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Umstrittene Kampagne: Wie die BBC den Wettbewerb verzerrt (Spiegel Online, 31.7.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Umstrittene Kampagne

Wie die BBC den Wettbewerb verzerrt

Großbritanniens öffentlich-rechtlicher Sender schenkt großen Nachrichtenseiten Videomaterial. Die Produktion ist gebührenfinanziert, was Nachrichtenagenturen ärgert: Sie müssen ihr Videomaterial verkaufen, weil ihnen keine Zwangsgebühr die Kosten deckt.

Spiegel Online, 31.7.2009

Es klingt so einleuchtend und altruistisch, was BBC-Generaldirektor Mark Byford erzählt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Großbritanniens schenkt vier großen Tageszeitungs-Web-Seiten des Landes Videomaterial, das aus Gebührengeldern finanziert wurde. Byford: “Das gehört zum Kern unserer Initiative, effektiver mit anderen Medienorganisationen als Partner für das Gemeinwohl ( “public service partner”) zu arbeiten.”

Im Klartext heißt das: Die BBC stellt vier Medienhäusern (“Daily Mail”, “Guardian”, “Daily Telegraph”, “Independent”) kostenlos aus Gebührengeldern finanzierte Videos zur Verfügung. Themen: britische Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Wissenschaft und Technik. Die Videos sollen auf den Web-Seiten der Tageszeitungen eingebunden werden. Bedingungen: Die Filme

  • dürfen nur in Großbritannien abrufbar sein.
  • dürfen nicht mit Werbung umgeben werden.
  • müssen in einem speziellen von der BBC gestellten Player mit BBC-Logo abgespielt werden.

Dienst am Gemeinwohl? Kritiker bewerten dieses Geschenk etwas anders. Der New Yorker Medienblogger und Journalistikprofessor Jeff Jarvis fragt zum Beispiel auf Twitter: “Wie kommt es, dass die BBC ihre Inhalte nur Massenmedien schenkt – sollten Bürger, die das finanzieren, nicht das Recht erhalten, die Inhalte zu nutzen?”

Jarvis spricht da mit einer konkreten Frage ein grundlegendes Problem der digitalen Expansion der BBC an: Der öffentlich-rechtliche Teil der Anstalt finanziert sich zu 75 Prozent (siehe Tabelle unten) aus einer Zwangsabgabe, die ähnlich wie die GEZ-Gebühr jährlich für Empfangsgeräte fällig wird. Umgerechnet knapp vier Milliarden Euro flossen so 2008 in die Kassen der BBC. Mit diesen Mitteln finanziert die BBC ihr zu Recht vielgelobtes Radio- und Fernsehangebot. Da die BBC-Angebote in Großbritannien werbefrei sind, scheint die Trennung zwischen privaten, werbefinanzierten Sendern und der BBC sauber.

Geschäftsjahr Einnahmen Zwangsgebühr Anteil Zwangsgebühr % Ausgaben Wachstum Einnahmen
2006 4,67 3,61 77,42 4,91
2007 4,87 3,78 77,63 5,07    4,30
2008 5,15 3,93 76,31 5,22     5,69
2009 5,37 4,07 75,86 5,24     4,32
umgerechnet in Mio. Euro, Umrechnungskurs 29.7.2009 / Quelle: Geschäftsberichte 2006-2009

Probleme entstehen, wenn die BBC ihren enormen Fundus an gebührenfinanziertem Material in andere Märkte drückt. Wie jetzt zum Beispiel in den britischen Online-Nachrichtenmarkt. International erledigt das die BBC-Kommerztochter BBC Worldwide. Der Medienkonzern (mehr als eine Milliarde Euro Jahresumsatz, siehe unten) vertreibt weltweit die in Großbritannien aus Zwangsgebühren finanzierten Inhalte, verlegt Bücher, Zeitschriften und ein internationales Online-Angebot der BBC, die sich vor allem in einem Punkt vom britischen unterscheiden: Man sieht hier Werbung.

Auf den britischen Web-Seiten hingegen nicht: In der Vergangenheit hatte sich die BBC mit massiven Vorwürfen konfrontiert gesehen, den britischen Online-Publishing-Markt mit seinem Marktgewicht zu erdrücken. Die Kritik der Wettbewerbsverzerrung durch Medienhäuser, aber auch die EU-Kommission hat die BBC vorsichtig gemacht. Schon seit längerem muss sie all ihre digitalen Aktivitäten einem Drei-Stufen-Test (“public service test”) unterziehen, der sicherstellen soll, dass das, was die BBC macht, auch dem Gemeinwohl dient – und der privaten Konkurrenz nicht schadet.

Doch selbst wenn die BBC wie jetzt Inhalte verschenkt, bewegt sie sich auf wackeligem Grund. Denn das von Jarvis angesprochene Problem ist das offensichtliche: Wenn vier Angebote kostenlos Filmmaterial erhalten, haben sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen anderen Nachrichtenseiten, Blogs, Lokalseiten und Web-Portalen, die ihre Videos kaufen oder selbst produzieren müssen.

Macht die BBC die Großen noch größer?

Das Vorgehen der BBC wirkt da wenig durchdacht. Laut “Guardian” erklärte der Sender in einer Mitteilung, man habe das Angebot ursprünglich allen “britischen Tageszeitungen mit mehr als einer Million unique usern” gemacht. Die BBC kündigt in ihrer Mitteilung an, in Zukunft stehe das Angebot allen “Nachrichtenseiten” offen. Man hat sich also nicht vier publizistisch einflussreiche Blätter einfach so ausgesucht, sondern auf den ersten Blick objektive Kriterien festgelegt, wer das vorproduzierte Kostenlos-Videomaterial erhalten darf und wer nicht. Nur: Was ist gut daran, wenn man den ohnehin großen Publikumsmagneten Material schenkt, mit dem sie noch attraktiver werden?

Dieses Problem der Wettbewerbsverzerrung könnte die BBC lösen, indem sie das gesamte Material unter einer freieren Lizenz der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. So attraktiv und wünschenswert das auf den ersten Blick ist – einige Probleme würden durch eine Global-Lizenz zur (möglicherweise werbefreien) Nutzung aller BBC-Stoffe größer werden. So gibt es zum Beispiel in Großbritannien durchaus Unternehmen, die versuchen, aktuelle Nachrichten-Videos an Web-Angebote zu verkaufen.

BBC verschenkt, wofür andere Geld verlangen

Die kommerzielle Agentur ITN zum Beispiel, die britische Fernsehsender und Web-Seiten (unter anderem die nun von der BBC beschenkten Angebote von “Daily Telegraph” und “Daily Mail”) mit Nachrichten-Videos versorgt und dafür bezahlt wird. ITN-Geschäftsführer John Hardie beschwert sich nun in einer öffentlichen Erklärung: “Die Pläne der BBC, Gratis-Inhalte anzubieten, gefährden die Nachfrage an Inhalten von unabhängigen Dienstleistern.”

Ähnlich klagt die Nachrichtenagentur Press Association (PA). Auch sie sieht eines ihrer Geschäftsmodelle gefährdet: “Öffentlich finanzierte Inhalte in einem Markt abzuladen verzerrt den Wettbewerb und untergräbt die Investitionen kommerzieller Anbieter in Videoproduktion.” Vorschlag der PA: Die BBC könnte andere Wege finden, um mit privaten Anbietern zusammenzuarbeiten – man könnte zum Beispiel die aus öffentlichen Geldern finanzierten Studios und Erkenntnisse aus der Zuschauerforschung privaten Anbietern zugänglich machen.

Jeder verschenkte Videoclip wirbt für die BBC

Ob solche indirekten Subventionen sinnvoll sind, muss man kritisch diskutieren. Allerdings klingen diese Vorschläge zumindest etwas durchdachter als die Verschenkaktion der BBC. Denn kostenlos sind die BBC-Inhalte natürlich nicht. Die Produktion wird aus Zwangsgeldern bezahlt, bei denen die Gebührenzahler nicht entscheiden können, wofür ihre Beiträge ausgegeben werden. Dieses nicht-marktwirtschaftliche Modell hat seine Berechtigung, wenn es darum geht, das klassische öffentlich-rechtliche Angebot an Information zu gewährleisten. Mit jedem verschenkten Film weitet die BBC allerdings das Zwangsmodell auf andere Märkte aus, wo bisher das Marktprinzip galt.

Auch in einem weiteren Punkt ist die BBC-Formulierung, die Inhalte würden “geteilt”, etwas irreführend altruistisch: Da die Nutzer des BBC-Materials verpflichtet sind, die Videos in der BBC-Software iPlayer abzuspielen und BBC-Logos einzublenden, ist jedes “verschenkte” Video auch Werbung für die BBC und das BBC-Angebot im Web. Laut dem Statistikdienstleister Hitwise ist die Website des BBC-iPlayer in Großbritannien inzwischen beliebter als Myspace. Laut Hitwise-Rangliste waren in den ersten drei Juli-Wochen vier BBC-Web-Angebote unter den 20 beliebtesten Internet-Seiten in Großbritannien.



Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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