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Vorbild Filmindustrie: Porno-Anbieter kämpfen gegen Web-Konkurrenz (Spiegel Online, 11.9.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Vorbild Filmindustrie

Porno-Anbieter kämpfen gegen Web-Konkurrenz

Auf Antrag eines deutschen Porno-Portals sperrt Arcor für 2,4 Millionen Nutzer US-Sexseiten. Begründung: Die Angebote missachten deutsche Jugendschutz-Regeln. Hintergrund: Etablierte Erotik-Anbieter leiden weltweit unter zwielichtiger Web-Konkurrenz – und wehren sich.

Spiegel Online, 11.9.2007

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Spanking, Bisexuelle, Amateure – die Kirchberg Logistik GmbH beschreibt ihr Filmangebot auf sexyfilms.de sehr detailliert und direkt. Die Pornos kann man auf seinen PC laden, im Browser gestreamt betrachten, als DVD mieten oder kaufen – aber nur gegen Bezahlung und nach einem recht aufwendigen Altersnachweis per Brief-Pin oder Postident-Verfahren. Ein Wettbewerbsnachteil für den deutschen Anbieter. Denn anderswo im Netz sind solche Sex-Filmchen ohne Altersprüfung zu sehen. Das will die Firmengruppe hinter Sexyfilms ändern. Sie hat jetzt erreicht, das der Internetprovider Arcor sämtlichen 2,4 Millionen DSL-Kunden den Zugang zu drei ausländischen Porno-Seiten ohne Alterscheck sperrt.


Konkret geht es um die Seiten Sex.com, YouPorn.com und Privatamateure.com. Arcor-Sprecher Paul Gerlach bestätigt SPIEGEL ONLINE, dass nur diese Seiten gesperrt sind: "Das ist ein einmaliger Vorgang." Arcor ist der Aufforderung von Kirchberg Logistik freiwillig gefolgt. Man sieht sich "keineswegs in der Rolle eines Zensors", sondern handele allein "im Sinne des Jugendschutzes nach den rechtlichen Erfordernissen."

Arcor-Sprecher Gerlach erklärt: "Uns liegen einstweilige Verfügungen gegen die Betreiber dieser Angebote vor, die Verbreitung in Deutschland einzustellen oder den Anforderungen des deutschen Rechts entsprechende Maßnahmen zum Jugendschutz umzusetzen."

Alterserklärung statt Altersprüfung

Tatsächlich lassen die drei Angebote sich von Besuchern die Volljährigkeit lediglich mit einem Mausklick bestätigen. Privateamateure (Betreiber ist eine Firma im Inselstaat Sankt Lucia) wurde deshalb bereits vom Landgericht Hannover am 2. Mai die weitere Verbreitung in Deutschland untersagt (Az. 18 O 117/07). Youporn.com (der Betreiber sitzt in Kalifornien) steht sogar seit März auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Dass die Seiten dennoch frei zugänglich sind, ärgert Mario Brunow, Geschäftsführer der Video Buster Gruppe, zu der neben 44 Familienvideotheken, den Online-DVD-Verleihern Netleih und Amovie auch der Porno-Anbieter Kirchberg Logistik gehört. Brunow bestätigt SPIEGEL ONLINE, dass der Sperrungsantrag von dieser Firma an Arcor ging. Brunows Begründung: "Erotik und Pornographie sind nicht verwerflich. Aber es gibt Regeln, wie Kinder vor solchen Inhalten zu schützen sind. Und an die sollten alle Anbieter sich fairerweise halten."

Deutsche Regeln weltweit kaum durchzusetzen

Das Problem ist: Anbieter in Deutschland kann der Staat sehr einfach dazu zwingen – Anbieter im Ausland kaum. Dabei müssen eigentlich beide dieselben Anforderungen bei in Deutschland zugänglichen Webseiten erfüllen. Der Krefelder Anwalt Andreas Neuber, der als Jugendschutzbeauftragter zahlreiche Online-Angebote mit pornographischen Inhalten vertritt, erklärt SPIEGEL ONLINE: "Natürlich gelten diese Regeln für alle Anbieter, deren Inhalte in Deutschland zugänglich sind."

Und die Anforderungen sind in Deutschland besonders hoch. Hier müssen Anbieter sicherstellen, dass die Besucher ihrer Seiten volljährig sind – per Post-Ident-Verfahren zum Beispiel. In Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten beispielsweise genügt es, dass die Besucher von Porno-Seiten versichern, volljährig zu sein. Wenn darunter deutsche Kinder oder Teenager sind, wäre das eigentlich ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Branchen-Anwalt Neuber winkt aber ab: "Die Verfolgung ist kaum realistisch. Die Staatsanwaltschaften gehen da mit sehr spitzen Fingern ran, wenn es nicht gerade um Kinderpornographie geht."

Altersverifikation kostet Geld und Reichweite

Deshalb ist es lukrativer, Porno-Portale im Ausland zu betreiben. Denn die Altersprüfung nach deutschem Recht kostet die Anbieter Geld. Und Reichweite: Bei Youporn.com sind nicht nur die Zugangshürden minimal, das Angebot ist zu dem auch kostenlos. Mit dieser Mischung ist Youporn.com laut dem Traffic-Analysedienst Alexa.com zu einem der 20 beliebtesten Web-Angebote in Deutschland geworden. Immense Reichweite und immense Werbeeinnahmen, trotz Index.

Wegen der strengen Auflagen in Deutschland wandern deutsche Porno-Anbieter gern ins Ausland ab. Branchenkenner Neuber: "Das Ganze ist ein Kasperletheater. Es ist für jeden Online-Anbieter ein Leichtes, sich einen ausländischen Firmensitz zu besorgen." Gegen Provider-Sperrungen wie die durch Arcor sind solche Anbieter aber – abgesehen von IP-Änderungen – machtlos. Neuber: "Da hat jemand den Punkt getroffen, wo es Online-Anbietern wirklich weh tut."

Deutsche Porno-Portale: "Unfairer Wettbewerb"

Dieser jemand sieht sich völlig im Recht. Mario Brunow von der Video Buster Gruppe sagt: "Solche Inhalte schaden der gesamten deutschen Erotikbranche." Er gibt freimütig zu: "Natürlich könnten wir mehr verdienen, wenn wir mit der entsprechenden Tochterfirma ins Ausland abwandern und uns auf den Standpunkt stellen würden, dass wir den Jugendschutz dann nicht beachten müssten."

Warum tut Video Buster das nicht? "Wir finden das verwerflich, vielleicht weil wir einen anderen Hintergrund als viele Wettbewerber haben." Hier spielt Geschäftsführer Brunow darauf an, dass die Video Buster Gruppe nach eigenen Angaben eine der erfolgreichsten Videothekenketten Deutschlands betreibt (eine Million registrierte Kunden). Einen Großteil der Umsätze mache die Gruppe "mit dem Verleih guter Hollywood-Unterhaltung". Und diesen Teil des Geschäfts kann die Firma ebenso wenig wie den DVD-Versender Netleih ins Ausland verlagern.

US-Porno-Produzenten gegen Raubkopierer

Letztlich ist die Arcor-Sperrung also Teil eines Kampfes in der Porno-Industrie: Alte, analoge, national und gesetzkonform operierende Anbieter gegen erfolgreiche, zum Teil illegale Web-Konkurrenten. In den Vereinigten Staaten kann man derzeit dieselbe Entwicklung beobachten. Dort haben vorige Woche bei einem Treffen in Universal City im San Fernando Valley 65 Porno-Produzenten über die Gründung eines Branchen-Verbandes beraten, der Urheberrechtsverstöße verfolgen soll.

Andrew Blake, einer der bekanntesten Produzenten anspruchsvoller Pornos, erklärte dort dem Branchenblatt AVN, wir groß das Piraterie-Problem im Netz für sein Geschäft ist: "Wir haben alle gelacht, als es die Musikindustrie traf. Aber jetzt sind einige Leute vom Konkurs betroffen." In der Tat: 2006 sank in den Vereinigten Staaten zum ersten Mal nach vielen Wachstumsjahren der Umsatz aus dem Verkauf und Verleih von Pornos. Und zwar deutlich: Von 4,28 auf 3,62 Milliarden Dollar.

Einen Branchenverband, wie ihn jetzt die US-Produzenten planen, haben die deutschen Porno-Anbieter bereits Ende Juli gegründet. Juguard heißt die Interessenvereinigung. Dazu gehören "Erotik-Anbieter, die sich in Deutschland an die geltenden Jugendschutz-Gesetze halten". So beschreibt der Geschäftsführer des Vereins die Mitglieder. Name des Geschäftsführers: Mario Brunow von der Video Buster Gruppe.


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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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