Volksbegehren: Belebte Konkurrenz (Freitag, 31.3.2000)
Volksbegehren
Belebte Konkurrenz
Wenn Parteien und Verbände sich in das Geschäft der direkten Demokratie einmischen, haben sie manchmal ganz eigene Ziele im Sinn.
Freitag, 31.3.2000
Die werden uns noch das Oktoberfest verbieten." Mit diesem Schauergeschichtchen wollte Edmund Stoiber seinen Freistaat und vor allem die Staatspartei CSU 1995 vorm Untergang durch direkte Demokratie bewahren. Half alles nichts. 57,8 Prozent der Bayern stimmten für die Einführung des Bürgerentscheids in Gemeinden und Landkreisen. Die Initiative "Mehr Demokratie" hatte den Entwurf durchgeboxt – die CSU ihn heftigst bekämpft.
Knapp 400 kommunale Bürgerentscheide später wehrt die CSU sich noch immer. Und "Mehr Demokratie" hat sich für den Mai eine Initiative ausgedacht, die wieder ein Schlag ins Kontor werden könnte: das Volksbegehren "Unabhängige Richter". Die Verfassungsrichter werden in Bayern bisher mit der einfachen Mehrheit des Landtages gewählt. So sind gut 80 Prozent CSU-Kandidaten, was sich auch deutlich in Entscheidungen niederschlägt. Die Richter sollen nun mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Kommt das Volksbegehren durch, muss die CSU um eine vortreffliche Geheimwaffe fürchten.
Die Initiative geht auf den 1988 in Bonn gegründeten Verein
"Initiative Demokratie entwickeln" zurück, der sich vor allem mit
Anti-FCKW-Aktionen hervortat. Der politische Biss kam 1992 mit der
Gründung von "Mehr Demokratie Bayern". Die Initiative betrieb, unter
anderem von der bayerischen SPD und den Grünen unterstützt, das
Volksbegehren für den Bürgerentscheid in Gemeinden, Städten und
Landkreisen. Es wurde ein fulminanter Erfolg.
Der Erfolg weckte bundesweite Ambitionen: 1998 stimmten die
Hamburger für die Erleichterung von Volksentscheiden auf Landesebene.
"Mehr Demokratie" scheiterte knapp – es hätte mehr als die Hälfte der
Wahlberechtigten zustimmen müssen, 42,5 waren es nur. Momentan betreibt
die Initiative Volksbegehren für eine Stärkung der Volksrechte in
Bayern, Hamburg, Bremen, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg
und Thüringen. Alle 16 Landesverfassungen enthalten Regelungen über
Volksbegehren. Die Hürden sind jedoch sehr unterschiedlich.
Unterschriften von vier (Brandenburg) bis 20 (NRW) Prozent der
Wahlberechtigten sind nötig, damit ein Volksbegehren überhaupt
zugelassen wird. "Mehr Demokratie" fordert die Angleichung auf
niedrigem Niveau.
Vor allem im Osten baut die Initiative auf die bewährte
Unterstützerstruktur aus Bayern auf: DGB, ÖTV, HBV, BUND, Bund der
Steuerzahler, PDS, Bündnisgrüne und zumindest als Sympathisanten auch
eine oppositionelle SPD. Auch zahlreiche kleinere Verbände und
Organisationen sammeln fleißig Unterschriften mit. Sie allein haben
eine feste Mitgliederstruktur, die eine gewisse Unterstützer-Konstanz
sichert.
Aber zu hoher Verbandseinfluss kann auch schädlich für Volksbegehren
sein. Dies zeigte sich Anfang des Monats, als in Bayern das
Volksbegehren gegen die geplante sechsstufige Realschule scheiterte –
vor allem an den Initiatoren des Bayerischen Lehrer- und
Lehrerinnenverbandes (BLLV). Sie hatten es nicht einmal geschafft, die
Hälfte der nötigen Unterschriften zu sammeln. Der Verband machte nicht
den Eindruck, um Unterschriften außerhalb seiner Bezugsgruppe zu
werben. Gerade in Großstädten wie München blieb die Unterstützung
gering – dies wurde den hier überproportional zahlreich lebenden
Singles zum Vorwurf gemacht. Sie hätten keine Kinder und somit auch
kein Interesse an Schulpolitik. Hier zeigt sich, wie das Instrument
Direktdemokratie auch gebraucht werden kann: zur Artikulation und
Durchsetzung der Interessen einer speziellen Gruppe.
In diese Richtung weist auch die Forderung von "Mehr Demokratie",
die Zustimmungsquoren bei Volksabstimmungen abzuschaffen. Mit solchen
Quoren sind Volksbegehren erst gültig, wenn ein bestimmter Teil der
Wahlberechtigten daran teilnimmt, in Bayern sind das 25 Prozent. Mit
dieser Frage beschäftigt sich zur Zeit der bayerische
Verfassungsgerichtshof – genau der, den die Initiative selbst zum
Gegenstand ihres nächsten Volksbegehrens machen will.
Welche Früchte so verstandene Direktdemokratie tragen kann, zeigte
sich 1998 im Vorbildsstaat Kalifornien. Die vom Volk angenommene
"Proposition 187" schloss alle illegal eingewanderten Kinder und
Jugendlichen vom Besuch öffentlicher Schulen und der
Krankenversicherung aus. Erst das Verfassungsgericht kassierte den
Apartheidparagraphen. Es hatten zwar knapp über 50 Prozent der
Abstimmenden für Diskriminierung gestimmt – nicht aber eine Mehrheit
der Wahlberechtigten.
Auch mit Lobbyarbeit hat man in Kalifornien so seine Erfahrungen.
Die Kasinobetreiber ließen sich dort eine Kampagne für die Zulassung
indianischer Spielkasinos 50 Millionen Dollar kosten. Gut investiert –
das Begehren kam durch. In der Schweiz finanzieren zur Zeit der
milliardenschwere Unternehmer Karl Schweri und Christoph Blocher,
ebenfalls sehr wohlhabend und Wortführer der rechtsnationalistischen
Volkspartei, ein Volksbegehren, das die Regierung verpflichten soll,
Abstimmungen binnen zwölf Monaten der Bevölkerung vorzulegen. Die
finanzstarken Initiatoren versprechen sich offenbar einiges davon, das
bewährte Schweizer Diskursmodell durch eine Art Kommando-Demokratie
abzulösen.
Inzwischen wissen aber auch schon in Deutschland Politiker, sich
Volksabstimmungen zu Nutze zu machen – wenn es ihnen passt. Mit der
Unterschriftensammlung gegen das Einwanderungsgesetz entdeckte Edmund
Stoiber gar die Vorzüge der direkten Demokratie. Auf Bundesbene
natürlich, denn hier ist die Union ja Opposition. Was er früher
angesichts der Erfahrungen der Weimarer Republik abgelehnt habe,
erscheine ihm heute nicht nur als stabilisierende Ergänzung der
repräsentativen Demokratie, sondern auch als notwendige
Entscheidungsebene, zitierte ihn die NZZ.