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Technikärgernis Ladegerät: Kampf dem Kabelsalat (Spiegel Online, 16.2.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Ladegerät

Kampf dem Kabelsalat

Egal ob Handy, MP3-Player, Kamera – jedes Gerät braucht sein eigenes Ladegerät, seinen eigenen Stecker, seinen eigenen Akku. Doch jetzt nimmt sich EU-Kommissar Verheugen das Chaos bei den Standards vor und droht mit verbindlichen Normen. Eine Superidee, nur Jahre zu spät.

Spiegel Online, 16.2.2009

"Hat mal jemand ein Blackberry-Kabel?"

"Wir brauchen im sechsten Stock dringend ein Nokia-Ladegerät!"

"Kann ich mal dein iPhone-Kabel haben?"

Einen dieser Hilferufe höre ich jede Woche im Büro. Irgendjemand braucht immer ein Ladegerät für das gerade leergesogene Nokia-Telefon, die Sony-Kamera oder sonst ein Gerät, das mit einem Ladegerät geliefert wird, das so hässlich ist, dass man die Existenz dieses Plastikklumpens mit Leine am liebsten gleich wieder vergisst.


Natürlich kann den stromlosen Kollegen nur sehr, sehr selten jemand aushelfen. Denn kaum ein Steckernetzteil passt in ein anderes Gerät. Bei vielen Mobiltelefonen passt ja nicht einmal das Steckernetzteil eines Modells in ein anderes Gerät derselben Marke. Weil das so ist, liegt auf meinem Kleiderschrank eine Plastiktüte voller Netzteile, die ich über die Jahre hinweg angesammelt habe. Keine Ahnung, woher die alle kommen, aber irgendwann werden sie bestimmt noch mal gebraucht.

Das ärgerliche Netzteil-Durcheinander haben nun pünktlich zum Mobile
World Congress die PR-Berater von EU-Industriekommissar Günter
Verheugen entdeckt. Verheugen fordert von den Telefonherstellern einen
Standard für Steckernetzteile. Der Deutschen Welle
sagt Verheugen: "Meine Geduld mit der Industrie ist jetzt zu Ende, und
wenn die Industrie jetzt nicht bald mit einer Lösung für einheitliche
Ladegeräte kommt, dann werden wir die Industrie dazu zwingen."

Verheugen kommt sieben Jahre zu spät

Das klingt sehr wuchtig und entschlossen, nur kommt Kommissar Verheugen
mit dieser Forderung ungefähr sieben Jahre zu spät. Denn das
Ladegeräte-Problem erledigt sich inzwischen so langsam von selbst. Bei
neuen Telefonen nutzen immer mehr Hersteller einen Mini-USB-Steckplatz
als Anschluss für das Steckernetzteil. Bernd Theiss, Technikchef beim
Fachmagazin "connect", glaubt: "Die Vielfalt nimmt schon ab und wird in
Zukunft noch weiter schrumpfen."

Der Smartphone-Hersteller HTC zum Beispiel, der auch das
Google-Handy G1 produziert, hat bei allen 20 derzeit in Europa
erhältlichen Modellen einen Mini-USB-Anschluss zum Einstöpseln des
Netzteils und zum Anschluss an Computer eingebaut. RIM macht es bei den
Blackberrys genauso. Einen Nachteil hat die Mini-USB-Buchse allerdings:
Auf der Geräteseite ist der Anschluss nicht standardisiert. Das
bedeutet, dass man wahrscheinlich das Steckernetzteil eines Telefons
für ein anderes Gerät benutzen kann – garantiert ist das aber nicht.

Der Wirrwarr schrumpft

Und so nutzt dann auch zum Beispiel HTC seine Mini-USB-Buchsen für
Zusatzfunktionen wie Audio- oder Video-out, die man nur mit den
HTC-eigenen Kabeln nutzen kann. So ist das, wenn ein Standard fehlt:
Die Stecker haben bestenfalls dieselbe Form, ein paar Kontakte können
die Hersteller aber nach eigenem Gusto belegen. HTC-Regionalmanager
Lars-Christian Weisswange erklärt SPIEGEL ONLINE auch, seinem
Unternehmen seien "Standardisierungsbestrebungen nicht bekannt". Sony
Ericsson setzt weiter auf einen eigenen Ladekabel-Eingang, verbaut aber
zumindest seit 2005 bei allen Handy-Modellen denselben Anschluss.

Firmensprecherin Susanne Burgdorf erklärt die Ignoranz gegenüber
Mini-USB so: "Der Platz, den der Anschluss benötigt, soll bei möglichst
schneller Ladetätigkeit gering gehalten werden. Jeder Hersteller hat
hier eine eigene, für sich optimale, Lösung gefunden und seine
Fertigungsstraßen darauf ausgerichtet. Die Nachfrage der Kunden richtet
sich eher nach Design, Hard- und Software, deshalb liegt hier auch der
Fokus der Entwicklung."

Etwas Chaos bleibt

Im Klartext bedeutet das: Die meisten der heute in Deutschland
benutzten Mobiltelefone haben einen eigenen Anschluss fürs
Steckernetzteil, in den höchstwahrscheinlich kein anderes passt. Bei
neueren Geräten findet man oft Mini-USB-Anschlüsse, aber eben nicht
immer. Und selbst diese Mini-USB-Buchsen können bei manchen Details
voneinander abweichen.

Deshalb ist Verheugens Tirade gegen die Hersteller berechtigt. Nur das
Timing überrascht ein wenig. Denn schon im Jahr 2002 hat zum Beispiel
der Verbraucherrat beim Deutschen Institut für Normung einen Standard
für Schnittstellen von Batterieladegeräten, Netzteilen und
Akku-betriebenen Alltagsgeräten vorgeschlagen.

Weil die Hersteller nicht mitmachten, wurde aus dem Vorschlag kein
Standard. 2007 haben dann in einer von der EU-Kommission in Auftrag
gegebenen Vorbereitungsstudie für die Ökodesign- Richtlinie Experten
die Normung von Schnittstellen empfohlen, um das Ökoprofil externer
Netzteile zu verbessern. Ein paar Standardspannungen mit eigenen
Steckervarianten, das sei doch machbar – so der Tenor der wissenschaftlichen Studie ("Los 7: Externe Netzteile und Batterieladegeräte").

Hersteller geben sich uneinsichtig

Das EU-Kommissar Verheugen jetzt erst, gegen Ende der Dienstzeit der
aktuellen Kommission, wo sich allmählich eine Lösung des Problems
abzeichnet, das Netzteilwirrwarr bemerkt, kann man wohl als
Öffentlichkeitsarbeit abtun: So mancher Kommissar versucht, sich –
womöglich die Nachfolgekarriere schon im Blick – mit einem möglichst
publikumswirksamen Thema aus seinem Kommissionsdienst zu verabschieden.

Aber abgesehen davon ist die Kritik an den Herstellern berechtigt.
Es ist ja nun wirklich nicht nachzuvollziehen, wenn Tony Graziano,
Direktor der Vereinigung der Europäischen Informations- und
Fernmeldebranche, nun öffentlichen erklärt: "Es ist sehr
unwahrscheinlich, dass wir ein Ladegerät für alle Handys entwickeln
werden. Dazu sind die Spannungsanforderungen und die Batterien zu
unterschiedlich."

Dieser Argumentation zufolge ist der Grund für einen fehlenden
Standard ein fehlender Standard. Denn die Handy-Akkus sind aus einem
einzigen Grund so unterschiedlich: Die Hersteller haben sich nie auf eine Norm geeinigt.

Dass jedes Handy-Modell seinen eigenen Akku-Typ und womöglich noch
sein eigenes Steckernetzteil braucht, ist nicht mit technischen
Anforderungen zu erklären. Thomas Kuther vom Fachmagazin
"Elektronikpraxis" kommentiert das so: "Dass Hersteller für
Mobiltelefonmodelle mit identischem Spannungs- und Strombedarf
verschiedene Netzteile anbieten, kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Vielleicht haben da die Designer ein wenig zu viel mit reingeredet?"
Vielleicht auch Manager aus der Zubehörabteilung, die um Umsätze
fürchten – wer weiß das schon?

Wenn die EU-Kommission die Hersteller nun dazu drängen könnte, die
Mini-USB-Buchsen zu einem verbindlichen Standard zu machen, wäre das
ideal. Viele Experten urteilen wie Ralf Higgelke vom Fachdienst "Design
& Elektronik": "Für Handhelds wie Handy, MP3-Player oder Digicam
gibt es keinen technischen Grund, nicht auf USB umzusteigen."

Bevor allerdings ein Standard für USB-Strom kommt, könnte eine neue
Technik das Vorhaben sabotieren: Anfang des Jahres haben auf der CES in Las Vegas Palm und zwei Firmengruppen Drahtlos-Ladestationen für Mobiltelefone gezeigt. Derzeit gibt es für diesen neuen Standard also drei Standards. Wen wundert’s.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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