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Technikärgernis Münzautomat: Münz-Durchfall und Karten-Schluckauf (Spiegel Online, 25.11.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Münzautomat

Münz-Durchfall und Karten-Schluckauf

Eine Million Verkaufsautomaten spucken in Deutschland gegen Münzen Zigaretten, Cola oder Fischköder aus. Meistens. Ein paar Zehntausend Mal täglich fallen echte Geldstücke aber einfach durch – Fehlalarm der Münzprüfer. Das Problem nervt seit mehr als hundert Jahren.

Spiegel Online, 25.11.2008

Die Idee ist genial, die Technik uralt und die Probleme auch: 1887 stellte der Süßkram-Konzern Stollwerck den ersten Verkaufsautomaten (für Schokolade!) in Deutschland auf, 1888 konnte man in New Yorker U-Bahnhöfen die ersten Kaugummis am Automaten ziehen, und heute spucken in Deutschland fast 500.000 stumme Verkäufer Zigaretten aus, nachdem man Münzen eingeworfen hat.


Meistens jedenfalls.

Die Kratzspuren auf den Verkaufsautomaten für Cola, Fahrkarten und
Zigaretten dokumentieren, dass ein nun schon mehr als hundert Jahre
altes Problem immer noch auftritt ist: Münz-Verweigerung. Darüber
regten sich Menschen schon im vorigen Jahrtausend auf. Im Mai 1905 zum
Beispiel klagt der Automatengeschädigte Benjamin Reich in einem
Leserbrief der "New York Times" sein Leid mit den Kaugummiverkäufer:
"Ich habe Penny um Penny eingeworfen, gute, ordentliche Münzen, und
alles, was ich dafür bekommen habe, war das Vergnügen, gegen die
Maschine gehämmert und dabei meine Hand leicht verletzt zu haben."

1905 schluckten die Automaten manchmal die Münzen einfach, heute
spucken sie das Geld immerhin wieder aus. Der Grund ist derselbe: Der
Prüfer im Automaten hält die Münzen für falsch. Solche Tester bauten
die US-Automatenhersteller schon Ende des 19. Jahrhunderts ein, nachdem
Kinder entdeckt hatten, wie man die Automaten austricksen konnte.

Schon 1891 hämmerten in Chicago Kinder systematisch Bleistücke von
Rohren in Münzform und warfen Sie dann in die Verkaufsautomaten – mit
Erfolg. Dann wurden Münzprüfer eingebaut, die nach Merkmalen wie dem
Gewicht die Echtheit der Geldstücke bestimmten. Und manchmal schlugen
sie eben Fehlalarm.

So ist das heute noch: Burkhard Armborst, Sprecher des
Automatenbetreibers Tobaccoland (verkauft jährlich 175 Millionen
Zigarettenpackungen an mehr als 100.000 Automaten), beschreibt das
Problem: "Bei der Prüfung und Annahme von Münzen befinden wir uns in
einem Zwiespalt: Einerseits wollen wir so viele echte Münzen wie
möglich annehmen, andererseits so viele falsche Münzen wie nötig
ablehnen."

Eine Million Verkaufsautomaten in Deutschland

Und das geht einfach nicht fehlerfrei, weil nach ein paar Monaten
Zahlungsverkehr zwei echte Münzen sehr, sehr unterschiedlich aussehen
können. Tobaccoland-Sprecher Armborst erklärt: "Zum einen mit einem
gewissen Toleranzspielraum geprägt, durch die Abnutzung im Geldverkehr
kommt es dann zu erstaunlichen Schwankungen – echte Euro-Münzen sind
ganz unterschiedlich schwer und dick."

Deshalb schlagen Münzprüfer auch bei manchen echten Münzen Fehlalarm.
Wie oft? In Labortests, so Automatenbetreiber Tobaccoland, bewege sich
der Anteil solcher Fehlentscheidungen der Münzprüfer "im
Promillebereich", bei echten Witterungsbedingungen draußen könne er
aber "durchaus etwas höher sein".

Bei der Masse an Automatenkäufen würde aber auch schon eine
Fehlerquote von fünf Promille fast 2500 Fehlentscheidungen täglich
bedeuten – bei den 100.000 Tobaccoland-Automaten allein. Insgesamt
stehen in Deutschland laut dem Verband der Deutschen Automatenindustrie
fast eine Millionen Verkaufsautomaten (für Zigaretten, Getränke, Fischköder und
Fahrradschläuche).
Angenommen, es werden bei allen Automaten im Durchschnitt ähnlich viele
Transaktionen abgewickelt wie bei Tobaccoland, macht das hochgerechnet
knapp 25.000 fälschlicherweise als unecht wieder ausgespuckte Münzen am
Tag.

Rubbeln hilft nicht

Schaut man sich die Kratzspuren an den Geräten an, hält sich der
Mythos hartnäckig, dass es hilft, die Münzen an Metall zu reiben.
Stimmt aber nicht, sagt Tobaccoland-Sprecher Armborst: "Das Rubbeln
hilft gar nicht. Aber es hilft, die einmal abgewiesene Münze noch
einmal einzuwerfen." Denn wenn Gewicht, Masse und Material der Münze
ganz nah an der Toleranzschwelle des Prüfers sind, kann sie beim
zweiten Versuch durchaus akzeptieren – egal ob man davor rubbelt oder
nicht.

Wenn es beim zweiten Versuch klappt, führt man das auf der Suche
nach einem anderen Grund als den simplen Zufall zurück – das Rubbeln.
So nährt sich der Mythos.

Das Prüfproblem ist also nicht zu lösen, man kann es nur umgehen.
Mit Zahlungsmitteln wie der Geldkarte zum Beispiel. Ganz selten
verweigern Verkaufsautomaten die Geldkartenzahlung (wenn der Akku eines
Automaten fast leer ist) oder buchen ab, ohne Zigaretten auszuspucken
(mechanische Probleme).

Trotzdem benutzt kaum jemand diese Karten zum Bezahlen – der Anteil
von Geldkartenzahlungen liegt bei Tobaccoland-Automaten im niedrigen
zweistelligen Prozentbereich – sogar mit Scheinen wird häufiger bezahlt.

Abgesehen von der wenig geliebten Karte ist ein wesentlicher
Fortschritt der Münzautomaten in den vergangenen hundert Jahren also,
dass sie irrtümlich für unecht erklärte Geldstücke wieder ausspucken.
Das erspart uns den Frust, der 1905 Benjamin Reich in New York auf
Kaugummiautomaten einprügeln ließ.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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