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Technikärgerns Signalverzögerung: Digitales Deutschland jubelt später (Spiegel Online, 12.6.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Technikärgerns Signalverzögerung

Digitales Deutschland jubelt deutlich später

Bei der EM ist alles noch schlimmer als bei der WM: Schon 2006 nervten die verzögerten Fernsehbilder übers digitale Antennen-TV ganz Deutschland. Digital-TV dominiert nun auch bei Kabel und Satellit. Die Signalverzögerung lässt das einheitliche Live-Erlebnis verschwinden.

Spiegel Online, 12.6.2008

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Bei jedem EM-Tor geht diese akustische La-Ola-Welle durch mein
Viertel: Erst jubeln die Öffentlichgucker am Heiligengeistfeld, dann
die Gäste beim Italiener unten und zuletzt, aber am lautesten, mein
Nachbar. Es scheint, dass er sich für alle Teams freut – in gleicher
Lautstärke und immer zu spät. Wenn sein Gebrüll einsetzt, sehe ich dann
meist auch das Tor – ein paar gefühlte Sekunden später als alle anderen
Hamburger da draußen.

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Diese
Signalverzögerung war schon bei der WM ein Problem – Deutschland
jubelte asynchron, wie SPIEGEL ONLINE damals schrieb . Zwei Jahre
technologische Entwicklung später scheint das Problem bei dieser EM
aber nicht kleiner, sondern größer geworden zu sein: In meiner
Nachbarschaft höre ich vier Jubelfraktionen, ein Kollege berichtet ganz
entsetzt, dass ihm die Zuschauer im Restaurant gegenüber jedes Tor mit
ihrem Gejubel ankündigen, bevor er etwas davon sieht. Dabei habe er
doch einen Kabelanschluss, das war doch bei der WM der schnellste
Empfangsweg.

Nur wird heute das Signal des Kabelfernsehens von vielen Anbietern
auch digital übertragen. Für allen Übertragungswege gibt es inzwischen
Digital-Standards:

  • Antenne (DVB-T)
  • Satellit (DVB-S)
  • Kabel (DVB-C)

Verzögerungs-Chaos ist heute größer denn je

Über Antenne und Satellit bekommt man heute fast nur noch digitale
Fernsehsignale. Aber diese Modernisierung der Übertragungstechnik hat
dem Live-Erlebnis geschadet statt genützt. Bei der WM war schon zu
beobachten, dass das digitale Fernsehsignal über Antenne (DVB-T) die
Fußballbilder deutlich später übermittelte als das analoge Kabelsignal.

Heute ist die Digitaltechnik im Fernsehbereich viel weiter verbreitet.

Nun wäre denkbar, dass alle Digitalgucker mit mehr Verzögerung
schauen als zuvor. Der Vorteil: Wenn alle später die Tore mit derselben
Verzögerung mitkriegen, merkt das keiner.

Aber so funktioniert das nicht bei modernen Übertragungsstandards.
Im Gegenteil: Das Verzögerungsdurcheinander ist heute größer denn je.

Sven Hansen, Redakteur für Videotechnik beim IT-Fachmagazin "c’t"
beurteilt die Lage so: "Je weiter die Digitalisierung voranschreitet,
desto weiter entfernen wir uns von einem einheitlichen Live-Erlebnis.
Bis aus den digitalen Signalen ein Livebild wird, vergeht nicht nur
deutlich mehr Zeit als beim alten Analogsignal – es vergeht vor allem
bei jeder Geräte-Anbieter-Kombination ganz unterschiedlich viel Zeit."

Denn bei digitalen Signalen beeinflussen sehr viele Faktoren die
Verzögerung. Es beginnt bei den Fernsehsendern. Einige wenige arbeiten
vollständig digital, zum Beispiel das ZDF. Andere, wie die ARD, müssen
analoge Signale vor dem Einspeisen noch konvertieren. Dadurch kommt je
nach Übertragungsart noch eine Verzögerung dazu.

Analog-Kabel ist heute manchmal langsamer

Und die Empfangsgeräte beim Zuschauer arbeiten alle die digitalen
Signale noch einmal um – egal, ob das nun digitale Antennen-, Kabel-
oder Satellitensignale sind. Die Daten werden entpackt, gepuffert,
Algorithmen zur Fehlerkorrektur laufen ab – je nach Gerät geht das
unterschiedlich schnell.

Das Ergebnis laut Hansen: "Welche Empfangsart am schnellsten,
sozusagen am livesten ist, lässt sich heute nicht mehr pauschal sagen."
Der Kollege zum Beispiel, der überzeugt vom Geschwindigkeitsvorteil des
Kabelfernsehens war, irrte. Bei der vorigen WM galt noch: Analoges
Kabelfernsehen überträgt am schnellsten. Heute empfängt man analoge
Signale fast nur noch über das Kabel.

Mit dem Radio raus aufs Land zum Live-Erlebnis

Aber die sind nicht mehr am schnellsten. Denn viele
Kabelkopfstationen empfangen heute die Fernsehsignale nicht per
Direkteinspeisung, sondern wandeln digitale Satellitendaten um und
geben die dann analog ins Kabelnetz. Fachredakteur Hansen: "Dann ist
der Geschwindigkeitsvorteil natürlich verloren, den haben nur komplett
analog arbeitende Verteilstellen."

Fazit: Mit der ältesten Technik jubelt man wahrscheinlich als
erster. Und wer keinen Uralt-Analog-Kabelanschluss mit komplett
analoger Kopfstation hat, muss fürs überzeugendste Live-Erlebnis zum
Öffentlichgucken – die Menschenmasse wird schon jeden verfrühten
Freudenruf abblocken.

Oder man fährt mit einem Radio (und Ersatzbatterien!) raus, weit weg
von allen Fernsehern, Großleinwänden und Kabelkopfstationen, an einen
möglichst einsamen See und hört sich das Spiel im Radio an.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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