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Technikärgernis Webformular: Apple diktiert iPhone-Deutsch - "gerladst!" (Spiegel Online, 12.08.08)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Technikärgernis Webformular

Apple diktiert iPhone-Deutsch – "gerladst!"

Diese Mini-Macken quälen Web-Nutzer
täglich: Ein Klick neben den Sendeknopf löscht den Inhalt von
Formularen komplett, Facebook bevorzugt Babys, und die
iPhone-Autokorrektur übersetzt korrektes Deutsch beharrlich in eine
Phantasiesprache. SPIEGEL ONLINE zeigt die übelsten kleinen Fehler.

Spiegel Online, 12.8.2008

Ein Säugling hat es besonders einfach, sich beim deutschen
Menschel-Netzwerk "Wer kennt Wen" anzumelden. Eigentlich müssen
Mitglieder ja mindestens 14 Jahre alt sein, aber im Anmeldeformular
stellt das Kölner Netzwerk trotzdem das Geburtsjahr 2008 nach ganz
oben. Wer seinen ersten Geburtstag noch vor sich hat, muss bei "Wer
kennt wen" am wenigsten rumscrollen, um sich anzumelden.

Eine völlig sinnlose Anordnung – kein Säugling wird sich je bei "Wer
kennt Wen" anmelden. Und wenn sich jemand aus Scroll-Faulheit als
Nulljähriger ausgibt, erkennt die Software die Anmeldung einfach nicht
an und verlangt wieder: "Bitte gib Dein Geburtsjahr an": Sprich: Alle
in dem Menü zum Herunterscrollen absteigend aufgeführten Jahreszahlen
von 2008 bis 1994 sind überflüssig.


Warum die unnötigen Jahreszahlen trotzdem da stehen? Vielleicht, weil
das fast alle Netzwerke so machen. Bei Facebook beginnt das Auswahlmenü
für das Geburtsjahr auf der Anmeldeseite natürlich mit dem Jahr 2008,
bei MySpace genauso. Wer sich hier registriert, muss fleißig
Jahreszahlen durchblättern, bis er auch nur in die Nähe eines Alters
kommt, in dem man lesen kann.

Etwas intensiver haben offenbar die Gestalter bei der
Studenten-Community StudiVZ nachgedacht: Hier steht als erstes
auswählbares Geburtsjahr in der Anmeldeliste 1990 – ganz vernünftig, da
man volljährig sein muss, um sich überhaupt bei StudiVZ registrieren zu
dürfen.

Die Bundesrepublik verschwindet hinter Belarus, der Löschknopf tilgt
alles, und Apple erfindet ein Gaga-Deutsch – SPIEGEL ONLINE zeigt die
nervigsten Formular-Fehler.


Deutschland liegt hinter Costa Rica

Dafür machen die StudiVZ-Designer beim nächsten Menü den möglichen
Neu-Mitgliedern das Leben wieder unnötig schwer: Aus einer sehr langen
Liste muss man sich das Heimatland seiner Hochschule herauspicken.

Obwohl die meisten StudiVZ-Mitglieder an deutschen Unis studieren
dürften, beginnt die Länderliste mit Australien und hangelt sich dann
schön alphabetisch von Belarus über Costa Rica durch das
Gesamtverzeichnis der Staaten dieser Welt, bis dann weiter unten
endlich Deutschland kommt. Bei StudiVZ immerhin vor der Dominikanischen
Republik und nicht erst irgendwo gut versteckt im Mittelfeld nach
Gambia, wie auf manchen anderen Seiten.


Senden? Lieber löschen!

Dieser Klassiker des Drauflos-Webdesigns kann Web-Nutzer so richtig
in Rage bringen. Unter den Kontaktformularen, mit denen man auf
Webseiten Nachrichten verschicken kann, fanden sich früher fast immer
zwei gleich große, im schlimmsten Fall direkt nebeneinander stehende
Buttons: Ein Knopf löscht alle zuvor in Formularfelder getippten
Angaben, der andere schickt die Nachricht ab.

Das Problem: Weil die Schalter meist so nah beieinander stehen, ganz
ähnlich aussehen und immer wieder anders angeordnet sind, verklickt man
sich schnell. Das ist umso frustrierender, wenn man gerade eine lange,
detaillierte Beschwerdenachricht in so ein Webformular auf der Seite
eines Unternehmens getippt hat. Wut weggeschrieben, falschen Knopf
angeklickt – Frust noch größer.

"Web-Folklore" nennt Andreas Butz, Professor für Medieninformatik an
der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität diese Gestaltung. Warum man
diese Löschknöpfe noch immer unter Formularen findet, erklärt er so:
"Das ist technisch einfach zu machen, und es gab wohl mal einen Fall,
wo das sinnvoll war."

Und so geistert dieser Kill-Knopf, den tatsächlich kaum jemand braucht, noch immer durchs Web.

Zum Beispiel auf den Webseiten des Deutschen Bundestags. Da steht
unterm Kontaktformular als erste Option zum Anklicken "Eingaben
löschen" und erst als zweite, rechts daneben "Weiter" (damit ist
"Absenden" gemeint). Warum sollte man überhaupt alles komplett löschen
wollen, was man in ein Kontaktformular getippt hat? Wer seine Nachricht
doch lieber nicht versenden will, schließt die Seite einfach. Und wer
vorm Absenden noch schnell ein, zwei Fehler korrigieren will, wird wohl
kaum alle Textfelder löschen und alles noch einmal komplett neu
eintippen.

Warum also alles löschen? Warum auch immer.


"Ihre Nachricht wurde übermittelt." Welche Nachricht?

Das klappt bei Ebay immerhin problemlos: Wer einem anderen Mitglied
über ein Webformular eine Nachricht schickt, bekommt eine Kopie per
E-Mail, wenn er das entsprechende Häkchen setzt. Das ist praktisch. Und
sehr praktisch wäre das bei den Webformularen auf den Seiten
irgendwelcher Unternehmen im Web, die man einmal kontaktiert (meist, um
sich über irgendetwas zu beschweren) und da meist kein Login, keinen
Postausgang oder sonst eine Archivierung der abgeschickten Nachricht
hat.

Warum kann man sich also nicht bei jedem Webformular die Nachricht
als Kopie selbst zusenden lassen? Daran hat offenbar einfach noch
niemand gedacht. Eine entsprechende Anfrage (per Webformular!)
bestätigt zum Beispiel der ADAC mit einer Bestätigungs-E-Mail ("Ihre
Nachricht wird geprüft und an die zuständige Abteilung
weitergeleitet").

Nur den eigentlichen Inhalt der Nachricht schickt der ADAC nicht mit
("Mich stört es ein wenig, dass ich eine Mail über Ihr Kontaktformular
verschicken muss, aber mir davon keine Kopie per Mail schicken kann.")

Dafür antwortete noch am selben Tag ein ADAC-Mitarbeiter: "Momentan"
werde dieses Feature nicht angeboten. Aber man arbeite an einer
Modernisierung des Auftritts. Vorbildlich.

Öder statt oder – so klingt iPhone-Deutsch

SMS-Abkürzungen wie LUAUKI für "Lust auf Kino" sind inzwischen
einigermaßen geläufig – und umstritten. Apple bereichert das
Kurzmitteilungs- und E-Mail-Vokabular um ein paar neue Formulierungen.
Das Wörterbuch der Autokorrektur schlägt beim Apple-Handy absurde
Verbesserungen völlig korrekter deutscher Wörter vor – egal, ob man
Webformulare ausfüllt, E-Mails schreibt, bloggt oder Kurzmitteilungen
sendet. Zum Beispiel:

  • "öder" statt "oder"
  • "Benutzem" statt "benutzen"
  • "Gerladst" statt "verpasst"

Ärgerlich daran ist, dass das Apple-Handy diese Verbesserungen
einfach einsetzt, wenn man den Vorschlag nicht wegklickt. Wer schnell
tippt und nicht so genau hinschaut, was das iPhone für Verbesserungen
in den Text schreibt, verschickt Sätze wie diesen: "Mist hab ich wohl
gerladst" – der Autor meint damit, dass er die Veröffentlichung einer
Software verpasst hat.

Für Apple ist "Gerladst" offenbar ein deutsches Wort – denn wer
"gerladst" in sein iPhone tippt, wird nicht korrigiert. Diesen
offensichtlichen Vokabelfehler kann man nicht korrigieren. Abschalten
lässt sich die iPhone-Zwangskorrektur auch nicht.

Den Gerladst-Bug habe ich Apple mit vielen anderen Vokabelfehlern
über ein Webformular gemailt. Was da noch drinstand, weiß ich nicht
mehr. Denn Apple schickt ebenso wenig wie der ADAC Kopien von
Fehlermeldungen an die Ausfüller seiner Webformulare. Die nüchterne
Standard-Antwort: "Vielen Dank für das Feedback. Wir können nicht
persönlich antworten."

Worauf eigentlich?

Schon wieder gerladst!

Versteckte Einschaltknöpfe, verwirrende Anleitungen, verrückte
Automaten – in der Reihe "Fehlfunktion" stellen wir in loser Folge
Technikärgernisse vor, die Millionen nerven. Schicken Sie uns Ihre
Anregungen mit einer kurzen Begründung. Am besten per

E-Mail.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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