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Unbegrenzte Nutzung: Daten-Debakel bringt Facebook in die Defensive (Spiegel Online, 17.2.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Unbegrenzte Nutzung

Daten-Debakel bringt Facebook in die Defensive

Bilder, Nachrichten, Statusmeldungen, einfach alle Daten: Facebook sichert sich klammheimlich per AGB-Änderung umfassende Rechte an den Inhalten seiner Nutzer. Die Aktion kratzt am Ruf der Community – und Juristen bezweifeln, dass die Regeln in Deutschland Bestand haben.

Spiegel Online, 17.2.2009

207 Zeichen Rechtstext hat Facebook Anfang Februar aus seinen Nutzungsbedingungen gestrichen. Diese wenigen Zeilen entfachen nun einen solchen Sturm der Entrüstung, dass Unternehmenschef Mark Zuckberg höchstpersönlich im Firmenblog antwortet.


Die Aufregung und Zuckerbergs Antwort versteht nur, wer den Text genau gelesen hat. Facebook lässt sich von seinen Mitgliedern per AGB eine recht weitreichende Lizenz zur Nutzung aller Informationen, Fotos, Kommentare und Nachrichten geben, die der Nutzer auf der Plattform hinterlässt.

Andere Soziale Netzwerke lassen sich deutlich weniger Rechte einräumen ( AGB-Vergleich von sechs Anbietern auf SPIEGEL ONLINE).

Facebook veröffentlicht den Abschnitt auch auf seinen deutschen Seiten nur in englischer Sprache – daher hier eine Übersetzung:

“Sie übertragen Facebook hiermit eine unabänderliche, unbefristete, nicht exklusive, übertragbare, hiermit vollständig bezahlte, weltweit gültige Lizenz (mit dem Recht sie weiter zu lizenzieren), alle Nutzer-Inhalte zu verwenden, kopieren, veröffentlichen, streamen, speichern, öffentlich aufzuführen, zeigen, übertragen, scannen, neu zu formatieren, verändern, redigieren, übersetzen, auszugsweise zu nutzen, adaptieren und zu verbreiten, die Sie bei Facebook einstellen (…).”

Diese Lizenz gilt fast uneingeschränkt, nämlich für folgende Nutzungsfälle (auch hier gibt es keine offizielle Übersetzung):

“… für jede Art der Verwendung, eingeschlossen kommerzieller und werblicher, innerhalb des Facebook-Dienstes selbst oder in Verbindung damit oder als Werbung dafür.”

Bis Anfang Februar schränkte ein Nachtrag die Nutzung ein – doch dieser Passus wurde gelöscht (erneut aus dem Englischen übertragen):

“Sie können Ihre Nutzer-Inhalte jederzeit von der Seite entfernen. Wenn Sie das tun, erlischt auch automatisch die oben eingeräumte Lizenz, allerdings stimmen Sie zu, dass Facebook archivierte Kopien Ihrer Nutzer-Inhalte aufbewahren darf.”

Die ersatzlose Streichung dieses Absatzes bedeutet nichts anderes als eine Endlos-Lizenz für Facebook. Es darf mit Bildern, Kommentaren, Foreneinträgen und allem anderen, was der Nutzer in der Community hinterlässt, werben. Oder dieses Material speichern und auswerten. Oder damit tun, was immer es will.

Gründer Zuckerberg verteidigt im Firmenblog die Änderungen so: Wenn ein Facebook-Mitglied einem anderen eine Nachricht schicke, entstünden zwei Kopien davon. “Eine in der Gesendet-Box des Senders, eine im Posteingang des Empfängers.” Wenn nun der Absender Facebook verlasse, solle die Nachricht bei seinem Freund im Posteingang bleiben – wie bei E-Mails. Zuckerberg: “Wir haben unsere Bedingungen unter anderem aktualisiert, um das klarer zu machen.” Er verspricht den Nutzern, man werde nie Daten “in einer Art teilen, die Sie nicht wünschen”. Das Vertrauen in Facebook “als sicheren Ort” sei die wichtigste Voraussetzung dafür, dass die Community funktioniere.

Einmal losgeschickt, hat man keine Kontrolle mehr

Doch was Zuckerberg im Endeffekt sagt, ist: Wenn man seine Daten einmal losgeschickt hat, dann sind sie eben da draußen. Man kann sie nicht zurückzuholen.

Damit müsse man sich eben abfinden, in einer “offenen Online-Welt”, schreibt der Unternehmensgründer: “Es gibt heute kein System, dass es mir erlaubt, meine E-Mail-Adresse mit Ihnen zu teilen und mir gleichzeitig die Kontrolle darüber überlässt, wem Sie diese E-Mail-Adresse dann mitteilen.”

Früher nannte man dieses System schlicht Höflichkeit.

Eine wesentliche Einschränkung der neuen Rechte erläutert ein Facebook-Sprecher dem US-Fachdienst ” The Industry Standard” so: “Die eingeräumte Lizenz ist an die vom Nutzer eingestellten Regeln zur Privatsphäre gebunden. Alle Einschränkungen, die man dort macht, respektiert Facebook.” Im Klartext: Wenn man in Facebook eingestellt hat, das nur bestimmte Freunde die eigenen Fotos sehen dürfen, dann wird Facebook sie auch niemandem sonst zeigen, selbst wenn man sich abgemeldet hat.

Es ist offen, ob dies ausreichen wird. Der Software-Hersteller Adobe, der sich für sein kostenloses Web-Photoshop eine ähnlich weitreichende Lizenz einräumen lassen wollte, musste diese Passagen nach dem Protest der Nutzer wieder streichen. Erstaunlich, dass angesichts solcher Präzedenzfälle niemand bei Facebook den Aufschrei der Nutzer geahnt hat.

Aber auch juristisch wirkt das Vorgehen von Facebook fragwürdig, zumindest im Hinblick darauf, dass dieses Unternehmen seinen Wert mit mehr als drei Milliarden US-Dollar beziffert. Diese weltweit agierende Firma hat es bis heute, auch Monate nach der groß angekündigten für Deutschland lokalisierten Version seiner Seite versäumt, die Geschäftsbedingungen für Nutzer hierzulande vollständig zu übersetzten.

Geschäftsbedingungen in Deutschland ungültig?

Eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE nach der deutschen Version beantwortete die Pressestelle mit einem Verweis auf die US-Seite und dem Hinweis, es gebe “eine teilweise übersetzte Version der Nutzungsbedingungen”.

Diese krude Mischung aus englischsprachigem Original und eingeschobenen Übersetzungen wirkt unfreiwillig komisch (“If you want to change the information that Applications/Connect Sites can access, you may modify your Privatsphäre-Einstellungen.”), könnte aber im Streitfall durchaus ernsthafte Konsequenzen für das Unternehmen haben. Man stelle sich einmal vor, ein deutscher Nutzer, der sich bei Facebook abgemeldet hat, entdeckt nun eigene Kommentare oder Nachrichten noch auf den Seiten des Netzwerks. Hätte ein deutsches Gericht darüber zu entscheiden, könnte Facebook sich womöglich nicht auf die Geschäftsbedingungen berufen.

Der Hamburger Anwalt Martin Bahr, Experte für das Recht der Neuen Medien, sagt SPIEGEL ONLINE: “Facebook muss die AGB in deutscher Sprache zur Verfügung stellen, ohne Wenn und Aber. Das ist gesetzlich verpflichtend, sonst sind die AGB nicht wirksam einbezogen.”

Ähnlich schätzt auch Christian Solmecke, Kölner Anwalt für IT-Recht, die Gültigkeit der Facebook-AGB ein: “Die gesamte Facebook-Seite richtet sich an den deutschen Markt und an den deutschen Endnutzer. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Deutsche so gut Englisch spricht, dass ihm auch die Übersetzung komplexer juristischer Sachverhalte gelingt.”

Sollten deutsche Richter das ähnlich sehen, gelten im Streitfall nicht Facebooks zum eigenen Nutzen sehr großzügig formulierte Geschäftsbedingungen, sondern das allgemeine deutsche Zivilrecht.

Es scheint, als hätte Facebook in den vergangenen Wochen alle Arbeitskraft investiert, um für den US-Markt extrem ausgeklügelte Nutzungsbedingungen zu formulieren. Dass diese international womöglich ungültig sind, dass man seine Mitglieder anders als mit einer klammheimlichen AGB-Abänderung über die Veränderungen informieren muss – für solche Gedanken war offensichtlich keine Zeit. Und das in einem Unternehmen, das laut seinem Gründer vom Vertrauen der Mitglieder lebt und derzeit die größten Wachstumsraten außerhalb der USA verzeichnet.

Aktualisierung: Dienstagnacht hat Facebook die AGB-Änderung zurückgezogen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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