicht gedrückt werden. Voigt: "Beim zitierten Test
wurde es jedoch bewusst unterlassen, die Kinderwagen den Testerinnen
vorgängig vorzuführen – ein in der Kaufpraxis nicht vorkommender Fall,
da diese Modelle ausschließlich in beratenden Fachhandelsgeschäften
verkauft werden, Vorführung, Handhabung und Zusammenklappen inklusive."

Sprich: Wer den Chicco-Kinderwagen bei Amazon (dort wird er durchaus
von Drittanbietern verkauft) bestellt, ist selbst schuld. Denn, so
Guido Voigt: "Jedes Modell hat seinen eigenen Dreh, um ihn einfach und
schnell zusammen zu klappen; ohne dies jedoch vorher gesehen zu haben
ist es tatsächlich nicht immer leicht – jedes Modell ist da anders."

Zweirad-Modus – bitte beim Händler trainieren

In dem Schweizer Kinderwagentest von "K-Tipp" schnitt auch der
Stokke Xplory wegen des arg aufwendigen Zusammenklapp-Mechanismus mit
der Note 4,2 so gerade noch befriedigend ab. Der Hersteller Stokke
begründet den komplizierten Klappmechanismus mit
Sicherheitsanforderungen. Stokke-Manager Ingo Meinert: "Wir können
Sicherheit garantieren, wenn sich die Eltern beim Zusammenklappen des
Wagens konzentrieren müssen."

Denn beim Xplory wird der Zusammenklapp-Mechanismus auch verwendet, um
zwei der vier Räder einzuklappen, wenn Treppen leichter bewältigen
werden sollen. Das dürfe nicht versehentlich ausgelöst werden.

Weil das Zusammenklappen des Xplory am Anfang "ungewohnt" ist,
rate Stokke Eltern auch, "sich den Mechanismus im Fachhandel zeigen zu
lassen."

Guter Tipp – im Handbuch (PDF-Dokument)
ist die Darstellung eher dürftig: Auf einer Doppelseite erklärt das
Handbuch in elf Sprachen anhand von fünf Passfoto-großen Zeichnungen,
wie der Xplory nun zusammenzufalten ist. Auszug: "Den Klemmhebel von
unten (B) und oben (A) eindrücken und ohne Loslassen den Griff
hochziehen (Abb. 2). Jetzt mit dem Fuß den Fußhebel (C) oben auf dem
Bügel drücken und in dieser Stellung den Griff zum Körper hin ziehen
(Abb. 3)."

Kinderwagen zu schwer? Selbst schuld!

Das von Testern oft beklagte Gewicht mancher Kinderwagen-Modelle
sehen die Hersteller als völlig normal an. Es handele sich dabei
schließlich um besonders stabile, geländegängige Modelle. Deshalb sei
ein Pauschalvergleich etwa des Chicco Trio S3 mit anderen Kinderwagen
nicht statthaft, beklagt Chicco-Manager Guido Voigt: "Es liegt in der
Natur der Sache, dass ein Off-Road Kinderwagen schwerer und voluminöser
ist als ein sogenannter City-Wagen, welcher andere spezifische Vorteile
wie Wendigkeit, weniger Gewicht und kompaktere Außenmasse aufweist."

Hier sollten sich Eltern besser überlegen, was sie eigentlich wollen,
fordert Manager Voigt: "Niemand kauft einen Smart fürs Gelände, keiner
ist in der Innenstadt gut bedient bei der Parkplatzsuche mit einem
Cayenne."

Sprich: Wer sich einen besonders stabilen Kinderwagen kaufe, solle
auch nicht über das Gewicht meckern: "Das Ärgernis im Alltag ist somit
weniger in der Technik zu suchen, sondern ist ein Resultat von
gekauften Produkten, welche womöglich nicht den Erwartungen der
Konsumenten entsprechen, weil vor dem Kauf keine anständige
Bedürfnisabklärung und Beratung gemacht wurde – Stichwort: Internet,
Discounter, SB-Schiene."

Tatsächlich würden im Durchschnitt nur zwei bis fünf Prozent der mit
einem Kinderwagen zurückgelegten Strecken auf unbefestigtem oder
schneebedecktem Terrain liegen.

Anders argumentiert der Hersteller Stokke gegen die Kritik am
Gewicht des Modells Xplory. Stiftung Warentest urteilte 2006: "Das
Gefährt ist insgesamt aber so unhandlich, dass man es weder
zusammenklappen noch irgendwo hinauf- oder hineinheben möchte. Am
besten bleibt es bis zur nächsten Ausfahrt in der Garage oder im
Wirtschaftsraum stehen – falls vorhanden."

Stimmt schon, sagt der Hersteller – mit knapp zwölf Kilo sei der
Xplory wirklich schwerer als jeder andere von Stiftung Warentest
geprüfte Kinderwagen. Aber man müsse ihn ja ganz selten anheben.
Manager Ingo Meinert: "Da man aber zwei Räder abklappen kann und den
Xplory dadurch wie eine Sackkarre in Bus oder Bahn ziehen kann, ist es
seltener nötig, ihn zu heben als bei herkömmlichen Kinderwagen."
Abgesehen davon: "Zusammengeklappt ist der Xplory ungefähr 42 x 99 x 57
Zentimeter groß – und passt damit sogar in den Kofferraum eines
Porsche."

Finger klemmen mit der Feststellbremse

Das geht zu einfach: Die Parkbremse des Kinderwagens Bugaboo
Cameleon löst man mit einem Knopfdruck. Das Problem dabei ist, dass der
Bremshebel mit einem Ruck zurückschnellt – zum Gestellt hin, an dem man
mit der anderen Hand gerne den Wagen festhält. Wer da nicht aufpasst,
kriegt einen Schlag auf die Finger.

Das kann passieren, gibt Bugaboo-Sprecherin Damaris Beems zu. Aber
nur, wenn man den Wagen "falsch" hält. Überhaupt rate man im Handbuch
ja nicht ohne Grund dazu, die Bremse mit zwei Händen zu lösen: "Eine
Hand drückt den Knopf, die andere hält den Bremshebel fest."

Allerdings machen das Menschen, die die Anleitung nicht auswendig
gelernt haben, intuitiv offensichtlich anders. Zu helfen ist ihnen
scheinbar nicht – Bugaboo-Sprecherin Beems: "Natürlich haben wir unsere
Entwickler nach Bedienungsalternativen suchen lassen, aber bislang ist
das Ergebnis, dass jede Änderung am Mechanismus, zum Beispiel eine
schwächere Feder, die Sicherheit beeinflussen würde."


Zum Bremsen einmal um den Wagen winden

Warum die Bremse beim aktuellen Bugaboo-Modell mit der Hand zu
bedienen ist, lässt sich mit den schlechten Erfahrungen beim
Vorgängermodell Frog erklären. Da saßen die Bremsen an den
Vorderrädern, was die Besitzer nervte. Heike Le Ker zum Beispiel, die
klagt: "Man muss sich immer um den Wagen winden, um mit der Fußspitze
die Bremse vorn an den Reifen festzustellen."

Die Vorderräder waren in der Tat nicht der ideale Platz für die
Bremsen, das gibt Bugaboo-Sprecherin Damaris Beems zu: "Unsere
Entwickler haben erkannt, dass es zu kompliziert war, die Bremse so zu
erreichen. Deshalb hat das Nachfolgemodell eine Handbremse."

Die lässt sich leicht bedienen, klemmt dafür aber manchem Nutzer die
Finger ein. Was wohl eine Bremse an den Hinterrädern anrichten könnte?

Anleitung zur Komplett-Demontage

Mit dem Luxus-Kinderwagen "Hartan VIP" hat
"Harvard-Businessmanager"-Redakteurin Cornelia Geißler zwei Probleme:
Das Handbuch erklärt wenig ("Klapp- und Verstellpositionen sind weder
in der Anleitung vernünftig erklärt, noch sind am Wagen irgendwelche
Aufkleber oder Hinweise angebracht"), vor allem nicht, wie man die
Hartan-Karosse mit zwei Händen zusammenlegt.

Das Problem: "Es gibt keine Griffe oder Angreifpunkte, um den
zusammengeklappten Wagen vernünftig anzuheben; gut packen kann man das
Trumm nur an Griff und Fahrgestell – was allerdings dazu führt, dass
der Wagen beim Anheben automatisch wieder auseinander klappt."

Hartan-Sprecher Dieter Winkler erklärt, dass hier eine etwas
radikalere Demontage hilft: "Zum Tragen und Transportieren sowie zum
Verstauen im Auto müssen die Oberteile abgenommen werden, dann können
sie bequem an dem Haltegriff der Babyschale sowie am Querrohr des
Gestells getragen werden."

Wie das geht, beschreibt die Anleitung des Hartan VIP mit Sätzen wie

"Klappen Sie den Tragebügel
24 nach hinten. Dann ziehen Sie die beiden Kunststoffösen 23 innen im
Wagen einfach nach oben und rasten die seitlichen Aluminiumstreben in
die Kunststoffhalter am Boden. Zum Öffnen klappen Sie den Tragebügel 24
nach oben bis er einrastet und drücken nur den Boden der Tragetasche
nach unten."

Dieses Format der Anleitung erklärte Hartan-Sprecher Winkler, als
SPIEGEL ONLINE über unverständliche Handbücher berichtete,
so: "Eine Illustration ist aufgrund der Vielzahl von
Bedienungsanleitungen nicht zu verwirklichen. Wir haben 14 verschiedene
Modelle, die für 16 Länder in unterschiedliche Ausführungen gedruckt
werden müssen." Die wegen ständiger Verbesserung nötige "laufende
Überarbeitung der Illustrationen" würde "den Aufwand nicht
rechtfertigen".


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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