Zum Inhalt springen

Usenet-Dienst: Gericht verbietet Provider Werbung mit illegalen Downloads (Spiegel Online, 21.5.08)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Usenet-Dienst

Gericht verbietet Provider Werbung mit illegalen Downloads

Das Usenet startete vor fast 30 Jahren als Schwarzes Brett des Internet, als Diskussionsforum voller Witze, Kurzgeschichten und Debatten. Inzwischen dominieren in einigen Foren Pornos und Raubkopien von Kinofilmen – Videothekare wollen dafür die Zugangsanbieter haftbar machen.

Spiegel Online, 21.5.2008
Meinungsfreiheit ist ganz eng mit schneller Datenübertragung und einem riesigen Download-Angebot verknüpft. Den Eindruck kann man bekommen, wenn man die Eigenwerbung des Unternehmens Aviteo betrachtet. Die Firma verkauft Kunden Zugänge zum sogenannten Usenet, einem alten Internet-Dienst für Diskussionsgruppen.
 
Aviteo spricht vom "größten Meinungsforum der Welt" und erklärt, jeder habe über Usenext das Recht, "sich aus der allgemein zugänglichen Quelle des Usenets ungehindert zu unterrichten." Konkreter: "Mit Usenext machen Downloads richtig Spaß." Noch konkreter: "Gesamtkapazität über 300 Terabyte" und 15 Gigabyte im "Highspeed-Modus" ab 7,95 Euro. Entsprechende Werbung auf der per Layer-Werbung eingebundenen Usenext-Seite entdeckte SPIEGEL ONLINE vor knapp zwei Wochen ausgerechnet auf einer zwielichtigen Web-Seite mit Link-Katalogen zu Hardcore-Pornographie.
Meinungsforum oder Download-Quelle? Über diese Frage wird wohl demnächst das Landgericht München I entscheiden müssen. Hier hat der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels (IVD) eine einstweilige Verfügung gegen Aviteo erwirkt. Das Gericht hat Aviteo in der vorigen Woche verboten,
  • "damit zu werben oder werben zu lassen, dass man indizierte, beschlagnahmte oder pornografische Filme über die Internetseite usenext.de herunterladen kann".
  • "zu Wettbewerbszwecken im Internet außerhalb geschlossener Benutzergruppen (…) für ihre Internetseite mit pornographischen Bildern zu werben".
Aviteo-Geschäftsführer Wolfgang Oswald bestreitet beide Vorwürfe. Die Firma habe nie in dieser Art gewoben. Man werde gegen diese Verfügung vorgehen. Denn, so Oswald: "Die Entscheidung ist falsch. Folgt man dieser Ansicht, so stellt man das komplette Affiliate-Marketing und damit einen wesentlichen Teil der Werbung im Internet, und damit der Internet-Wirtschaft, in Frage."
Videothekare sprechen von "illegalen Angeboten"
Dass Werbung für Usenext in einem Link-Katalog zu Hardcore-Pornographie zu finden war, erklärt Oswald so: "Das von uns mit der Werbung beauftragte Unternehmen arbeitet mit einem Netzwerk von über 20.000 Werbepartnern." Die Plazierung von Werbung auf der von SPIEGEL ONLINE entdeckten Seite verstoße gegen die "AGB des Betreibers des Affiliateprogramms". Wenn Aviteo wie nun in dem vorliegenden Fall "von einer solchen Plazierung" Kenntnis erlange, wende man sich "unverzüglich an den Betreiber des Programms". Der in diesem Fall verantwortliche Werbepartner sei in der Sache bereits abgemahnt worden.
Alles ein großes Missverständnis? Bis zu einem rechtskräftigen Urteil in der Sache steht die Antwort aus. Der Videotheken-Verband gibt sich jedenfalls kämpferisch. IVD-Geschäftsführer Jörg Weinrich kommentiert die Entscheidung in einer Erklärung als Erfolg bei den Versuchen, Provider in manchen Fällen für die von ihnen übertragene Inhalte verantwortlich zu machen.
Bislang hätten sich Usenet-Anbieter hier auf den Standpunkt zurückgezogen, dass die Inhalte benutzergenerierter Dateien nicht kontrollierbar seien. Doch, so Weinrichs Erklärung: "Wenn nun aber explizit damit geworben wurde, dass Usenext spezielle, unter anderem auch illegale Angebote zum Download bereitstellen kann, wird diese Schutzbehauptung ad absurdum geführt."
Usenet – Debatten, Witze, Pornos
Nun ist das Usenet einer der ältesten Internet-Dienste, viel älter als das heute dominierende World Wide Web zum Beispiel. Den Dienst Usenet kann man nicht einfach so mit einem Forum zum Tausch von Daten, womöglich auch von Raubkopien oder harter Pornographie, gleichsetzen.
Vor fast 30 Jahren entstand das Usenet an zwei US-Universitäten als alternatives Protokoll zum Datenaustausch neben dem damals noch vom US-Militär kontrollierten Arpanet. Das Usenet wurde zu einem großen, digitalen Schwarzen Brett für Debatten, Witze, Selbstdarstellungen, Kurzgeschichten, lange bevor es soziale Netzwerke wie Facebook und StudiVZ gab.
Die Usenet-Gruppen werden auf sogenannten News-Servern gespeichert, von anderen gespiegelt. Die Nutzer müssen sich bei einem dieser Server anmelden, um auf die Usenet-Gruppen zuzugreifen – und Nachrichten zu lesen und zu schreiben. Die Usenet-Gruppen sind in thematischen Hierarchien aufgebaut, die sich immer weiter verästeln. So gibt es zum Beispiel im Freizeit-Bereich "rec" (Abkürzung für das englische "recreation") den Unterordner Reise, darin dann Gruppen wie Europa und "budget.backpack".
Es gibt aber auch Gruppen, bei denen es weniger ums Debattieren und mehr um den Datentausch geht. In den Foren im Verzeichnisbaum alt.binaries können Nutzer Nachrichten mit angehängten Dateien veröffentlichten. Es gibt Gruppen mit Titeln wie "alt.binaries.games.xbox360", "alt.binaries.dvd.german" und "alt.binaries.erotica.groupsex", in denen sich offenkundig Nachrichten mit entsprechenden Dateien finden. Normale Internet-Provider gewähren nur noch selten Zugang zu solchen Usenet-Gruppen.
Usenext wirbt mit schnellen Downloads
Usenext betont in der Werbung für seine Dienstleistungen die schnelle Übertragungsraten, die Sicherheit und das große Datenangebot. Einige Aussagen:
  • "Download ohne Zeitlimit und mit voller Bandbreite ab der ersten Sekunde – bei ADSL2 bis zu 25 Mbit/s!"
  • "100% sicherer Zugriff auf ungefilterte Daten: weder Ihre IP-Adresse und schon gar nicht, was Sie wann von den Newsservern downloaden, wird protokolliert. Garantiert!"
  • "Zugriff auf eines der weltweit größten Usenet-Archive: ständig über 300 Terabyte an Daten verfügbar, täglich kommen 2000 Gigabyte dazu!"
  • Einen Screenshot der Usenext-eigenen Software überschreibt das Unternehmen mit der Aussage: "Abonnieren Sie die besten Newsgroups mit nur einem Klick!" Im Bild darunter werden dann als Beispiele für "Binary Newsgroups" diese Gruppen aufgeführt: " TOP 10 Erotik Video", "TOP 10 Games", "Top 10 Musik/MP3", "TOP 10 Software".

Aviteo-Geschäftsführer Oswald erklärt diese Werbeaussagen so:
  • Download-Tempo: "Viele Benutzer besitzen inzwischen Breitbandanschlüsse mit 6, 10 oder 16 MBit. Natürlich möchten die Benutzer ihre Internet-Anschlüsse, für die sie 20 bis 50 Euro pro Monat bezahlen, auch entsprechend nutzen." Dabei müsse man sich "zunächst die Geschichte des Usenet und die Tatsache vor Augen führen, dass mehr als 98 Prozent der Inhalte des Usenets legaler Natur sind."
  • Gesamtkapazität über 300 Terabyte: "Usenext als Reseller, der selbst keine Daten vorhält, hat keinerlei Einblick, welche Datenmenge bei Usenet-Providern vorgehalten wird. Die Angabe stützt sich auf Schätzungen, die wir von Usenet-Providern erhalten haben"
  • "TOP 10 Software", "TOP 10 Erotik Video" und ähnliche Gruppen in Werbe-Screenshots: "Die Top-List der vorgeschlagenen abonnierten Newsgroups wird nicht von uns redaktionell bearbeitet. Sie stützt sich auf Informationen, die wir von amerikanischen Usenet-Providern erhalten haben, als wir uns nach den beliebtesten Newsgroups erkundigt haben."
Aviteo sieht sich als reiner Zugangsanbieter, der wie Internet-Provider nicht für Inhalte verantwortlich gemacht werden kann, die er durchleitet. Dieser Argumentation war in einem vergleichbaren Fall das Oberlandesgericht Düsseldorf (siehe Kasten unten) gefolgt.
Aviteo bestreitet, die in der von IVG erwirkten Verfügung zitierten Werbeaussagen getroffen zu haben, die der Provider-Rolle zu widersprechen scheinen. Ob Aviteo für den Usenext-Dienst so geworben hat und was das für die neutrale Provider-Rolle bedeutet, muss nun das Landgericht München I entscheiden.
AZ 1HK O 7815/08
 
USENET-PROZESSE: SO ENTSCHIEDEN GERICHTE IN USENET-PROZESSEN

Gema gegen Usenext
Anfang 2007 hatte die Musik-Verwertungsgesellschaft Gema Usenext per Einstweiliger Verfügung am Landgericht Hamburg verbieten klassen, einen Zugang zu von der Gema vertretenen Werken anzubieten und damit zu werben, Zugang zu etwa einer Millionen Musiktiteln zu gewähren. Aviteo wehrt sich gegen die Verfügung, eine rechtskräftige Entscheidung steht noch aus. Usenext erklärte damals, man habe "als reiner Wiederverkäufer von Usenet-Zugängen selbst keinen Einfluss auf die Inhalte".

Sony BMG gegen Elbracht Computer
Im August vorigen Jahres hat das Oberlandesgericht München entschieden, dass das Label Sony BMG keine Verfügung gegen den Usenet-Provider Elbracht erwirken kann. Das Gericht begründete die Entscheidung allerdings nicht inhaltlich, sondern formal: Weil Sony BMG trotz der angeblichen Eilbedürftigkeit eine Fristverlängerung um vier Wochen beantragt hatte, scheine es "mit der Rechtsverfolgung" nicht so eilig zu sein, dass Anspruch auf eine einstweilige Vergügung bestehe. (Az. 29 U 3340/07)

EMI gegen Elbracht Computer
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat im Januar einen Antrag auf eine Einstweilige Verfügung abgewiesen, den das Musiklabel EMI gegen den Usenet-Provider Elbracht erwirken wollte, weil es seine Urheberrechte durch Forenposting mit Musikdaten von EMI-Künstlern verletzt sah. Das Oberlandesgericht entschied, man könne den Usenet-Provider nicht für Postings mit entsprechenden Dateianhängen haftbar machen. (Az: I-20 U 95/07)

Usenet-Provider gegen Google
Anfang des Jahres wollten mehrere Usenet-Zugangsanbieter vor dem Landgericht Hamburg das Recht erstreiten, mit Google AdWords-Programm für ihre Angebote werben zu dürfen. Wie Heise berichtete, hatte Google alle drei Anbieter, darunter auch Usenext aus dem Programm ausgeschlossen, weil sie offenbar "mit Urheberrechtsverletzungen per AdWords warben". Das Landgericht entschied in allen drei Fällen gegen die Usenet-Provider und für Googles Ausschlussrecht. (Az. 315 O 553/07, Az. 315 O 870/07, Az. 315 O 906/07).

 
So sind die Anzeigen ohne Wissen und offenbar gegen den Willen der beworbenen Firmen auf den zwielichtigen – und von deutschen Surfern offensichtlich gut besuchten – Angeboten gelandet. Zum Beispiel:
 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert