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Technikärgernis Magnetstreifen: Das Einsteckrätsel EC-Karte (Spiegel Online, 17.6.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Magnetstreifen

Das Einsteckrätsel EC-Karte

Wie herum kommt die EC-Karte in den Automaten? Es gibt vier Einsteckvarianten, aber die meisten Automaten akzeptieren nur eine. Selbsterklärende Piktogramme sind selten – egal ob an Bank-, Park- oder Fahrkartenautomaten.

Spiegel Online, 17.6.2008

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Magnetstreifen unten rechts, oben links, schräg oben rechts – beim
Zigarettenholen am Automaten um die Ecke arbeite ich regelmäßig in zehn
Minuten drei Einsteckvarianten meiner EC-Karte ab. Die erste am Eingang
zum Schalterraum der Bank, die zweite am Automaten zum Aufladen der
Geldkarte, die dritte am Kippenspender. Zehn Minuten sind eine gute
Zeit für den Parcours. Das hat gedauert – nach ein paar Monaten
Training wähle ich auf Anhieb bei jedem Kartenschlitz die einzig
richtige von vier Einsteckmethoden.

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Das ist ohne Rumprobieren gar nicht so einfach: Am Kartenschlitz der
Schalterhalle fehlt zum Beispiel ein Piktogramm. Wie herum kommt die
Karte rein? Experimentieren! Am Geldautomaten zeigt ein Bildchen, dass
die EC-Karte mit dem Chip nach vorne und oben in den Automaten soll.
Das Problem dieser Bedienungshilfe: Bei EC-Karten ohne Chip (ich habe
vor ein paar Wochen erst so eine bekommen) hilft das Piktogramm
überhaupt nicht weiter.

Eine Kleinigkeit, ein Mini-Ärgernis, mit dem man sich jede Woche
vielleicht ein paar Sekunden herumschlägt. Nur: Warum ist es so
schwierig, dieses winzige Bedienungsproblem ein für alle Mal zu lösen?
Experten für benutzerfreundliche Gestaltung weisen seit Jahren nach
Studien darauf hin, dass viele Kartenschlucker miserabel zu bedienen
sind.

Torsten Kiefer, Analyst bei der Usability-Beratungsfirma SirValUse
erzählt: "In der Vergangenheit haben wir bei Tests wiederholt erlebt,
dass die Piktogramme, welche die korrekte Einführung der Magnetkarte
unterstützen sollen, nicht intuitiv verständlich und häufig sogar sehr
verwirrend sind."

EC-Karten intelligenter gestalten? Unmöglich!

Und warum braucht man für EC-Karten überhaupt eine
Einführungs-Anleitung? Würde der Magnetstreifen nicht so merkwürdig
versetzt am Rand der Karte, sondern einfach in der Mitte liegen, gäbe
es statt vier nur zwei Möglichkeiten, die Karten in Automaten zu
stecken.

Dummerweise ist die ungünstige Lage des Magnetstreifens seit
Jahrzehnten international genormt (ISO-Standard 7811). Die komische
Position am Rand habe "historische Gründe", erklärt Tanja Beller,
Sprecherin des Bundesverbandes deutscher Banken. Eine andere
Positionierung sei "aus Gründen der weltweiten Kompatibilität" nicht
möglich. Klar – bei Millionen von Automaten und Karten, die nach dem
alten Muster gebaut sind.

Warum der Magnetstreifen eigentlich da gelandet ist, wo er heute
nervt, kann keiner der Experten eindeutig erklären. Stefan Ille,
Entwicklungschef beim deutschen Parkautomaten-Riesen Designa vermutet
die Gestaltung der alten Kreditkarten mit eingeprägten Zahlen dahinter.

Die mittig eingestanzten Kreditkartennummern wurden früher, lange
bevor es Magnetstreifen gab, beim Zahlen mit Kartenabdruckgeräten auf
Papierbelege übertragen.

Ingenieur Ille: "Man musste mit der Einführung des Magnetstreifens
natürlich dafür sorgen, dass dieser nicht mit der Position dieser
Prägung kollidierte um Beschädigungen zu vermeiden. Daher wohl die
asymmetrische Anordnung." Das Fazit des Ingenieurs: "Das hat wie so
viele Krücken, mit denen wir uns alltäglich herumschlagen, historische
oder, modern ausgedrückt, Kompatibilitätsgründe."

Lesegeräte schlauer machen? Zu teuer!

Der Magnetstreifen ist
also denkbar dämlich standardisiert, weil in einer Zeit, als es kaum
Geldautomaten, aber noch die Sowjetunion gab, jemand die
Kreditkartennummer mittig auf Plastikkärtchen prägte. Einen Standard,
wie die Karten in den Automaten kommen, gibt es aber bis heute nicht.

Wenn man also schon die Gestaltung der Karten nicht mehr ändern
kann und sich warum auch immer kein Einsteckstandard finden lässt,
könnte man vielleicht bei den Lesegeräten in den Automaten etwas
machen. Schließlich kann man ja in vielen Parkhausautomaten die
Parktickets mit den Magnetstreifen auf jede erdenkliche Art einstecken,
ohne dass eine Fehlermeldung erscheint. Die Lesegeräte haben einfach
mehrere Leseköpfe – für jede Einsteckvariante einen.

Theoretisch ginge das bei EC-Karten auch. Nur: Das wäre arg teuer.
Designa-Entwicklungschef Ille rechnet vor: "In absoluten Zahlen
ausgedrückt bedeutete das in etwa einen Mehrpreis von 250 bis 400 Euro
pro Gerät – und das wären reine Herstellungskosten."

Der Grund dafür: Der Magnetstreifen-Standard ISO-7811 schreibt nicht
nur die dämliche Randposition des Streifens vor, sondern auch drei
einzelne Magnetspuren, auf denen die Daten in zwei verschiedenen
Aufzeichnungsdichten gespeichert und gelesen werden. Die Folge: Ein
Lesekopf für EC-Karten ist relativ teuer, da er drei Spuren lesen muss
(auf Parkhaustickets gibt es nur eine). Um alle vier Einsteckvarianten
einer EC-Karte abzudecken, wären vier dieser teuren Leseköpfe nötig.

Piktogramme als Notlösung

Es ist das alte Henne-Ei-Problem: Würde man die EC- und Kreditkarten
neu gestalten, müssten zeitgleich alle Automaten umgestellt werden. Und
umgekehrt.

Das wird nie passieren, bleiben also intuitiv verständliche
Piktogramme als Notlösung. Aberwitzig dabei ist, dass es für die
Gestaltung der Einsteckhilfen keinen Standard gibt. Da können
Automatenbauer, Banken und Betreiber Bildchen und Hinweistexte
gestalten, wie sie wollen.

Über dieses Anleitungschaos schreibt die Psychologiestudentin
Johanna Cuno ihre Diplomarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Sie hat alle Varianten der Karten-Piktogramme gesehen: Bildchen überm
Kartenschlitz, auf denen man die Karte von unten sieht, Bildchen neben
dem Kartenschlitz, die eine EC-Karte gleichzeitig von unten und von
oben zeigen.

Cunos generelle Erfahrung: "Bei Geldautomaten gibt es teilweise
schon recht gute Abbildungen. An Fahrkartenautomaten sind dann oftmals
gar keine oder noch weit schlechtere Abbildungen vorhanden."

Bei ihren Laborversuchen mit simulierten Kartenlesern fand Cuno
heraus, dass Abbildungen oberhalb des Kartenschlitzes am schwierigsten
zu interpretieren sind. Komisch: Warum hat meine Bank nicht verstanden
und umgesetzt, was eine Psychologiestudentin in ihrer Diplomarbeit
entdeckt?

Das klingt absurd, überrascht aber kaum. Schließlich halten sich
alle Hersteller von Magnetkarten-Lesern an einen Baustandard, der beim
Einstecken denkbar benutzerunfreundlich ist, haben es aber bislang
nicht geschafft, sich auf eine einheitliche Einsteckvariante oder auch
nur allgemeingültige Piktogramme zu einigen.

Ein Armutszeugnis.

Versteckte Einschaltknöpfe, verwirrende Anleitungen, verrückte
Automaten – in der Reihe "Fehlfunktion" stellen wir in loser Folge
Technik-Ärgernisse vor, die Millionen nerven. Schicken Sie uns Ihre
Anregungen mit einer kurzen Begründung. Am besten per

E-Mail.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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