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Technikärgernis Plastikverpackung: Hol die Schneidzange raus! (Spiegel Online, 12.11.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Technikärgernis Plastikverpackung

Hol die Schneidzange raus!

Schere oder Messer – anders geht es nicht: Hersteller verschweißen Speicherkarten, Spielzeug und Computer-Zubehör in Blistern, kaum zu öffnenden Plastikverpackungen. Die sollen Ladendiebe abschrecken, tauchen aber auch im Versandhandel auf. US-Erfinder verkaufen sogar spezielle Blister-Öffner.

Spiegel Online, 12.11.2008

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Wer im Elektromarkt mal eben eine Speicherkarte für die
Digitalkamera kaufen will, fühlt sich ein wenig wie Bankkunden auf dem
Weg zum Schließfach: Die Speicherkarten hängen in
apfelsaftkartongroßen, durchsichtigen Kisten aus Hartplastik an der
Wand.

Am Ausgang öffnet der Kassierer diese Kiste mit einem
Spezialschlüssel und holt eine zweite, kleinere, luftdicht verschweißte
Plastikverpackung heraus. Für die zahlt man weniger als für eine Pizza
und steht vor einem Problem: Das Ding geht einfach nicht auf.

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Diese Verpackungen heißen in den Vereinigten Staaten sehr treffend
Blister-Pack. Blister wie Beule, Bläschen, Brandblase – und für Kunden
sind diese Schweißverpackungen (so der deutsche Fachbegriff für diese
besonders fiese Unterform der Sichtverpackung) ungefähr genauso
nützlich wie Blasenbildung.

Weil beim Verpacken von Speicherkarten und ähnlichem
Technik-Kleinkram in Blister-Packs die Vorderseite fest mit der
Rückseite verschweißt wird, kann man diese Verpackung nicht wirklich
öffnen – man muss sie zerstören. Und das geht nicht ohne Schere, Messer
oder Schneidzange.

In solche Plastikhüllen stecken Elektronik-Hersteller wie Sandisk
nicht nur die winzigen SD-Speicherkarten, sondern auch Technik-Zubehör
wie Video-Konverter (siehe Fotostrecke). Warum? Sandisk lehnt es ab,
Fragen zu den Blister-Verpackungen zu beantworten.

Speicherkarten-Anbieter Panasonic begründet die verschweißte
Verpackung so: "Der Handel verlangt eine nicht zu öffnende Verpackung
in einer Größe, die den Diebstahl der Karten erschwert.
Ladendiebstählen soll so vorgebeugt werden." Denn, so
Panasonic-Sprecher Michael Langbehn: "Je teurer der Artikel und je
kleiner die Verpackung, desto höher die Diebstahlquote."

In der Tat sind SD-Speicherkarten ziemlich klein (3 x 2,5 Zentimeter
etwa) – und die Schweißverpackungen im Vergleich ziemlich groß (12 x 15
Zentimeter zum Beispiel). Das sei für die Fachmärkte "der sicherste
Schutz vor Diebstahl", erklärt Rantje Looft, Marketingchefin des
Speicherkartenherstellers Transcend und argumentiert, dass davon auch
die Käufer profitieren, weil "die Fachhändler nicht wegen hoher
Diebstahlquoten ihre Preise erhöhen müssen."

Und die Umwelt? 180 Quadratzentimeter Plastik-Verpackung für 7,5
Quadratzentimeter Speicherkarte? Ist eben so. Transcend hat nach
eigenen Angaben seine Blister-Packs schon auf gut 100 Quadratzentimeter
geschrumpft. 8 Zentimeter lang, 13 Zentimeter hoch – "noch kleiner geht
nicht!", erklärt Marketingleiterin Looft. Denn: "Es müssen einfach
gewisse Informationen enthalten sein, wie zum Beispiel gesetzliche und
patentrechtliche Inhalte."

Billiger als Rasierklingen, aber in Plastik verschweißt

Nur: Warum diese Plastikpanzer, wenn die bei Elektromärkten ohnehin
noch einmal in Schutzkästen stecken? Und abgesehen von diesem
Doppelschutz: Inzwischen kosten die meisten SD-Speicherkarten so wenig
wie Rasierklingen oder Akkus, die meistens in einfach zu öffnenden
Verpackungen mit Papprücken angeboten werden. Eine Sandisk SD-Karte mit
4 Gigabyte kostete laut Geizhals.at vor einem Jahr beim günstigsten
Onlinehändler 33 Euro – derzeit sind es etwa 8 Euro.

Zumindest für diese inzwischen so günstigen Karten versprechen
einige Hersteller nun Besserung beim Verpackungsdesign. Panasonic
kündigt zum Beispiel an, Speicherkarten irgendwann im nächsten Jahr
anders zu verpacken: "Kleinere Verpackung, weniger Plastik, mehr
recyclebare Pappe". Und Speicherkarten-Hersteller Transcend erklärt
vage, dass die Entwickler schon an "Lösungen tüfteln, die beide Seiten
zufriedenstellen – den Handel und den Endverbraucher."

Wie diese Lösung wohl aussehen könnte? Pappe vielleicht?

"Schmerzhaft und zeitfressend"

Solch eine Lösung hat in den Vereinigten Staaten der
Online-Handelskonzern Amazon gefunden. Die Firma, die in Deutschland
einige Speicherkarten in diebstahlsicherer Schweißverpackung verschickt
(wer soll da die Karten stehlen?), hat im US-Vorweihnachtsgeschäft
werbewirksam die Initiative " frustrationsfreie Verpackung"
ausgerufen. Firmengründer Jeff Bezos beschrieb diese Aktion in einer
E-Mail an Kunden mit viel Pathos, versprach, dem oft "schmerzhaften und
zeitfressenden" Auspacken ein Ende zu machen.

Große Worte, simple Lösung: Bestimmte Speicherkarten und Spielsachen
(19 Artikel insgesamt) verschickt Amazon nun auf Wunsch in
Papp-Umschlägen oder -Schachteln an US-Kunden – ohne Plastikhülle. Im
nächsten Jahr soll das auch bei Amazon-Seiten außerhalb der Vereinigten
Staaten möglich sein.

Um die Zehntausend anderen Blister-Verpackungen zu öffnen, kann man aus einer großen Palette spezieller Blister-Öffner wählen (
Übersicht beim US-Testmagazin "Consumer Reports"). Warum eine Schere benutzen, wenn es für die Schweißverpackung so schöne Öffner gibt wie den
Pyranna, den Ultimate Package Opener oder gar die 36-Volt-Elektroschere von Black & Decker?

Ein wunderbarer Gag gelang dem Hersteller des Blister-Öffners
OpenX,
die ihr Spezial-Werkzeug vor drei Jahren mit dem Spruch bewarben:
"Öffnen Sie diese störrischen Plastikverpackungen ganz einfach!" – und
dann den Öffner in einer eben dieser fest verschweißten Verpackungen
verschickten. Immerhin stand darauf dieses Versprechen, wie das
Technik-Blog BoingBoing zitiert: "Die letzte Verpackung, mit der Sie sich abmühen werden!"

Die Letzte? Vielleicht.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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