US-Wahl auf Youtube: Hier Kermit, hallo Hillary! (Spiegel Online, 22.6.2007)
US-Wahl auf Youtube
Hier Kermit, hallo Hillary!
Basisdemokratie 2.0: YouTube lässt einfache US-Bürger Fragen an Präsidentschaftsanwärter stellen, die dann auf CNN antworten sollen. Nur leider spielen sich bei der Aktion Ufologen und Halbirre in den Vordergrund.
Spiegel Online, 22.6.2007
Joseph Irvine meint es ernst: Er trägt ein Hemd, hellblau, seriös, aber etwas zu eng, dazu eine Krawatte mit der US-Flagge. Der 18-jährige Schüler aus Arizona steht in der Küche, hinter ihm liegen Einkaufstaschen, vor ihm steht die Videokamera. Er weist die demokratischen Präsidentschafts-Kandidaten darauf hin, dass die Nasa im Jahr 16 Milliarden Dollar ausgibt, fast so viel, wie ein Ende der Hungerkatastrophen auf der Welt kosten würde. Er fragt die Kandidaten in seinem YouTube-Video: "Was würden Sie tun?" Gegen den Hunger und die Nasa-Geldverschwendung.
Solche Fragen wünschen sich YouTube und CNN wohl bei ihrem Projekt der "CNN-YouTube-Debates", einer Art Basisdemokratie 2.0: Seit zehn Tagen können YouTube-Nutzer in einem speziellen Forum ihre Frage-Videos einstellen. Am 23. Juli sollen die Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur (unter anderem Barack Obama und Hillary Clinton) der Demokraten dann ausgewählte Fragen beantworten – von CNN live übertragen. 20 bis 30 Fragen wollen die Macher aus den YouTube-Beiträgen auswählen, rechnen mit Tausenden Einsendungen. Das berichtete vor zehn Tagen die US-Presse bei Projektstart. Die Hoffnungen vorab waren groß. Michael Bassik, demokratischer Wahlkampfberater: "Der Einfluss von YouTube kann kaum überschätzt werden."
Auf YouTube selbst sieht das derzeit anders aus. Gerade mal 163 Videobotschaften sind bislang in dem Forum zusammengekommen. Geht’s in diesem Tempo weiter, werden die CNN-Redakteure nicht zwischen Tausenden, sondern zwischen ein paar hundert Fragen wählen können.
Angesichts der Zuschauerzahlen scheint das YouTube-Publikum auch nicht unbedingt an den großen, ernsten Fragen der Joseph Irvines interessiert zu sein. Irvine hatte in drei Tagen etwa 160 Zuschauer. Viel beliebter sind die Gaga-Fragen von Ufologen – die locken in sieben Tagen schon mal 5200 Zuschauer.
SPIEGEL ONLINE zeigt die schrägsten Beiträge zur Präsidentschafts-Debatte:
Eine ernste Frage über Außerirdische
"Lustig, aber ernst", nennt YouTube-Mitglied DickGhostmoon seine Frage. Der Brite (sagt er, sein Akzent klingt auch so) mit der merkwürdigen beigen Mütze verlangt eine Anhörung des Ufologen Steven Greer vor dem US-Kongress.
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Greer ist treibende Kraft hinter dem so genannten "Disclosure Project", einer Ufo-Forscher-Gruppe, die so für ihre Sache wirbt: "Wir haben mehr als 400 Regierungs-, Militär und Geheimdienst-Mitglieder, die über ihre direkten Erfahrungen mit UFOs, Außerirdischen und außerirdischer Technologie berichten."
Diesen Mann soll der US-Kongress anhören, verlangt Ghostmoon und fragt die Präsidentschaftskandidaten: "Werden Sie das zulassen?"
Ob das ironisch gemeint ist? DickGhostmoon speichert jedenfalls fleißig Aussagen von Ufo-Zeugen in seiner YouTube-Videosammlung. Passenderweise hat er sein Frage-Video auch gleich "alien autopsy" betitelt. In den offiziellen CNN-YouTube-Kanal wurde es dennoch aufgenommen.
Schwule Übersetzer im Regierungsdienst?
Ein anrührend dilletantisch animierter George-W.-Bush-Kopf klappt den Mund auf und zu und skizziert dieses Szenario: Eine sogenannte schmutzige Bombe ist in einer US-Metropole explodiert, viele Menschen sind umgekommen. Nun wird in einer fremden Sprache eine Botschaft abgefangen, die den Standort einer zweiten Bombe verraten soll. Frage: "Um die Leben von Millionen unschuldiger Menschen zu retten – würden Sie zulassen, dass ein Homosexueller diese Botschaft übersetzt?
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Das könnte ernst gemeint sein, ist es aber nicht. Denn hinter dem YouTube-Profil "headzup" verbirgt sich eine kleine US-Firma, die täglich Handy-Videos mit Mini-Sketchen produziert. Trotzdem steht das Video im offiziellen Debatten-Forum von CNN und YouTube. Es ist einer der beliebtesten Clips dort – mit mehr als 6000 Zuschauern in sechs Tagen.
The medium is the message: Willkommen in Florida!
Seine Sonnenbrille ist riesig und blau-verspiegelt, sein T-Shirt wirbt für Zitronenlimonade ("Make 7UP Yours"), und die Baseball-Kappe trägt YouTube-Mitglied TheMightyThor natürlich mit dem Schild nach hinten. Er entspricht vielen Klischees, die Anti-Amerikaner gern pflegen. Abgesehen von der Selbstironie: 81 Schnitte und 76 Anläufe habe er für seine drei Fragen an die Präsidentschaftskandidatur-Anwärter der Demokraten gebraucht, gibt TheMightyThor zu und dokumentiert die Fehlschläge natürlich in einem eigenen Video.
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21.000 Menschen haben es gesehen. Für die ersten Fragen von TheMightyThor zu Versicherungsprämien, dem Bildungssystem und Terrorismus interessierten sich dagegen nur ein paar hundert Zuschauer. Egal, ob dieser Mann wirklich in Cape Canaveral in Florida lebt oder den Südstaaten-Sonnenbrillen-Träger nur spielt – er ist sehr unterhaltsam. Und darum geht es bei YouTube offensichtlich in erster Linie.
Jetzt aber mal sachlich: Der Frosch fragt nach
Er ist grün, seine Stimme quietscht, und er redet gewohnt wichtigtuerisch-großspurig – ja, hier spricht Kermit, der Frosch! Und er stellt CNN, YouTube und dem Publikum eine der großen Fragen: "Wie wird die Verfügbarkeit einer Technik wie YouTube die politische Einstellungen von Menschen und Fröschen in Zukunft beeinflussen?" Die Antwort gibt das CNN-YouTube-Forum, in dem Kermit spricht: So wie das alles bislang aussieht, nicht besonders.
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