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Umzug nach Hongkong Google überlässt Peking das Zensieren (Spiegel Online, 23.3.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Umzug nach Hongkong

Google überlässt Peking das Zensieren

Es klingt wie ein Befreiungsschlag, doch Googles Umzug nach Hongkong bringt den chinesischen Nutzern nicht die Internet-Glasnost. Anstelle des Web-Konzerns übernimmt nun die staatliche Filtersoftware direkt den Zensurjob. Viele Inhalte bleiben gesperrt.

Spiegel Online, 23.3.2010

Das Manöver mutet an wie ein Befreiungsschlag im Kampf gegen die allmächtige Web-Zensur in China: Google leitet seit Montag Suchanfragen aus der Volksrepublik auf nicht-zensierte Server in Hongkong um. Das klingt auf den ersten Blick nach mehr Inhalten für Chinas Nutzer, tatsächlich aber dürfte sich für sie wenig ändern.

Ein Beispiel: Wer am Dienstag in Shanghai bei google.hk in Mandarin die Suchanfrage nach dem “Tiananmen-Massaker” eintippt, erhält keine Suchergebnisse, sondern eine Fehlermeldung, berichtet das englischsprachige Lokalblog ” Shanghaiist” .

Auch der “Guardian” meldet, dass Suchanfragen aus dem übrigen China auf google.com.hk bei Themen wie “Tiananmen Studentenbewegung” und “89 Studentenbewegung” zur Fehlermeldung führen. “Die Verbindung wurde zurückgesetzt”, heißt es dann. Als Google noch seine zensierte China-Suchmaschine Google.cn betrieb, hätten die nach “Tiananmen” Suchenden wohl eine sorgfältig um die dem Regime missliebigen Treffer bereinigte Auswahl erhalten.

Googles Umzug der Suchmaschine nach Hongkong zeigt daher die Unterschiede in Chinas Zensursystem. Im Inland unterwerfen sich Internetanbieter strengen Regeln der Selbstzensur. Hongkong ist da eine Ausnahme. Hier gibt es mehr Redefreiheit, weshalb der Internetverkehr aus der Volksrepublik nach Hongkong und umgekehrt vom chinesischen Filtersystem behandelt wird wie Auslandsdatenströme.

Selbstzensur für China, Filter für die Welt

Die unterschiedlichen Zensuransätze für Web-Inhalte in China beschreibt ein Jahresbericht der Open Net Initiative, ein Zusammenschluss mehrerer Spitzenuniversitäten, der sich für ein freies Netz einsetzt. Die Kontrolle der Netzinhalte, der Googles China-Suchmaschine bislang unterworfen war, erklären die Forscher so: “Die Kontrolle über Kommentare und Inhalte ist vielschichtig und wird durch strafrechtliche und finanzielle Sanktionen, Verpflichtungen zur Registrierung und zum Erwerb von Lizenzen und zum Befolgen von Selbstzensur-Leitlinien erreicht.” Diesem Kontrollzwang unterliegen nichtstaatliche Akteure – Portale, Internetanbieter, Nutzer.

Laut Open Net sind alle Mitmach-Portale in China verantwortlich für die von ihren Nutzern veröffentlichten Inhalte: Videoseiten müssen verhindern, dass Nutzer “Filme in Bezug zu aktuellen Ereignissen” hochladen, sollten sie dafür keine Lizenz haben. Laut den Forschern prüfen E-Mail-Anbieter und Chat-Portale die Kommunikation ihrer Mitglieder auf kritische Stichworte und Äußerungen.

Weil Inhalte auf Servern im Ausland nicht so selektiv gesiebt werden können, nutzt China hier eine ausgefeilte Filtertechnik. Anfragen von Rechnern im Inland nach außen und die zurückfließenden Daten werden analysiert und ausgesiebt. China nutzt dabei eine mehrstufigen Filterarchitektur. Die rabiateste Methode ist die Sperrung von IP-Adressen.

Experte nennt Chinas Internetfilter “einmalig”

Die als Buchstabenfolge im Browser eingetippten Web-Adressen (URL) müssen in eine bestimmte Zahlenfolge, die sogenannte IP-Adresse, umgewandelt werden, um über das Internet Inhalte von den entsprechenden Angeboten zu empfangen. Welche IP-Adressen aktuell zu welchen URLs gehören, speichern sogenannte Name-Server. Die IP-Adressverzeichnisse sind vergleichbar mit einem Telefonbuch.

Mit dieser Methode blockiert Peking unerwünschte Seiten wie Facebook und YouTube in China komplett. Sie ist besonders rabiat, weil hinter einer IP-Adresse mehrere tausend URLs liegen können. In solchen Fällen führt die IP-Adresse zu dem Server eines großen Anbieters von Web-Speicherplatz. Dieser verteilt den gesamten Verkehr selbst auf die Angebote, die er bereithält. Wer solch eine Massen-IP-Adresse sperrt, nimmt einen hohen Kollateralschaden in Kauf – es werden womöglich auch viele unbeteiligte Angebote gesperrt.

Der Informatiker Steven Murdoch, der an der Cambridge University über Filtertechnologie forscht, erläutert im “Guardian”, dass China auch noch komplexere Filtertechnik nutzt. So sortiert Chinas Netzkontrolle laut Murdoch einige Angebote auch auf Basis der URL heraus. Das ist deutlich schwieriger, als Seiten auf der IP-Adress-Ebene zu sperren. Dafür muss die Filtersoftware den Datenverkehr der Nutzer tiefgehend analysieren.

Das tut China bei Abrufen von Seiten außerhalb des heimischen Web aber ohnehin. Dass chinesische Internetnutzer auf Google.hk bestimmte Suchworte nicht abfragen können, liegt daran, dass die Filtertechnik Datenpakte mit bestimmten Begriffen einfach nicht durchlässt. Murdoch bewertet diese Technik im “Guardian” als “nahezu einmalig”. Chinas Netzzensur könne so sehr detailliert anhand von Stichwortlisten mit kritischen Begriffen unerwünschte Inhalte aus dem Ausland fernhalten, ohne den Internetzugang komplett zu blockieren.

Je besser Chinas Filtertechnik, desto sicherer ist Google.hk

Der Google-Umzug nach Hongkong führt also keineswegs zu mehr Freiheit. Googles Selbstzensur wird nur durch die chinesische Staatszensur ersetzt. Die unmittelbaren Vorteile für Nutzer dürften daher überschaubar sein: Selbst wenn bestimmte Suchanfragen nicht gefiltert werden und blockierte Suchergebnisse auftauchen, die man auf Google.cn nicht zu sehen bekam: Der Zugriff auf diese Seiten dürfte für alle Surfer in der Volksrepublik blockiert sein.

Der Umzug nach Hongkong hat für Google dennoch einen entscheidenden Vorteil: Der Suchmaschinenbetreiber macht sich die Hände nicht mehr selbst schmutzig. Fürs Filtern sind jetzt die chinesischen Behörden direkt zuständig. Die Nutzer der Suchmaschine im übrigen China spüren nun auch deutlicher, dass zensiert wird. Es ist etwas anderes, wenn Suchanfragen versanden, als wenn man eine Auswahl der regimefreundlichsten Treffer erhält.

Diese Eskalation führt zu einer paradoxen Situation: Google.com.hk könnte von der Volksrepublik aus erreichbar bleiben, wenn die chinesische Filtertechnik gut genug im Sinne der Regierung arbeitet. Die Zugänglichkeit von Googles China-Suchmaschine ist also von der Schlagkraft der chinesischen Netzzensur abhängig.



Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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