Zum Inhalt springen

Technikärgernis Trödel-Player: VHS schlägt Blu-ray (Spiegel Online, 18.11.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Technikärgernis Trödel-Player

VHS schlägt Blu-ray

Videorecorder waren doch eigentlich rasend schnell: Hochmoderne HD-DVD- und Blu-ray-Player brauchen oft eine knappe Minute bis zum Filmstart, ältere DVD-Abspieler 15 Sekunden. Der gute alte VHS-Recorder dagegen legt sofort los.

Spiegel Online, 18.11.2008

Film einlegen, Play-Taste drücken und gucken – so einfach war
Heimkino mit dem guten alten VHS-Videorecorder (vorausgesetzt, man fand
den Videokanal). Bei Toshibas Hightech-DVD-Player HD EP-30 dauert das
etwas länger: Nach dem Einschalten ist er erst einmal 40 Sekunden mit
sich selbst und dem Starten beschäftigt. Erst danach nimmt das Gerät
den Befehl zum Öffnen der Schublade an.


Bis er die eingelegte DVD abspielt, nimmt sich der Toshiba-Abspieler
noch einmal gut 15 Sekunden Zeit. Eine Minute, bis man die oft nicht
vorzuspulenden Werbevorspänne der DVD sehen muss – das nervt auf Dauer.
Vor allem, weil diese Abspiel-Schnecke als Zukunftsmodell galt und mehr
als 300 Euro kostete, bevor Anfang des Jahres das hochauflösende
HD-DVD-Format abgewickelt wurde.

Schon die ganz normalen DVD-Player brauchten bis zum Filmstart
deutlich länger als das VHS-System – gut zehn Sekunden vom Einschalten
bis zur Betriebsbereitschaft, dann oft noch einmal um die 15 Sekunden
bis zum Start des Film auf der eingelegten DVD, was schon viele Kunden
beklagen. SPIEGEL-ONLINE-Leser und Systemadministrator Thieu Hon Tran
zum Beispiel stört, dass seine DVD-Player von Sony und Yamaha auch zum
Abspielen von Musik-CDs länger brauchen als alte CD-Player: "Es ärgert
mich, dass neuere Geräte in so wesentlichen Punkten den Uralt-Geräten
unterlegen sind."

Langsamer Start

Warum der DVD-Nachfolger HD-DVD noch einmal doppelt so lange
brauchte wie die ohnehin nicht gerade schnellen DVD-Player?
Toshiba-Produktmanager Frank Eschholz erklärt, eine Startzeit von fast
40 Sekunden sei "beinahe ein technisches Wunder, wenn man bedenkt, dass
dort ein Linux-Betriebssystem von etwa 75 Megabyte geladen wird". Ein
HD-DVD-Abspieler sei eben "eher ein PC als ein Player". Bei
herkömmlichen DVD-Playern sei das Betriebssystem nur etwa ein Megabyte
groß.

In der Tat: HD- und Blu-ray-Abspieler sind eigentlich Computer, die
sich aber ausschließlich auf die Filmwiedergabe beschränken. Die kaum
zu vermeidende Folge laut Nico Jurran, Redakteur für Videotechnik beim
IT-Fachmagazin " c’t":
"Wer sich bereits über die Bootzeiten von DVD-Playern ärgert, sollte um
die Player für die HD-Disc-Formate Blu-ray-Disc und HD-DVD derzeit noch
einen weiten Bogen machen. Diese Hochleistungsmaschinen sind PCs noch
recht ähnlich, was leider auch für die Wartezeit beim Start gilt."

Das gilt auch für viele Blu-ray-Abspieler, das hochauflösende Format
also, das sich gegen HD-DVD durchgesetzt hat. Bei einem Hochfahr-Test
attestiert die " Computerbild"
zum Beispiel dem Sony-Blu-ray-Player BDP-S300 zu lange Wartezeiten:
"Erst 45 Sekunden nach dem Einschalten war der Player betriebsbereit.
Vom Einlegen bis zur Wiedergabe einer Musik-CD oder Blu-ray-Disc
verging noch einmal eine halbe Minute". Ähnlich lahm der Panasonic DMP-BD50: 23 Sekunden bis zur Betriebsbereitschaft, dann noch einmal eine halbe Minute, bis er eine BD abspielt.

Etwas schneller geht es, wenn die Player im Stand-by-Modus dösen – und dabei entsprechend Strom verbrauchen.

Träger Filmstart

Das Booten erklärt aber nicht, warum ein moderner HD- oder
Blu-ray-Player, wenn er nun endlich die DVD angenommen hat, noch einmal
bis zu einer halben Minute braucht, um die Inhalte wiederzugeben. Für
diese zweite Startverzögerung haben Experten mehrere Erklärungen. Nico
Jurran vom IT-Fachmagazin "c’t" führt es auf die Formaterkennung
zurück: "Nach der Bootphase muss der Player erkennen, welche Art von
Medium in seiner Lade liegt. Hier rächt sich ein wenig, dass Anwender
gerne ein Gerät haben, das als eierlegende Wollmilchsau fungiert."

Denn moderne Player können ja alles mögliche abspielen – DVDs,
hochauflösende DVDs, Audio-CDs, manchmal auch selbstgebrannte Rohlinge
mit Bild-, Musik- und Videodateien in Formaten wie MP3 oder DIVX. Wenn
der Player also 30 Sekunden lang nichts Erkennbares mit der eingelegten
Silberscheibe tut, versucht er gerade zu erkennen, was er nun
eigentlich zu tun hat. Jurran: "Solange dem Player nicht klar ist, ob
und was er mit den Daten anfangen kann, kann er auch keine Befehle
ausführen."

Toshiba-Produktmanager Eschholz erklärt die Startverzögerung mit den
nötigen mechanischen Vorgängen beim Einlesen: "Die Disks müssen auf
konstant einige Tausend Umdrehungen pro Minute gebracht, die Leseköpfe
positioniert, die Daten gelesen und ausgewertet werden. Das kostet
alles Zeit." Denn immerhin ist die Datenrate etwa bei einem
HD-DVD-Player fünfmal höher als bei einem DVD-Player.

Aufwendige Java-Menüs trödeln

Bei Blu-ray-Playern kommt bei manchen Filmen noch ein Zeitfresser
dazu: Manchmal muss man zwischen den Trailern und der Anzeige des Menüs
spürbar warten. Grund dafür laut Nico Jurran von "c’t": "Komplizierte
Menüs bei diesen Scheiben sind in Java programmiert. Die Umgebung für
diese Programmiersprache muss der Player dann erst einmal generieren,
was wiederum Zeit in Anspruch nimmt."

Sony-Sprecherin Silke Bernhardt erklärt diese Startverzögerungen bei
Blu-ray-Playern zu einem Problem der ersten Generation von
Blu-ray-Player: "Bei den aktuellen Blu-ray-Playern haben wir die
Boot-up-Zeiten enorm verbessert und Quick-Start-Funktionen installiert."

Schneller Strom verprassen

In der Tat fand zum Beispiel das Fachmagazin "Audio" in einem
aktuellen Test den neuen Sony-Player BDP-S350 mit der
Schnellstart-Option "in weniger als zehn Sekunden betriebsbereit".
Schnellstart bedeutet allerdings Standby – Urteil der " Audio":
"Dieser Blitzstart ist aber mindestens so unökonomisch wie ein
Ampelrennen; der Stromverbrauch erhöht sich im Standby-Betrieb enorm."

Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, die Trödel-Abspieler zu
beschleunigen. Bei Blu-ray-Playern beobachtet "c’t"-Tester Jurran
derzeit deutliche Geschwindigkeit-Forschritte. "Möglich machen dies
spezielle Prozessoren, die schneller arbeiten als die zunächst
verwendeten Universal-Chips. Vorteilhaft ist es auch, wenn die Preise
für Speicherbausteine fallen, da Daten dann besser ausgelagert und
schneller verschoben werden können."

Da ist also noch viel Raum für Verbesserungen – gerade wenn man
Blu-ray- und HD-DVD-Player mit Computern vergleichen will, schneiden
sie nicht besonders ab: Das Günstig-Netbook Dell Inspirion 910 bootete
lädt binnen 30 Sekunden den Desktop von Windows XP. Bis die Lade nach
dem ersten Einschalten aufgeht, brauchen die meisten Blu-Ray- und
HD-DVD-Player trotz schlanker Linux-Systeme länger.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert