Was kommt, wenn die Regionalzeitung geht
In zehn, fünfzehn Jahren funktioniert das Geschäftsmodell der Regionalzeitungen nicht mehr. Die Erkenntnis ist nicht neu, die Gründe dafür kauen Medienexperten seit Jahren durch. Die spannende Frage ist: Was kommt danach? Drei Modelle.
Spiegel Online, 12.08.2013
Irgendwann ist das Geschäftsmodell Regionalzeitung tot. Wahrscheinlich deutlich später als Experten seit Jahren prophezeien, aber eher, als die Zeitungsmacher erwarten.
Die Auflagen der Regionalblätter fallen stärker als die überregionaler Medien, irgendwann wird nichts mehr einzusparen sein bei Fixkosten für Redaktion, Druck und Vertrieb. Wenn es so kommt, wie verdient man dann mit Lokaljournalismus Geld?
Hier drei Ideen für neue Geschäftsmodelle für Lokaljournalismus:
(1) Harte Fakten für die Entscheider vor Ort
Dem US-Medienhaus Allbritton Communications ist mit “Politico Pro” etwas Erstaunliches gelungen: Die 2007 gegründete Zeitung verdient Geld im Netz und mit einer gedruckten Version. Die Abonnenten zahlen für eine extrem detaillierte Berichterstattung über das politische Geschehen in Washington. Zahlende Kunden sind vor allem Lobbyisten, Mitarbeiter von Abgeordneten und Kanzleien.
In Großstädten und regionalen Metropolen könnte ein Lokal-“Politico” für die 1000 Firmen, Anwälte, Investoren, Grundstücksmakler vor Ort Erfolg haben. Ein Medium für all jene, die genau wissen wollen, was im Stadtrat läuft, welche Bebauungspläne wofür verhandelt werden, wer wo investiert, wem welche Läden gehören und wie das Geschäft läuft, wo die Einflussreichen sich treffen, wer wohin wechselt und warum.
Das Abo kostet im Monat 250 Euro, dafür gibt es einmal die Woche Papier, sonst eine ständig aktualisierte Version und eine gewichtete Tageszusammenfassung in einer App, im Web und als Newsletter. 1000 verkaufte Abos dieses Angebots sollten genügen, um eine Redaktion zu finanzieren, die das leisten kann. Die Abos werden von Firmen bezahlt, so wie es bei “Financial Times” und “Wall Street Journal” der Fall ist.
(2) Lokale Wirtschaft finanziert lokale Community
Wie steigert man die Reichweite der Regionalzeitung? Man könnte die Auflage verschenken. Theoretisch würde das Medium attraktiver für Werbekunden. Praktisch wäre wohl auch bei höheren Regionalzeitungsauflagen mit Werbung wenig und immer weniger zu verdienen. Die großen Ketten werben im Fernsehen und Netz, Lebensmitteldiscounter verteilen ihre Wochenprospekte direkt, große Marken werben in Magazinen, im Fernsehen, auf großen Online-Portalen und mit eigenen Inhalten in sozialen Netzwerken.
Übrig bleiben lokale Anzeigenkunden. Die verbliebenen Einzelhändler, die Betriebe vor Ort, die Interessengemeinschaften, Restaurants, Wohnungsbaugenossenschaften, Pflegefirmen, Altersheime, Vereine. Es sind dieselben Firmen und Organisationen, die ein Interesse an einem lokalen Medium haben. Sie brauchen ein Forum, um Öffentlichkeit für ihre Interessen gegenüber der Stadt zu schaffen. Interessen wie: Die Stadt soll Parkzonen in Straße X schaffen, mehr Außengastronomie am Platz Y erlauben und so weiter.
Die Unternehmen vor Ort brauchen auch ein Medium, das Gemeinschaft schafft. Ein Medium, das abbildet, was vor Ort passiert – Lesung, Gastromeile, Ostereiersuchen, Tag der offenen Tür, neue Stellen für Azubis bei Betrieb X und so weiter. Also zahlen die Firmen dafür. Sie finanzieren ein neues, kostenloses Lokalmedium im Web, in Netzwerken und auf Papier mit diesen Elementen:
- Service ist wichtig: Wo fährt man hin, wo gibt es Kita-Plätze (die Reporter bauen eine Online-Datenbank mit Suchen und Angeboten auf), wo sind Schlaglöcher, wo Blitzer, wie pünktlich sind welche Buslinien. Das neue Lokalmedium zeigt, wie schön das Leben in der schönsten Stadt der Welt ist (natürlich der eigenen).
- Die Redakteure schaffen eine lokale Community – über alle Plattformen hinweg, kostenlos für die Nutzer. Sie organisieren Diskussionen, Feiern, Ostereiersuchen und so weiter. Sie fotografieren, filmen und berichten über all die tollen Dinge, interessanten Menschen und Veranstaltungen in der Region.
- Sie bringen alles kostenlos ins Netz, in ein neues lokales Forum, eine Community auf Facebook, in ein eigenes Online-Medium und so weiter.
- Die Community-Bauer entwickeln eine App für ihre Stadt mit verbessertem Kartenmaterial von Openstreetmap. Eine App, auf der alles eingetragen ist und über die man alles erfahren und mitteilen kann, etwa: Welcher Friseur hat wie lange offen, wo gibt es jetzt noch freie Termine?
Bezahlt wird das von jenen, die ein wirtschaftliches Interesse daran haben – den Firmen vor Ort. Sie profitieren davon, dass online lokale Identität ihrer Stadt entsteht und sie als Teil dieses Angebots erscheinen. Sie sparen sich eigene Social-Media-Abteilungen und bezahlen das Lokalmedium dafür.
Für die Leser bietet dieses neue Gratismedium vor allem Nutzwert und hyperlokale Inhalte. Es ist umfangreicher, schöner und aktueller als die Anzeigenblättchen, es ist näher am Leben und es begegnet ihnen vor allem überall im Netz.
Eine Kontrollfunktion gegenüber der Wirtschaft hat dieses Medium nicht, gegenüber der Stadt nur, wenn es den Firmen vor Ort nützlich ist. Mit einer von Anzeigenkunden unabhängigen Lokalpresse hat das nichts zu tun. Aber es könnte ein Geschäftsmodell sein. Und dieser Journalismus könnte unterhaltsamer, kundenfreundlicher und näher am Leben der Leser sein als so manches heutige Angebot.
(3) Anzeigen-Wochenzeitung und Edel-Sonntagsblatt
Modell drei ist der Ausstiegsplan für die bisherigen Verlage. Ein Lokal-“Politico” werden sie nicht machen, eine Lokal-Community wohl auch nicht. Wenn es sich nicht mehr lohnt, täglich zu drucken, legen sie ihre Regionalzeitungen mit den kostenlosen Anzeigenblättern zusammen.
Einen großen Teil der Inhalte liefern Vereine, Interessengruppen und Leser über ein Online-Portal wie lokalkompass.de. Die Tageszeitungsredaktion macht das Online-Portal zu einem aktuelleren, schnelleren Medium. Einmal die Woche wird das Beste gedruckt und als Anzeigenblatt gratis verteilt – irgendwann unter der Woche an einem Werktag. Sonntags erscheint das einzige verbliebene kostenpflichtige Lokalmedium: eine etwas dickere Version der Regionalzeitung von einst mit magazinigem Layout. Diese Sonntagszeitung ist für ein kleines, aber vermögendes Publikum der Regionalzeitungsabonnenten von einst gemacht. Die App ist im Abopreis eingeschlossen.
Die verbliebenen Verleger schließen sich zu einer bundesweiten Vermarktungsgesellschaft und Produktionsgesellschaft für diese Sonntagspresse zusammen. Sie schaffen es, die gemeinsame App und die diversen regionalen Online-Edelmedien für überregionale Werbekunden attraktiv zu machen. Die App wird richtig gut, ein Dienstleister entwickelt sie für alle Verlage.
Die kombinierten Umsätze aus Anzeigenzeitung, Sonntags-Edelmedium und Online-Portal sind winzig im Vergleich zur guten alten Zeit, die Redaktionen sind klein, die Margen einstellig. Für die Verleger von heute sind das Peanuts, aber im Vergleich mit vielen anderen produzierenden Betrieben sind solche Margen ordentlich.
(4) Abseits des Marktes
Von den drei neuen Regionalmedien entspricht das Lokal-“Politico” am ehesten dem heutigen Verständnis von unabhängigem Journalismus. So ein teures Abo-Angebot ist den Lesern verpflichtet und sonst niemandem. Allerdings wird ein solches Regionalmedium für die Elite vor Ort nicht unbedingt über Dioxinskandale, den Streit um Straßennamen von Nazi-Größen und ekliges Schulessen berichten.
Wer macht das? Vielleicht die verbleibenden Abozeitungen am Sonntag, vielleicht niemand mehr, weil das Leser auch noch nie so sehr interessiert hat wie die Freizeittipps und die regionale Unterhaltung.
Wenn das so kommt, und wenn man diese Art von Journalismus als gesellschaftlich relevant sieht, muss er abseits des Marktes finanziert werden. Bis das so weit ist, sollte der Staat nicht Tageszeitungen fördern, sondern vielleicht lokale journalistische Start-ups.