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Urheberrecht: YouTube testet den Super-Filter (Spiegel Online, 16.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Urheberrecht

YouTube testet den Super-Filter

Googles Video-Tochter bittet Medienkonzerne um Hilfe: Sie sollen YouTube verraten, welche Clips ihnen gehören, ein Super-Filter blockiert die Daten dann auf Wunsch. Auch wenn der Filter nicht perfekt arbeitet, könnte er YouTube vor saftigen Copyright-Strafen schützen.

Spiegel Online, 16.10.2007

Eigentlich muss YouTube gar nicht so viel tun, um Rechteinhaber zu schützen. So kündigt Googles Video-Tochter die Testphase einer neuen Filtertechnik an. YouTube-Manager David King schreibt im Firmenblog: "Die Video-Identifizierung geht darüber hinaus, wozu wir rechtlich verpflichtet sind."  Trotzdem haben Google-Programmierer die seit Monaten versprochene Filtersoftware für die Video-Tochter des Konzern entwickelt. Ein Anreiz dürfte die anhängige Klage (PDF-Dokument der Klageschrift) des US-Medienkonzerns Viacom gegen YouTube sein: Mehr als eine Milliarde Dollar Schadensersatz fordert die Firma, weil gut 160.000 Videoclips von Viacom-Fernsehshows ohne Erlaubnis auf YouTube zu sehen waren.

Dass so etwas wieder passiert, soll die neue Filtertechnik verhindern. YouTube-Manager King: "Sie wird Urheberrechtsinhabern helfen, ihre Werke auf YouTube auszumachen und zu entscheiden, was mit ihnen geschehen soll." Derzeit testen laut Google neun US-Medienkonzerne, darunter Disney und Time Warner, das System.

YouTube gibt den unbeteiligten Dritten

So richtig glücklich dürfte der YouTube-Filter sie aber nicht machen. Denn YouTube nimmt den Rechteinhabern die Arbeit nicht völlig ab. Das Videoportal betont seine Rolle als unbeteiligter Dritter, der Privatleuten und Medienkonzernen Werkzeuge zur Verfügung stellt, ohne selbst Inhalte zu produzieren.

In der YouTube-Eigenwerbung heißt es: "Ganz gleich, wie präzise das Werkzeug arbeiten wird: Es ist wichtig zu bedenken, dass kein System ohne Hilfe der Rechteinhaber legale von illegalen Inhalten unterscheiden kann."

Die Technik soll so funktionieren:

  • YouTube baut eine Datenbank mit geschützten Videoinhalten auf. Die können Medienkonzerne selbst speisen. Sprich: Sie schicken ihre schützenswerten Inhalte zur Analyse an YouTube. Andere Möglichkeit: Sie beobachten selbst, was Nutzer bei YouTube hochladen und melden dem Portal alle Clips, die ihre Rechte verletzten – diese Daten gehen dann auch in die Datenbank ein.
  • Aus dieser Datenbank destilliert YouTube eine Art Fingerabdruck für jede beanstandete Datei. Mit diesen Daten gleicht der Filter alle neu bei YouTube hochgeladenen Videos ab.
  • Stimmt ein neu hochgeladenes Video mit einem bereits beanstandeten überein, kann YouTube den Upload sperren. YouTube wird aber auch, falls die Rechteinhaber das wünschen, das Video einstellen, mit Werbeeinblendungen und Verweisen auf die Quelle belegen und dem Rechteinhaber einen Teil der Werbeeinnahmen zukommen lassen.

 So weit die Theorie. Google verkauft das Werkzeug als einen Kompromiss, der zwischen Rechteinhabern und Nutzern schlichte. Die ersten Experteneinschätzungen fallen allerdings nüchterner aus. Patrick Ross, Geschäftsführer der US-Lobbygruppe "Copyright Alliance" sagte dem "Wall Street Journal", dass sei "ein erster Schritt".

Viacom hat jedenfalls seine Eine-Milliarde-Dollar-Klage gegen YouTube noch nicht zurückgezogen oder etwas an der Begründung geändert, wie das "Wall Street Journal" recherchiert hat. Die Klage argumentiert, YouTube tue aus Eigennutz nicht genug gegen Urheberrechtsverstöße.

Es ist fraglich, ob der neue Filter diese Einschätzung revidiert. Der Dowjones-Wirtschaftsdienst Marketwatch spricht der Technik vorab schon mal die wesentliche Eigenschaft ab, die Rechteinhaber verlangen: "Trotz der Versprechen kann das Werkzeug nicht verhindern, dass geschützte Inhalte erstmalig hochgeladen werden."

Das bestreitet YouTube auch nicht. Das Portal sieht sich aber nicht dazu verpflichtet, jeden Blockierwunsch der Rechteinhaber zu erfüllen. YouTube will ihnen nur brauchbare Werkzeuge an die Hand geben, um die Arbeit selbst zu erledigen.

Fingerabdruck-Filter arbeiten nicht perfekt

Einen perfekten Schutz bieten Filter nach der Fingerabdruck-Methode Rechteinhabern aber nicht. Für die Identifizierung von urheberrechtlich geschützten Audiodaten nutzt YouTube seit Anfang des Jahres ein ähnliches System namens Audible Magic. Nutzer haben den Filter immer wieder gefoppt. Im Juni zum Beispiel stellte der Fachdienst Newteevee Audible Magic auf die Probe, lud immer wieder denselben – urheberrechtlich geschützten – Videoclip bei verschiedenen Diensten hoch, die Audible Magic einsetzen. Fazit der Versuche damals: "Die Technik hat nicht funktioniert."

Aber YouTube braucht auch gar nicht den perfekten Filter. Das Unternehmen muss Rechteinhabern lediglich Werkzeuge und Wege zur Verfügung stellen, die ein Gericht von den Bemühungen YouTubes überzeugen. Denn haftbar können die Rechteinhaber YouTube für die von Nutzern begangenen Urheberrechtsverstöße nur machen, wenn es Beweise gibt, dass YouTube den Urheberrechtsschutz wissentlich vernachlässigt, um von den Gesetzesbrüchen der Mitglieder zu profitieren.

Technik muss vor allem Gerichte überzeugen

Genau so begründet Viacom seine Eine-Milliarde-Dollar-Klage. Die Klageschrift argumentiert, dass YouTube "proaktiv" pornografische Inhalte suche und entferne, aber "sich weigert, dasselbe für die Videos zu tun, die offensichtlich die Rechte der Kläger verletzten." Außerdem argumentiert Viacom, dass YouTube energisch mit technischen und juristischen Mitteln gegen Programme vorgehe, die das Kopieren von YouTube-Videos zu anderen Plattformen ermöglichen.

Fazit der Klageschrift: Bei anderen Urheberrechtsverstößen gegen die Rechte Dritter handele YouTube ganz anders: "YouTube hat bislang keine brauchbaren Maßnahmen ergriffen, um die massiven Urheberrechtsverstöße, von denen YouTube direkt profitiert, zu senken oder zu eliminieren."

Jetzt hat Google einen YouTube-Filter programmiert. Diese Software muss gar nicht alle tobenden Studiobosse besänftigen. Es genügt, wenn das Programm einigermaßen funktioniert. Denn überzeugen muss es vor allem die Gerichte.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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