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VZ-Abmahnungen: StudiVZ droht Minifirma MatheVZ (Spiegel Online, 14.5.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

VZ-Abmahnungen

StudiVZ droht Minifirma MatheVZ 

Konzern gegen Pädagogikstudent: Die Rechtsabteilung des Online-Riesen StudiVZ bedrängt ein Studi-Unternehmen. Das Vergehen: MatheVZ bieten im Web Rechenaufgaben unter der falschen Adresse an. StudiVZ beansprucht alle VZ-Adressen für sich. Ob das rechtens ist, will MatheVZ vor Gericht klären.

Spiegel Online, 14.5.2008

Für Laien haben MatheVZ und StudiVZ wenig gemeinsam: Die Freiburger Minifirma hinter MatheVZ (6 studentische Teilzeit-Mitarbeiter, 0 Euro Umsatz) bietet im Web Mathe-Übungsblätter, Lösungen, Unterrichtsmaterialien und Aufgaben für Klassenarbeiten zum Download an. Der Holtzbrinck-Konzern (2006: 15.473 Mitarbeiter, 2,24 Milliarden Euro Umsatz) betreibt unter StudiVZ und SchülerVZ die erfolgreichsten deutschen Online-Gemeinschaften mit 7,5 Millionen Mitgliedern.

Nun fühlt sich dieser Community-Gigant durch das Mini-Matheportal in seinen Rechten verletzt. In einem Schreiben verlangt die StudiVZ-Rechtsabteilung von den zwei Freiburger Mathematik-Fans (25 und 23 Jahre alt) hinter MatheVZ, dass sie – verkürzt gesagt – ihr Rechen-Angebot umbenennen, umgestalten und unter neuer Adresse ins Web stellen. Einer Adresse ohne das Kürzel VZ im Namen, denn das beansprucht der Online-Riese in allen erdenklichen Variationen für sich – obwohl es dafür viele andere gebräuchliche Bedeutungen gibt, von Verbraucherzentrale bis Vorzeichen (siehe SPIEGEL WISSEN ).

Versichern die beiden MatheVZ-Gründer nicht bis Mittwoch Nachmittag schriftlich, dass sie diesen Forderungen nachkommen, will StudiVZ "rechtliche Schritte einleiten".

Und selbst wenn die beiden Rechen-Freunde die VZ-Erklärung unterschreiben, kann ihnen die "Geltendmachung weiterer Ansprüche, insbesondere von Schadensersatz" drohen, schreiben die VZ-Juristen. Verzichten würde StudiVZ darauf bei einer einvernehmlichen Lösung – die könnte laut dem VZ-Schreiben so aussehen: Die Freiburger übertragen all ihre MatheVZ-Domains an StudiVZ.

MatheVZ: "Wir haben doch gar keine Community"

Dazu wird es wohl nicht so schnell kommen, wie StudiVZ gehofft hat. Die Freiburger zeigen sich wenig beeindruckt von dem Juristen-Brief. Mathias Junker (25), MatheVZ-Geschäftsführer und hauptberuflich Pädagogik-Student erklärt: "Wir schicken StudiVZ nun erstmal einen Brief zurück und legen unsere Sicht der Dinge dar."

Junker sieht keine Verwechslungsgefahr zwischen StudiVZ und MatheVZ, denn: "Wir haben gar keine Community, sondern bieten ein Verzeichnis von Prüfungs-, Übungs- und Testunterlagen zum Fach Mathematik an." Bisher hat StudiVZ vor Gericht einige Communitys mit VZ im Namen (DogVZ, FussballerVZ) niedergerungen. Nur: MatheVZ ist kein soziales Netzwerk, sondern ein Matheportal. Abgesehen davon ist MatheVZ schon seit vorigem Jahr als Wortmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen, die Widerspruchsfrist ist längst abgelaufen.

MatheVZ ist als Marke eingetragen

Noch so eine Sache, die wohl keinem Laien einleuchtet: Warum geht StudiVZ gegen eine ordentlich eingetragene Marke vor? Kann das Unternehmen damit überhaupt vor Gericht durchkommen?

Das könnte durchaus klappen, urteilt der auf Markenrecht spezialisierte Hamburger Anwalt Wolfgang Berlit. Außer MatheVZ sind beim Deutschen Patent- und Markenamt derzeit für zehn vergleichbare Web-Dienstleistungen deutsche Marken mit einer VZ-Abkürzung im Namen, die nicht zu StudiVZ gehören (zum Beispiel FetenVZ und SchwuliVZ), eingetragen.

Das spricht, so Berlit dafür, "dass VZ in den beteiligten Verkehrskreisen nicht als Stammbestandteil einer Markenserie von StudiVZ gesehen wird. Das könnte für die Zulässigkeit von MatheVZ sprechen." Aber: "Ein Gericht wird hier auch die sogenannte Verkehrsgeltung prüfen, also wie die Zielgruppe die Abkürzung wahrnimmt. Auf dieser Basis lassen sich selbst eingetragene Marken vor Gericht anfechten."

Sprich: MatheVZ und StudiVZ haben beide Argumente, die ein Gericht überzeugen könnten. Wer gewinnt, hängt von den Richtern ab, vielleicht auch davon, wie viel Geld die beiden Parteien haben, um sich durch die Instanzen zu klagen.

Entscheidend: Wie interpretieren Jugendliche "VZ"?

Wenn StudiVZ ein Gericht davon überzeigt, dass Jugendliche heute mit der Abkürzung VZ vor allem StudiVZ in Verbindung bringen, nicht etwa auch andere Dienste oder Verbraucherzentralen, dann darf StudiVZ alle VZ-Marken im Web für sich beanspruchen. Vielleicht sieht sich auch deshalb der Online-Gigant StudiVZ vom Winzling MatheVZ bedroht: Je beliebter das Rechen-Portal wird, desto eher könnte es die behauptete Gleichsetzung des VZ-Kürzels mit StudiVZ gefährden.

Anwalt Berlit: "Insgesamt wird es bei solchen Verfahren immer um die Frage gehen, wie bekannt inzwischen die Abkürzung VZ als Hinweis auf Produkte von StudiVZ ist. Da könnte es für MatheVZ schwierig werden, schließlich richtet sich dieses Angebot an ähnliche Zielgruppen wie Studi- und SchülerVZ. Da ist nachrangig, ob MatheVZ eine Community ist oder nicht, es kommt darauf an, dass sie im Web präsent sind."

Wenn ein Gericht der Argumentation folgt, dass jugendliche Webnutzer wegen des VZ-Kürzels MatheVZ mit StudiVZ-Diensten verwechseln können, würde die eingetragene Marke den Mathe-VZlern wenig nützen. Denn MatheVZ wurde zwar im September 2007 eingetragen, aber erst am 19. Mai 2007 beantragt. StudiVZ hat einen Schutz schon am 16. Mai 2006 angemeldet. Und wenn ein Gericht eine Verwechslungsfähigkeit sieht, entscheidet Anmeldetag bei Streitigkeiten.

Marke StudiVZ seit 2006 in der Eintragungsschleife

Der Kieler Anwalt Leif Klare der auf Markenrecht spezialisierten Kanzlei Prehm & Klare erklärt: "Dass die Marke StudiVZ erst nach fast zwei Jahren eingetragen worden ist, bedeutet in diesem Fall nicht viel mehr, als dass das Deutsche Patent- und Markenamt vermutlich Bedenken bei der Eintragungsfähigkeit dieser Marke hatte. Die Priorität der Marke StudiVZ wird davon nicht beeinträchtigt."

Ob nun die beiden Dienste verwechselt werden können oder nicht, müssen Richter entscheiden. Darauf will MatheVZ-Geschäftsführer Junker es ankommen lassen: "Ein Richter soll entscheiden, ob StudiVZ von uns tatsächlich verlangen darf, dass wir unsere lange vor StudiVZ eingetragene und schwer mit den Community-VZs zu verwechselnde Marke nicht mehr im Web nutzen."

Der Pädagogik-Student hat dabei durchaus Verständnis dafür, dass der Online-Gigant StudiVZ gegen manche Angebote vor Gericht gegangen ist: "Bei Diensten mit echter Verwechslungsgefahr hätte ich das auch gemacht. ErstiVZ zum Beispiel ist eine Community gewesen und hatte einen Namen, der sich wie StudiVZ aus einer Interessengruppe und dem VZ-Kürzel zusammensetzt." Aber MatheVZ sei nun mal keine Community und, so Junker, "vor allem keine Interessengruppe wie Schüler oder Studenten, sondern ein Schulfach".

Ob es darauf ankommt, wird ein Gericht entscheiden müssen. Wenn es so weit kommt, dürfte der Streit um MatheVZ zum Präzedenzfall werden.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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