Technikärgernis Schnürsenkel: Verflixt und zugeschnürt
Ihre Schnürsenkel halten nie? Dann binden Sie die falschen Knoten. Millionen Menschen stolpern deswegen über ihre eigenen Füße. Dabei sind perfekte Schuhschleifen-Techniken leicht zu erlernen. Mathematiker haben die besten erforscht.
Spiegel Online, 7.3.2009
Diesen Anblick wird Paul Ives nie vergessen – er war zu lustig: Als der Brite vorigen August von der Arbeit nach Hause kam, hing da im
eingeschlagenen Erdgeschossfenster seines beschaulichen Häuschens im britischen Dartford ein Mann. Kopfüber, am Schnürsenkel seines Turnschuhs, der sich außen am Fensterrahmen verfangen hatte. Der ins Wohnzimmer hängende Mann hatte einen Hammer in der Hand und schwor den herbeigerufenen Polizisten: “Ich habe einen Einbrecher verfolgt.” Zwei Monate später wurde der Einbrecher verurteilt. Die “BBC” titelte: “Knast für den Schnürsenkel-Einbrecher“.
Der Schnürsenkel-Einbrecher ist eine von vielen Nachrichten auf der Seite von Ian Fieggen, einem australischen Informatiker, der seit
Jahren gegen sich im falschen Augenblick öffnende Schuhschleifen kämpft. Manche der Schnürsenkel-Unfälle in Fieggens Archiv sind absurd,
viele tragisch: Menschen ertrinken, werden überfahren, rasen mit ihren Autos in Gebäude – alles wegen Schuhschleifen, die sich im falschen
Augenblick öffnen.
Das passiert ziemlich oft – mir bei manchen Schuhen mehrmals täglich, anderen Leidgeplagten noch häufiger. Ein Schuhschleifen-Opfer klagt im Web: “Auf der Arbeit bin ich nahezu den ganzen Tag auf Achse und alle 20 Minuten ist bei einem Schuh wieder der Schnürsenkel offen.” Dann der Hilferuf: “Ich krieg da echt bald die Krise. Hat jemand einen Tipp, dass die Schnürsenkel wieder besser halten?”
Ian Fieggen hätte da ein paar. Der 46-jährige Programmierer analysiert nach eigener Aussage seit 1982 verschiedene Methoden zum Binden von Schuhschleifen, betreut die wohl umfangreichste Website zum Thema und hat eins der Standardwerke zum Thema veröffentlicht (“Laces: 100s of Ways to Pimp Your Kicks “).
Schlüpfrige Standardsenkel
Ein Grund dafür, dass die Schleifen bei manchen Schuhbändern immer wieder aufgehen: Das Material. Fieggen: “Das kommt heute viel häufiger vor, da viele Synthetik-Schnürsenkel sehr glatt sind, vor allem bei Nylon.” Helmut Farnschläder, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Schuhmacherhandwerks, beobachtet das vor allem bei den Standard-Schuhbändern: “Die allerallermeisten Schuhe haben von Fabrik aus Schnürsenkel, die nicht aus reiner Baumwolle bestehen. Je mehr Synthetikanteil, desto schlechter halten die Knoten. Die Firmen, die Ersatzsenkel anbieten, beachten dieses.”
Aber selbst mit derart schlüpfrigen Standardsenkeln lässt sich eine ziemlich sicher sitzende Schleife binden – mit der richtigen Technik. Schuhschleifen-Experte Ian Fieggen erklärt: “Dass Schleifen sich lösen, liegt meistens am Knoten. Ich weiß das, weil ich einen besonderen Knoten nutze und meine Schuhschleifen nie einfach so aufgehen.”
Der Altweiberknoten sitzt allzu locker
Der häufigste Fehler beim Schuhbinden: Die Menschen wollen eigentlich eine Schleife mit einem Kreuzknoten binden (die würde recht sicher halten), machen aber aus Gewohnheit einen Altweiberknoten, der sich viel leichter löst. Der Mathematiker David J. Green, der sich mit der Knotentheorie beschäftigt, erklärt das so: “Der Reffknoten und der Altweiberknoten sehen sehr ähnlich aus, sind aber verschieden. Der herkömmliche Schnürsenkelknoten ist ein Reffknoten mit zwei Schleifen. Manche Leuten haben aber aus Versehen gelernt, einen Altweiberknoten anstelle von einem Reffknoten zu binden.”
Den Unterschied beschreibt Ian Fieggen auf seinen Schnürsenkel-Web-Seiten sehr ausführlich. Auf Diagrammen sehen Knoten zunächst sehr verwirrend aus, aber der Unterschied ist eigentlich recht simpel: Beim Altweiberknoten hat der erste Knoten dieselbe Orientierung wie der zweite, beim Kreuzknoten sind die gegensätzlich. Was das konkret heißt, erkennt man mit etwas Selbstbeobachtung. Ich binde zum Beispiele meine Schuhe intuitiv so: Linker Schnürsenkel über den rechten, dann ein Überhandknoten, dann links eine Schlaufe und den rechten Riemen hinten herum um diese.
Das ist aber der perfekte Altweiberknoten – zweimal links statt einmal links und einmal rechts. Die Lösung ist ganz einfach: Beim ersten Knoten nicht den linken über den rechten Schnürsenkel legen, sondern umgekehrt. Ian Fieggen hat auf seiner Web-Seite alle Methoden, einen Altweiberknoten zu binden, aufgelistet und um Vorschläge ergänzt, wie man diese seit Jahren Tag für Tag antrainierten Abläufe durch eine minimale Veränderung korrigieren kann.
Dass man Jahre lang nicht darauf kommt, als Kind die falsche Schleifentechnik gelernt zu haben, verblüfft viele Besucher von Fieggens Seite. Einige schreiben ihm dann E-Mails wie Martin aus den Niederlanden, der die Schuhschleifen-Seite in einem Mountainbike-Forum entdeckte: “Was für eine Erleuchtung! Ich bin 31 und meine Schnürsenkel sind bis jetzt ständig aufgegangen. Nun weiß ich, warum.”
Ian Fieggens Super-Knoten
Um eine lang antrainierte Altweiberknoten-Routine aufzugeben, muss man sich einige Tage lang sehr langsam und bewusst die Schuhe binden. Wer will, kann diese Mühe auch gleich investieren, um einen völlig anderen Schleifenknoten zu lernen. Ian Fieggens stellt auf seinen Seiten einige zur Auswahl, noch mehr findet man im Buch “A Mathematical Guide to the Best (And Worst) Ways to Lace Your Shoes” des Mathematikers Burkhard Polster.
Ian Figgiens schnürt seine Schuhe seit Jahren mit seiner Eigenentwicklung, dem “Ian Knoten“. Figgiens zufolge ist der Knoten einer der sichersten, sieht ordentlich
und symmetrisch aus, beansprucht das Material weniger und lässt sich – einmal gelernt – deutlich schneller binden als die herkömmliche Schuhschleife. Figgiens: “Ich brauche ein Drittel der Zeit wie für einen gewöhnlichen Knoten.”
Wenn das stimmt, holt man den Rest seines Lebens über sicher die Zeit locker wieder auf, die man braucht, um sich den Ian Knot anzutrainieren – das ist zwar noch mühsamer als sich einen Altweiberknoten abzugewöhnen. Aber nach ein paar Tagen funktioniert das fast mit derselben Routine, mit der man Jahre lang allzu lockere Schuhschleifen gebunden hat. Eine schlechte Angewohnheit, die man unbedingt loswerden sollte.
Denn wer will schon irgendwann in die unangenehme Situation kommen, im Museum über seine offenen Schnürsenkel zu stolpern und drei Mingvasen zu zerschmettern.