Untersuchungshaft: Frustrierter Admin kidnappt San Franciscos Intranet (Spiegel Online, 16.7.2008)
Untersuchungshaft
Frustrierter Admin kidnappt San Franciscos Intranet
Ein EDV-Fachmann aus San Francisco ist seit Sonntag in Haft. Der Grund: Der Administrator der Stadtverwaltung kam seiner Kündigung zuvor, indem er ein Master-Passwort änderte. Nun kann keiner mehr das Intranet der Stadtverwaltung pflegen.
Spiegel Online, 16.7.2008
Er hasst dämliche Computeranwender, er bestraft sie für jede
idiotische Frage mit willkürlichen Dateilöschungen, Internet-Sperren –
und manchmal auch mit Stromstößen. Der "Systemadministrator aus der
Hölle", im Original der "Bastard Operator from Hell"
(BOFH) wütet seit 16 Jahren im Internet. Nun übertrumpft die
Wirklichkeit die absurden BOFH-Kurzgeschichten des neuseeländischen
Administrators Simon Travaglia.
Keine
der BOFH-Websatiren ist so aberwitzig wie das Gerichtsverfahren, das
gerade in San Francisco gegen einen Ex-Admin der Stadtverwaltung läuft:
Der 43-jährige Terry Childs sitzt seit Sonntag im Gefängnis, weil er
die Passwörter zur Konfiguration des städtischen Intranets geändert hat
und nicht herausrückt. "Er ist eine Gefahr für die öffentliche
Sicherheit", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft dem
US-Magazin "Wired."
Childs Anwalt Mark Jacobs sagte nach der Verhandlung über die
Kaution seines Mandanten: "Er liebt Kätzchen. Er hat niemanden getötet.
Bei Mördern wird die Kaution in der Regel auf eine Million Dollar
festgelegt." Bei Childs setzte das Gericht am Dienstag fünf Millionen
Dollar fest.
Die eigenen Vorgesetzten per Software überwacht
Derzeit läuft der Datenverkehr über das sogenannte FiberWAN der
Stadt problemlos. Das Problem: Die Techniker können das System, das
sämtliche Server und Clients im Verwaltungsnetz verbindet, nicht
konfigurieren – ihre Passwörter gelten nicht mehr. Dass Childs das
Netzwerk gekidnappt hat, stellten die Behörden am Sonntag fest.
Außerdem entdeckten sie ein Software-Schnüffelsystem, mit dem Childs
überwachte, was Vorgesetzte über ihn schrieben.
Der Admin wurde am Sonntag verhaftet. Er gab den Polizisten ein
Passwort für die Netzwerkverwaltung. Das funktionierte aber nicht –
seitdem weigert Childs sich, die korrekten Zugangsdaten herauszugeben.
Derzeit versuchen Fachleute, den Zugangscode zu knacken.
Warum Childs das Netzwerk gekapert hat? "Genervt" sei er gewesen,
"verärgert", "schlecht gelaunt", zitieren US-Medien Mitarbeiter der
Stadtverwaltung. Childs arbeitete fünf Jahre lang für die
Stadtverwaltung, verdiente laut "San Francisco Chronicle" im vorigen
Jahr knapp 150.000 Dollar – davon fast 23.000 als Bonus für ständige
Rufbereitschaft.
Nun aber hätten Vorgesetzte ihm kündigen wollen, zitiert die Zeitung Childs Mitarbeiter, wegen schlechter Leistungen.
"Die Webseite ist offline"
Passwörter verändern und Dateien Ahnungsloser aus Jobfrust löschen –
diese Möglichkeiten der Rache spielen Satireseiten im Web seit Jahren
durch. Latent frustrierte EDVler lieben die Seiten – den Kurzfilm "The
Website is down" sahen binnen einer Woche mehr als eine Millionen
Menschen, berichten die Macher. Inhalt des Kultclips: Der
Computer-Administrator kämpft sich durchs Ballerspiel "Halo", ein Anruf
aus der Vertriebsabteilung reißt ihn aus der Schlacht, ein Kollege
nölt: "Die Webseite ist offline." Der Admin ist abgelenkt, ein Schuss,
seine Spielfigur stirbt: "Verdammt!"
{youtube}BcQ7RkyBoBc{/youtube}
Er schlägt sich dann so lange mit den hirnrissigen Aufträgen und
Anfragen ahnungsloser Chefs und Kollegen herum, bis die Seite
tatsächlich offline ist. Auf anderen IT-Seiten wählen gefrustete EDVler
die hässlichsten Büros im Silicon Valley, die schrecklichsten
Einstiegsjobs bei Yahoo, Google & Co. und lachen über die
Vollidiotenchefs in Satire-Clips. Vorbild: Dilbert-Comics und das wahre
Leben.
Diese Seiten sind so beliebt, weil sich die gefrusteten EDVler hier
abreagieren können, und mit ein paar Gleichgesinnten über dieselben
Dinge lachen können, die im Büro wohl kaum jemand witzig findet. So
haben schon die Kurzgeschichten über den "Systemadministrator aus der
Hölle" funktioniert, die Simon Travaglia ab 1992 in einer
Usenet-Diskussionsgruppe für Administratoren veröffentlichte. Die
ersten Geschichten spielen an einer Universität – da standen damals die
größten Rechnernetze. Immer wieder rufen Nutzer den Admin an und bitten
um mehr Speicherplatz.
Eine typische Passage:
"Ich brauche mehr Speicherplatz, bitte."
"Klar, eine Sekunde."
"Und wie viel habe ich nun?"
"Vier Megabyte"
"Wow, insgesamt acht! Danke!"
"Nein, insgesamt vier."
"Moment, ich hatte doch vorher schon vier Megabyte verbraucht. Warum sind die jetzt frei?"
Ich sage nichts. Er wird es bald begreifen.
"Arrrrgh"!
Vielleicht hätten Childs ein paar solcher Scherze geholfen, sich
lachend abzureagieren, statt die Stadtverwaltung aus dem eigenen
Netzwerk zu sperren.
Childs nächster Gerichtstermin ist am Donnerstag.