Verschluckt (Frankfurter Rundschau, 15.04.2002)
Verschluckt
Warum der Kampf gegen „club drugs“ eine gefährliche Farce ist
Frankfurter Rundschau, 15.04.2002
Wenigstens sind amerikanische Kongressabgeordnete ehrlich. In Großbritannien entdeckte Tony Blair 1997 seine Liebe zu "cool Britannia" und lobte die weltweit beneidete Clubszene. Rechtzeitig vor den Wahlen stimmte Labour dann aber für ein Gesetz, das es der Polizei erlaubt, Clubs auf Basis des Verdachts zu schließen, dass dort ab und an Menschen Drogen konsumieren. In den Vereinigten Staaten hingegen heucheln Politiker gar nicht erst Sympathien für Subkulturen vor. Deshalb steht in einem Gesetzentwurf ohne große Umschweife, dass Gemeinden nur Bundesgelder für die Gesundheitsvorsorge bekommen, wenn sie gegen Rave- Clubs vorgehen. Der Entwurf wird höchstwahrscheinlich den Kongress passieren.
In die "Club Drug Campaign" genannte Schlacht des Drogenkrieges zogen die Vereinigten Staaten vor zwei Jahren. Seitdem sind in einigen Staaten Mindeststrafen für den Besitz oder Konsum von Ecstasy Gesetz geworden. Sogar Schnuller, Leuchtstäbe und Staubmasken wurden an einigen Orten infolge von Gerichtsverfahren als Zubehör zum Drogenkonsum aus Clubs verbannt. Unter Berufung auf das Crackhouse-Gesetz aus dem Jahr 1986 wurden Club-Betreiber angeklagt, weil sie Gebäude für den Konsum und Erwerb illegaler Drogen zur Verfügung stellten. Diesen kreativen Rechtsauslegungen sind höhere Instanzen bisher nicht gefolgt. Auch in Frankreich wurden im vergangenen Jahr mehrere Anti- Rave-Gesetze erlassen. Die Vorstellung der Rave-Gegner bei den französischen Gaullisten und amerikanischen Kongressabgeordnete lässt sich ungefähr so beschreiben: Wenn die Raves verschwinden, bleiben die Felder sauber und die Menschen am Leben.
Die Rave-Generation hat gegen diese repressive Form von Drogenpolitik bislang wenig erreicht. In den Vereinigten Staaten sind die wenigen erfolgreichen Prozesse gegen das Vorgehen der Behörden dem Engagement der "Drug Policy Alliance" zu verdanken. Diese relativ finanzkräftige Interessenorganisation engagiert sich in unterschiedlichsten Bereichen für eine neue Drogenpolitik, mit der Rave-Generation hat sie eigentlich nichts zu tun. Tatsächlich gibt es keine breite Bewegung gegen die "Club Drug Campaign".
In Frankreich wurde im Sommer gegen die Gesetzesvorhaben demonstriert. In Paris und der Provinz gingen Menschen auf die Straßen, die Polizei setzte Tränengas ein, einige Menschen wurden verletzt. Und dennoch ist das Anti-Rave- Gesetz durchgekommen. Gleichzeitig ist der Versuch, dem Drogengebrauch über die Schließung von Clubs und Unterbindung von Raves beizukommen, längst absurd: Schließlich gehört die Form des Umgangs mit Drogen zu den Kennzeichen der Rave-Generation, die im Laufe der neunziger Jahre vom Mainstream absorbiert worden sind.
Sehr schön zu beobachten war das im vergangenen Jahr, als der Pharmakonzern Pfizer in den Vereinigten Staaten die Tournee der Funk-Band Earth, Wind & Fire sponserte. Musik und Atmosphäre hatten dabei weit weniger mit einem Rave zu tun als vielmehr der auf den Konzerten gelebte Umgang mit chemischen Substanzen: Ganz selbstverständlich wurden zwischen den Besuchern an Ständen Viagra-Pillen angepriesen. Ein Konzert als vom Publikum akzeptierte Marketingveranstaltungen für Arzneimittel, Medikamente als Lifestyle-Produkte – ohne die Rave-Generation wäre das unmöglich.
Natürlich griffe es zu kurz, wollte man diese Generation nur mit dem Gebrauch von Ecstasy identifizieren. Aber auch wenn Drogen nicht unabdingbar für Clubbing sind, zumindest die Droge als Metapher ist es. Ob man einen Rave nun mit Hakim Bey als "temporäre autonome Zone" oder als Heraustreten aus dem Leben zwischen den Wochenenden versteht – in jedem Fall kommt es auf den Ausstieg aus dem Alltag an, und genau das ist die Funktion der Droge.
Zwei Gruppen kann man bei der Rave-Generation recht klar trennen, die in der Drogenkultur der sechziger Jahre noch schwer zu unterscheiden waren. Zum einen die Hedonisten, zum anderen die Mystiker. Der US-Chemiker Alexander Shulgin nannte MDMA – das ist die Abkürzung des unter dem Namen Ecstasy gehandelten Wirkstoffes – seinen "kalorienarmen Martini". Ein Hedonist, zweifellos. Für die Mystiker sprach der psychedelische Pionier Terence McKenna, als er Raves zum Wiederauftreten eines unterdrückten menschlichen Verlangens erklärte, nämlich des Verlangens danach, "das Bewusstsein aus dem unnatürlichen egozentrischen Zustand zu befreien".
Im Mai 1992 trafen beide Gruppen auf einem Feld nahe des britischen Städtchens Castlemorton aufeinander. Die Hedonisten konnten auf Grund des scharfen Vorgehens der Behörden nicht mehr in städtischen Clubs feiern und wichen daher auf "country raves" aus. Die Mystiker kamen vor allem aus den Resten der New- Age-Bewegung. Nachdem die Behörden 1985 ihre Feier der Sommersonnenwende in Stonehenge verhindert hatten, waren sie auf der Suche nach etwas Neuem.
Subversiv ist diese so heterogene Bewegung nicht unbedingt. Anfang der neunziger Jahre etwa argumentierte der Veranstalter von Raves, Tony Colston-Hayter, zum Beispiel mit Tory-Argumenten gegen Tory-Gesetze: "Die 3-Uhr-Sperrstunde für Tanzveranstaltungen ist in unserer Unternehmerkultur sicherlich ein Anachronismus." Der heutige Kampf gegen die Rave-Kultur wird nicht von ihren politisch subversiven Untertönen befeuert. Und auch nicht von der Sorge um die Gesundheit der Menschen, dagegen sprechen die Drogenopferstatistiken.
Der Grund für den Kampf liegt vielmehr darin, dass sonst die seit Jahrzehnten von einer breiten Mehrheit akzeptierten Grundsätze über den gesellschaftlichen Umgang mit Drogen in Frage stünden. Denn würde man Ecstasy, Raves und Clubkultur nicht pauschal und irrtümlich als nicht tolerierbare Gefährdung verdammen, könnte vielleicht eine Mehrheit die Parallelen zum Umgang mit ganz legalen Stoffen ziehen und den noch geltenden moralischen Konsens aufkündigen.
Dafür gäbe es durchaus Gründe: Der UN-Bericht Global Ilicit Drug Trends 2001 zieht sehr vorsichtig eine Parallele zwischen dem Marketing legaler und illegaler Lifestyle-Produkte: Die irrationale und bisweilen unethische Vermarktung bestimmter Medikamente könne ein Umfeld schaffen, indem der Konsum legaler wie illegaler Pillen als Allheilmittel für Alltagsprobleme wahrgenommen werde. In den Clubs der neunziger Jahre wurden hier Maßstäbe gesetzt: Die Verknüpfung von Substanzen mit bestimmten Musikrichtungen und Lebensstilen zu einem einheitlichen Produkt, der Verkauf mehrerer Stoffe als Kombination, ja sogar die selbstreferenzielle Vermarktung.
Die Produktzyklen werden bei illegalen Substanzen ganz ähnlich wie bei legalen immer kürzer. Die Drogenindustrie reagiert darauf, indem sie synthetische Stoffe mit höheren Reinheitsgraden, neuen Farben und Namen auf den Markt wirft. Beim Produktdesign ist die Konvergenz legaler und illegaler Märkte längst vollzogen: Synthetische Drogen werden fast ausnahmslos als Tabletten angeboten, Puder oder Flüssigkeiten lassen sich schlecht vermarkten.
Die Rave-Generation war in den Clubs der neunziger Jahre mit all den Herausforderungen konfrontiert, die der Mainstream heute erst bemerkt. Die neue Unübersichtlichkeit legaler und illegaler Stoffe, die Lifestyle-Konzepte und anderen Marketingstrategien der Produzenten – all das hat sie vielleicht nicht überwunden, aber auf jeden Fall erlebt. Insofern bekämpfen die Drogenkrieger in Frankreich, Großbritannien und den USA in den Ravern die Avantgarde des Zeitalters der Lifestyle-Pharmazie. Indem die US-Regierung also die "club drugs" so hart bekämpft, hält sie künstlich eine Differenz hoch, die es eigentlich kaum mehr gibt. Das Bewusstsein für die Gefahren von Botox, Prozac, Viagra und den weniger bekannten Lifestyle-Medikamenten, die auf der legalen Seite dieser Differenz gelandet sind, sinkt dabei umso mehr, je härter die "club drugs" verfolgt werden. Der Versuch, die Absurdität der amerikanischen Drogenpolitik zu kaschieren, bewirkt das Gegenteil der proklamierten Intentionen. Ganz so, wie es immer läuft, wenn der Staat seinen Bürgern Freiheit und Verantwortung einfach nimmt.