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Von der Kaffeetasse zum Giftgas - 20 Jahre CNN (Rheinpfalz, 3.6.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Von der Kaffeetasse zum Giftgas

Seit 20 Jahren ist CNN erfolgreich mit dem Konzept eine realere Realität zu bebildern.

Rheinpfalz, 3.6.2000

Es hat viel mit Kaffeebechern zu tun. Den gefüllten Kaffeebechern, die CNN-Redakteure ab und an im Hintergrund der Nachrichten an ihre Schreibtische tragen. Und mit den Blättern, die sie durchs Büro hetzend in Händen halten. Nicht irgendwo, sondern hinter Chuck Roberts, der gerade die Headline News moderiert, oder Ralitsa Vassileva, die den CNN International World Report aufsagt. Die Kaffeebechern bezeichnen Arbeit, das Papier schnelle Nachrichten. Das ist das CNN-Konzept: Bilder einer hyperrealen, objektiven und wahren Welt. Und das erfolgreich. Am 1. Juni 1980 startete CNN in Atlanta als Nachrichtenkanal fürs US-Kabel, heute erreicht die Senderfamilie eine Milliarde Menschen in 212 Ländern. Ein Sechstel der Erdbevölkerung.

Im CNN-Studio gibt es keine Fenster. Hinter Chuck Roberts arbeitet die Redaktion in einem seltsam schummrigen Licht, die Wände sind von Monitoren bedeckt. Auch das hat eine klare Botschaft. Rennende, Kaffee trinkende Redakteure sind schnell und ausdauernd, die Schirme erklären die mediatisierte Welt zur Normalität. Über sie strömen Bilder und Informationen in die CNN-Zentrale, die Redakteure wählen aus, gewichten, schneiden und senden. Der Zuschauer sieht den Prozess, vielleicht begreift er die Implikation des Bildes – sich selbst vor einem anderen Schirm, am Ende eines kanalisierten, verdünnten Nachrichtenstroms. Das Bild ist an die Stelle der Information getreten. Man sieht Redakteure umherlaufen und weiß, wie CNN Nachrichten macht. Das ist das Moderne an dem Konzept: Die Frage, ob Bild und Abgebildetes einigermaßen deckungsgleich sind, steht zurück. Was zählt, ist die Nachricht.

Natürlich lügt CNN nicht. Es stellt nur Nachrichten dar. Was dass bedeuten kann, hat die Nahost-Korrespondentin der Zeit und des Tages-Anzeigers, Gisela Dachs, einmal beschrieben: In Bethlehem lieferten sich Palästinenser und israelische Soldaten aus der Distanz ein Tränengas und Steinwurf Gefecht. Das ritualisierte Katz-und-Maus-Spiel. Und mittendrin ein Pferd. Einfach so. Gelassen stand es auf der Straße zwischen den Fronten. Aber in den Nachrichten war das Pferd nicht zu sehen. Die Kamerateams warteten, bis es von dannen trottete – schließlich erwartet man aus den Palästinenser-Gebieten Gefechte, nicht Pferde. Von den gut 350 ausländischen Korrespondenten in Israel hockt bei solchen Unruhen in den Palästinenser-Gebieten ein Großteil in Jerusalem und schaut CNN. Sie schreiben folglich Pferdeloses. Wer da eine Geschichte anbietet, die aus dem Rahmen fällt – wie ein Tier, dass einfach so herumsteht – hat es schwer, seine Berichte abzusetzen, meinte Dany Scheikh, ehemaliger Sprecher des israelischen Außenministeriums.

Gefahr droht, wenn mediatisierte Wirklichkeit und das Abgebildete nicht mehr getrennt werden. Beunruhigend ist da eine Schautafel im Lichthof der CNN-Zentrale: Einer Fieberkurve gleich sind da die CNN-Quoten zu sehen. Die Ausreißer nach oben: Desert Storm, O.J. Simpson Freeway Chase, O.J. Simpson Verdict, Clinton Impeachment. Alles Ereignisse, die nur durch ihre Mediatisierung zu welchen wurden. Ohne Live-Bilder aus dem Helikopter hätte Simpsons Autojagd allenfalls mittlere Nachrichtengüte gehabt. Aber so hatte CNN Traum-Quoten. Gorbatschows Sturz macht nur einen leichten Schlenker nach oben aus.

Nachrichten sind eine Ware und diese Schlenker das Geschäft. 1999 hat CNN International bei einem Umsatz von 200 Millionen Dollar 50 Millionen verdient. Ein gewisser Zwang zum Schlenker ist vorhanden. „Wir haben unser Geburtsrecht als Breaking- News- Kanal bekommen. Die Leute gucken uns für Breaking- News an und wir dürfen sie nie im Stich lassen“, hat Chris Cramer, Präsident von CNN International das einmal auf den Punkt gebracht.

Breaking-News war im Juni 1998 ein CNN-Bericht, der behauptete, die US-Regierung habe während des Vietnamkriegs gegen eigene Soldaten Giftgas eingesetzt, als diese desertierten. Einen Monat später gestand CNN ein, dass dies nicht zu beweisen sei. Die achtmonatige Recherche war zu einseitig gewesen. Ein peinlicher Unfall. Denn natürlich ist es das Geschäft von CNN, Nachrichten zu machen, Hyperrealität zu erzeugen – aber die muss sich auf Realität beziehen. O.J. Simpson ist nun einmal ehemaliger Football-Spieler und als solcher mit der Polizei im Schlepptau den Highway entlang gerast. Die Breaking-News war der CNN-Hubschrauber darüber.

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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