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Technikärgernis Sensorarmatur: Wedeln, bis das Wasser fließt (Spiegel Online, 4.12.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Technikärgernis Sensorarmatur

Wedeln, bis das Wasser fließt

Nie mehr Hähne aufdrehen beim Händewaschen: Dieses Versprechen halten Sensorarmaturen durchaus. Meistens. In jedem Fall aber muss man winken, wedeln, warten, bis das Wasser endlich ins Becken läuft.

Spiegel Online, 4.12.2008

Weißes Hemd, schwarze Krawatte, glänzende Lederschuhe: Der Held des
Werbespots
ist tadellos gekleidet, steht vor einem minimalistisch gestalteten
Waschbecken mit schwarzem Marmor und messingfarbenem Wasserhahn – alles
perfekt. Nur kommt kein Wasser aus dem Hahn. Der Krawattenträger wedelt
mit den Händen im Becken herum, beugt sich unter den Hahn. Nichts zu
machen.


Der Mann geht, das Wasser fließt, der IBM-Slogan erklärt:
"Innovation erkennt man nicht am Design oder am Preis oder am Namen,
sondern daran, dass sie Resultate bringt." Die Resultate mancher
Sensorarmatur sehen so aus: Das Wasser fließt mit Verzögerung, beim
zweiten oder dritten Wedeln mit den Händen oder auch erst, wenn man sie
wieder wegzieht. Und im schlimmsten Fall fließt gar nichts.

Außer der Flüssigseife.

Dass das bei manchen Installationen so ist, bestreiten die Hersteller
gar nicht. Carsten Tessmer, Sprecher des deutschen Sanitär-Konzerns
Hansgrohe, zum Beispiel urteilt ganz allgemein: "Die Qualität der auf
dem Markt befindlichen Armaturen mit Sensortechnologien ist sehr
unterschiedlich, viele Probleme sind im Einzelfall der mangelnden
Qualität des jeweiligen Produkts zuzuschreiben."

Das kann an allem möglichen liegen, denn so ein berührungsloser
Wasserhahn besteht aus mehreren Komponenten: Sensor, Magnetventil und
als Vermittler dazwischen Steuerungselektronik. Für Fehlfunktionen
macht Tessmer vor allem "die Qualität der eingesetzten Technik und die
Abstimmung der Komponenten aufeinander" verantwortlich. Tessmer:
"Montage und Bedienung sind im Vergleich dazu eher weniger bedeutende
Faktoren."

Stromspar-Sensor lahmt

Was man beim Händewaschen nicht sieht: Die Wedel-Waschbecken
brauchen Strom für Magnetventile, Elektronik und den Sensor. Oft
versorgt eine Batterie diese Systeme. Und da sparen die Betreiber dann
Strom, wie Verena Töpfer-König, Sprechern des Armaturenherstellers
Franke Washroom System, erklärt: "Dann wird die Taktzeit des Sensors
reduziert und es kommt zu zeitlichen Verzögerungen beim Wasserfluss."

 

Sprich: Der Infrarotsensor guckt einfach seltener nach, ob ihm
gerade jemand die Hände entgegenstreckt und döst dazwischen vor sich
hin. Die Intervalle verlängern die ohnehin bestehende Verzögerung durch
die Reaktionskette von Sensor zu Elektronik zu Magnetventil.

Kurzsichtige Sensoren

Bei älteren Sensorarmaturen passiert es immer wieder, dass zwar
sofort Wasser fließt, aber dann beim Händewaschen sofort wieder
versiegt. Schuld daran kann ein falsch eingestellter oder einfach ein
alter Infrarotsensor mit geringer Reichweite sein. Ist die nicht
ausreichend oder zu kurz eingestellt, verschwinden die Hände beim
Waschen aus dem Sichtfeld des Sensors.

Bei neuen Armaturen lässt sich diese Reichweite einstellen – für
kleine oder stark reflektierende Waschtische gibt es eine eigene Stufe.
Die muss dann nur jemand eingestellt haben. Oder eben nicht.

Verwirren können den Bewegungssensor im Wasserhahn auch
Kondenswasser, zu helles direktes Licht und Wasserspritzer – dann
drohen "Fehlauslösungen" und "unbeabsichtigte Wasserabgabe", wie
fließendes Wasser ohne Hände unterm Hahn im Fachjargon heißt.

Links kalt, rechts warm

Mit diesem ganzen Ärger soll eine neue Sensortechnik Schluss machen,
die vor ein paar Jahren ein Schweizer Unternehmen patentiert hat: Die sogenannten DDSA-Sensoren arbeiten mit einem elektromagnetischen Feld und sollen "organische Objekte" durch Glas, Keramik oder Metall hindurch erkennen.

Das bedeutet: Der Sensor muss nicht mehr am Waschbecken angebracht
sein, sondern kann auch in der Wand ruhen. Der Hersteller verspricht
alltagstaugliche Sensoren "für den harten, professionellen und
zuverlässigen Einsatz im sanitären Umfeld".

Außerdem soll sich über diesen Sensor auch die Wassertemperatur per
Fingerzeig regeln lassen – für kälteres Wasser müssen die Hände im
Becken nach rechts, für wärmeres Wasser nach links.

Vielleicht kann IBM dann in fünf Jahren einen Werbespot über neue Wedel-Waschbecken mit automatischem Wechselbad drehen.

.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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